Erdige Angst
Joe R. Lansdale ist ein Vielschreiber. Er wildert durch die Genres und lässt sich nur schwer festlegen; und obwohl im „Teufelskeiler“ die Form der kurzen Horrorstory prägnant ausgefüllt ist, ist der Inhalt mehrdimensional. Er ängstigt und ist doch beruhigend, am Schrecken erst zeigt sich die Wärme im Leben der Menschen, und in der brennenden Sonne Texas’ der Gehalt einer ehrlichen Arbeit – und der Gehalt einer formal schlichten, aber intensiven Erzählung. Die darum nicht mit beiden Füßen im Jetzt stehen muss und keinesfalls das Übernatürliche ausgrenzt, es aber auch nicht erzwingt.
Hier scheinen die Groschenromane und die große Literatur, vor allem aber das Leben durch: Genüsslich werden Stereotypen ausgerollt, gegeneinandergestellt und gebrochen. Was hervorkommt, ist eine kurze Geschichte, die die großen Dinge nicht zu benennen braucht, um sie hervorzurufen.
Das Böse überzeugt
Im Sommer 1929 ist die Finanzkrise in allen Teilen der Bevölkerung zu spüren. Nur die Landwirte, einfache Bauern, die meist weder lesen noch schreiben können, haben es etwas besser erwischt, wie der junge Ricky erkennt. Sie sind nicht vom Geld abhängig, dafür aber vom Wetter, dem Saatgut und der natürlichen Umwelt. Auch seine Familie kommt, wenn auch mühsam, über die Runden. Medizinische Versorgung ist jedoch undenkbar. Und ein Ausfall der Ernte kann tödlich enden. Doch genau das passiert. In eben jenem Sommer fällt kaum Regen und man muss sich von den Tieren der Wälder und Flüsse ernähren, weil die Felder keine Nahrung mehr bieten. Zu allem Überfluss ist Rickys Mutter hochschwanger, und der Vater, ein gefürchteter Boxer, muss auf dem Jahrmarkt Geld verdienen, damit das Neugeborene unter wenigstens annähernd sicheren Bedingungen zur Welt kommen kann.
Gerade hier taucht der mysteriöse Keiler auf, von den Dorfbewohnern ,Old Satan’ genannt, verwüstet die letzten erhaltenen Maisfelder, schreckt die Mutter nicht nur sprichwörtlich fast zu Tode und zerfetzt mit seinen mächtigen Hauern Packesel und einige Wachhunde.
Ricky als Erstgeborener, 15 Jahre alt, ist noch der Einzige, der den Bauernhof am Leben halten kann. Doch jedes Mal, wenn er ein Feld neu bestellt, zerpflügt es der Teufelskeiler wieder. Die Natur hat sich gegen den Menschen gestellt. Es ist also Zeit, schnell erwachsen zu werden. Und diese Inkarnation des Teufels zu töten. Hilfe bekommt Ricky dabei von seinem schwarzen Freund Abraham Wilson, dessen Familie sich keine Schulbildung leisten kann, aber sicher vor der Sklaverei in den Wäldern wohnt und diese besser kennt als kaum jemand anderes.
Es trifft also alles Ehrliche aufeinander: die liebevolle, nervenschwache Mutter, die herzensguten Brüder im Geiste, Ricky und Bishop, der ehrenvoll untergetauchte Vater usw. usf.. Für plumpen Rassismus ist dort kein Platz – kaum eine Person ist nicht großartig, auf seine Art und Weise. Im Kontext der Geschichte bleiben die Charakterzüge der Stereotypen scheinbar zweidimensional. Aber sie weigern sich, nur als Teil der Geschichte betrachtet zu werden. Und wer kennt das nicht? Gerade die eingängigsten Charaktere sind aus dem Leben gestohlen: Wenn die Geschichte einen Sprung in unsere Realität zulässt. Das tut sie definitiv.
Und das Böse? Es überzeugt: der Teufelskeiler ist kein gruseliges, kleines Mädchen, das aus dem Fernseher steigt, er ist kein folternder Ostmilliardär und kein krebskrankes Genie mit einer Vorliebe für Sägen. Er ist Körper gewordener urtümlicher Horror, der nicht versucht, die Spannung seiner vermeintlich abgrundtief bösen „Konkurrenten“ an Skurrilität oder Obszönität zu übertreffen, sondern lebt von den Charakteren, Umständen und den Ängsten der Menschen, die die Umstände und Realität verändern. Ängste, in deren Alpträumen sich Umstände und Charakter erst von ihrer wahren Seite zeigen. Es bleibt irrational. Aber diese Fantastik zeigt innerhalb ihres Zerrspiegels den verquollenen Abdruck der Welt vielleicht am treffendsten.
Diese Rezension von Tim König erschien bereits auf www.phantastik-couch.de. Sie wurde hier mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlicht.
Horror
Shayol
2008
142
Funtastik-Faktor: 95%