Mehr als nur Dampf und Zahnrad – ein fulminantes Abenteuer
Science-Fiction und Steampunk von einem israelischen Autor, das ist für sich schon eine überraschende Kombination. Des Autors Homepage enthüllt, dass er bereits drei Romane der „Bookman“ Serie veröffentlicht hat („Camera Obscura“, „The Great Game“). Weitere Bücher mit so wohlklingenden Titeln wie z.B „Gorel and the Pot-belled God“, machen neugierig auf diesen Autor und sein Werk.
Orphan – ein Waisenkind des britischen Empires
Es soll der letzte Abend werden, den Orphan mit seinem Mentor Gilgamesch verbringt. Der Dichter erzählt ihm, dass er seiner geliebten Lucy einen Heiratsantrag machen wird. Ein Besuch des Rose-Theaters soll den passenden Rahmen bilden, doch der Abend endet in der Katastrophe. Ein explodierendes Buch kostet dem Hauptdarsteller des Stücks das Leben. Kurz darauf verschwindet Gilgamesch spurlos. Er hinterlässt seinem familienlosen Freund einen Brief mit kryptischen Andeutungen über dessen Herkunft, über den Beginn der Herrschaft der Echsen über das Empire und äußert eine unmissverständliche Warnung. Am nächsten Tag soll eine Raumsonde zum Mars geschossen werden. Lucy steuerte der Mars-Sonde eine Edison-Platte mit Walgesängen bei und nimmt an den Feierlichkeiten zum Start teil. Wieder explodiert ein Buch und dieses Mal ist sie das Opfer, Orphan kam nicht rechtzeitig, um Lucy zu retten.
Noch in der Klinik macht Orphan eine verwirrende Entdeckung. Seine Mitmenschen scheinen öfter als angenommen nicht natürlicher Herkunft zu sein. Wer gehört außer dem Dichter Lord Byron oder dem unbesiegbar Schach spielenden Türken noch zu den Maschinenmenschen? Könnte das eine Zukunft für Lucy bedeuten? Und was will der Bookman, der für all das Leid verantwortlich ist, von einem armen Buchhändler und Dichter? Über die Weltmeere, Irrwege und Abgründe führt Orphans Weg zu einem Komplott, welches sich ihm nach und nach offenbart. Auf die Frage nach Motiv und Moral erhält er rätselhafte und widersprüchliche Antworten.
Steampunk aus dem vollen Werkzeugkoffer geschöpft
Der Begriff „Steampunk“ wird in Zeiten des Booms inflationär gebraucht. Manches ist eher Fantasy im Schein des Gaslichts und heißt trotzdem Steampunk. Eigentlich handelt es sich dabei um eine Erzählart der Science Fiction und man findet ganz unterschiedliche Meinungen dazu, ob Steampunk ein Subgenre oder eben ein Erzählstil ist. Diese Frage wird hier nicht beantwortet werden. Aber es sei an dieser Stelle vorweggenommen, dass die Lektüre von „Bookman – Das ewige Empire 1“ zeigt, wie Stil und Story zu etwas Einzigartigem verschmelzen können.
Dabei hat der israelische Autor Lavie Tidhar dem Steampunk keine wirklich neuen Aspekte entlockt. Das Setting ist klassisch: Dampfbetriebene Luftschiffe und Karossen, Tesla-Geräte und menschenähnliche Roboter, alles im viktorianischen Zeitalter angesiedelt. Doch das Steampunk-Setting dient nicht dem Selbstzweck, sondern erzählt hier eine Weltgeschichte und ein Abenteuer, wie es eben nur mit Steampunk und in der Science-Fiction möglich ist. Wir haben es nicht nur mit Dampf und Zahnrad zu tun, sondern mit außerirdischen Invasoren und einer Emanzipation der Maschinenmenschen. Dabei fängt alles ganz harmlos mit der Liebesgeschichte zwischen dem Dichter Orphan und der Meeresbiologin Lucy an. Doch die Geliebte wird dem Dichter genommen und Orphan gerät zwischen die Räder der Herrschaft und der Revolution, getrieben von der Hoffnung, dass der Tod nicht das Ende bedeuten muss.
Tidhars alternative Historie ist allerdings nicht nur dem Steampunk verhaftet, sondern in erster Linie der Literatur und – seinem Mythos.
„Der Bookman ist doch nur ein Mythos“, erwiderte Orphan, was Gilgamesch mit einem Lächeln quittierte. „Ein Mythos“ gab der alte Mann zurück. „Ach Orphan, wir leben in einer Zeit der Mythen.“ [S. 14]
Tidhar lässt unzählige Anlehnungen an die Literatur einfließen, sowie Literaten und historische Figuren in neue Rollen schlüpfen. Auf jeder Seite spürbar ist die intensive Huldigung von Arthur Conan Doyles „Sherlock Holmes“-Geschichten. Holmes Feind Moriarty findet sich in Gestalt einer Echse auf dem englischen Thron wieder, Irene Adler als Inspektorin bei Scotland Yard. Natürlich bekommt Jules Verne in der Geschichte einen Ehrenplatz – mit Captain Nemo als Verbündetem an der Seite des Hauptdarstellers. Shakespeare erzählt auf der Bühne vom Beginn der alternativen Zeitrechnung und auch Oscar Wilde bekommt sein Fett weg. So amüsant und pfiffig diese Anleihen an literarische und historische Persönlichkeiten auch sind, vielleicht hat es der Autor damit etwas übertrieben. Nicht jede bringt die Geschichte weiter, aber sie tragen sicherlich dazu bei, dass Tidhars Historie glaubwürdig wirkt.
Stilistisch angenehm lesbar und liebevoll beschrieben präsentiert Tidhar seine Welt, in schillernden, leicht surrealen Bildern aus der Sicht des emotionalen und verklärten Poeten. Manchmal bedient sich der Autor der Filmtechnik, wiederholt oder dehnt Szenen. Auch dieses Stilmittel überspannt er etwas, denn diese farbenprächtige Story prägt sich auch ohne Rückschauen und Slowmotion ein.
Abschließend bleibt nur zu sagen, für Freunde des Steampunk ist „Bookman – Das ewige Empire 1“ einfach ein Muss. Aber auch alle anderen Liebhaber phantastischer Abenteuer dürfen sich hier auf eine außergewöhnlich spannende Story mit vielen absolut unvorhersehbaren Wendungen freuen. Jedem, der den „Bookman“ kennengelernt hat, bleibt ein nachhaltiger Genuss im Gedächtnis und die Hoffnung, dass der Piper-Verlag auch die beiden Folgebände bald in Deutschland veröffentlicht.
Diese Rezension von mir, Eva Bergschneider, erschien bereits auf www.phantastik-couch.de
Bookman - Band 1
Steampunk
Piper
2012
448
Funtastik-Faktor: 88%