Die Büchse der Pandora öffnet sich
Alex Adams ist ein neuer Name unter denen der Phantastik-Autoren aus den USA und mit ihrem Debütroman „White Horse“ hat auch sie sich dem Thema Apokalypse angenommen. Die Autorin schickt ein „Weißes Pferd“ auf einen Feldzug, der unsere Zivilisation zerstört. So heißt eine Seuche, die nach einem Pferd der apokalyptischen Reiter aus der Offenbarung des Johannes benannt ist:
»Als das Lamm das vierte Siegel öffnete, hörte ich die Stimme des vierten Lebewesens rufen: Komm! Da sah ich ein fahles Pferd und der, der auf ihm saß, heißt „der Tod“ und die Unterwelt zog hinter ihm her.«
Auf der Suche nach Antworten
Zoe sucht einen Psychiater auf, denn sie hat Angst. Sie erzählt Dr. Nick Rose, sie träume von einem Tongefäß, das plötzlich in ihrer Wohnung aufgetaucht sei. Er soll sie schließlich nicht für verrückt halten. Die Wahrheit aber ist, dass wirklich so ein Gefäß in ihrer Wohnung steht, ohne Hinweis, von wem es stammt und wie es dort hin gelangte. Das ist noch nicht das Verrückteste. Zuerst sterben die Tiere, dann die Menschen. Die Katze des Nachbarn erwischt es zuerst, und dann den Nachbarn selbst. Die Mäuse im Labor von Pope Pharmaceuticals, wo Zoe als Putzfrau arbeitet. Ebenso die zur Hilfe geholten Freunde, die sich mit Archäologie auskennen und behaupten, das Gefäß sei antik. Geht von ihm die Seuche aus? Doch warum wird ausgerechnet Zoe nicht krank?
Zoe spendet Blut und bekommt dafür ein Flugticket nach Rom. Von dort aus macht sie sich auf den Weg nach Brindisi in Süditalien, um dort eine Fähre nach Griechenland zu erreichen. Sie hofft, Nick, den verschwundenen Vater ihres ungeborenen Kindes, im Heimatort seiner Eltern zu finden. Doch zu Fuß durch Italien zu reisen, ist weit und gefährlich. In Begleitung der blinden Lisa begegnet Zoe hungrigen Mutanten und einem geheimnisvollen Schweizer. Der entpuppt sich zwar als Schweinehund, scheint aber Antworten auf Zoes Fragen zu haben.
Apokalypse einmal anders
Die Amerikanerin hat einiges anders gemacht, als wir es von vielen Vertretern dieses Subgenres kennen. Oft konzentrieren sich die Autoren darauf, das apokalyptische Setting in den Vordergrund zu stellen. Wie ist die Katastrophe entstanden? Wie hat sie sich ausgebreitet und den Untergang der Zivilisation bewirkt? Und mit welchen Mitteln sichert die Menschheit ihr Überleben?
Alex Adams hat dagegen ihre Hauptprotagonistin, die 31 Jahre alte Zoe in den Vordergrund gestellt, lässt sie aus ihrer Sicht in zwei Handlungsebenen berichten. Die entsprechenden Kapitel sind mit „Jetzt“ oder „Damals“ überschrieben und erzählen entweder das aktuelle Geschehen oder das in der Vergangenheit. Letztere liegt lediglich 18 Monate zurück und wird nicht immer chronologisch erzählt. Beide Handlungsstränge finden schließlich zusammen.
Dazwischen erlebt Zoe den Ausbruch der Seuche und analysiert ihre Situation mithilfe des Psychiaters Nick. Verliebt sich, wird schwanger und begibt sich auf eine Queste, um ihn zu finden.
Adams hat mit Zoe eine sympathische und interessante Protagonistin erschaffen. Sie ist klug und selbstbewusst, eine scharfe Beobachterin und mutige Kämpferin. Ein Mut, der nicht aufgesetzt wirkt, sondern aus einem klaren Ziel und der Situation erwächst. Zoe versucht „ihre Menschlichkeit für ihr Kind zu wahren“ und das glaubt man ihr. Ihr soziales Umfeld wird eher grob skizziert, aber immerhin anschaulich genug, um für erschütternde Szenen zu sorgen, wenn ein Freund oder Familienmitglied von der Seuche oder ihren Auswirkungen getötet wird. Wichtigste Nebenfigur ist der ´Schweizer´, den Zoe im Verlauf ihrer Reise trifft. Zunächst erfährt man nicht viel über ihn, bis er schließlich schauderhafte Gräueltaten begeht. Des Schweizers Hintergrund und Motiv gehören zu den echten Überraschungsmomenten des Buchs.
Ist „White Horse“ also ein echter Knüller unter den Apokalypse-Romanen? Mit geschickterem ‚takten‘ von ruhig erzählten Passagen und düsteren bzw. blutig – aktionsgeladenen Szenen, hätte es vielleicht ein solcher werden können. Zum Beispiel begleitet der Leser Zoe und Lisa seitenlang auf ihrem Weg durch Italien, bevor das Unheil unvermittelt über sie hereinbricht. Es gehört sicherlich zum Konzept der Autorin, durch Handlungsbrüche Ungewissheit und Verwirrung zu erzeugen. Aber sie verliert den Leser dabei, weil sie ihn zu lange hinhält, um ihn dann mit einer vollkommen unerwarteten Situation zu konfrontieren. Die dann nicht mehr so unerwartet ist, die erhoffte Schockwirkung läuft so ins Leere. Vielmehr kriecht der wahrhaftige, weil emotionale Nervenkitzel zwischen unscheinbaren Sätzen hervor, wie z.B.
Ich weiß Bescheid, noch bevor er die Worte ausspricht. „Nichts Schlimmes. Nur eine Magen-Darm Grippe.“ [S. 162]
Dazu kommen logische Unstimmigkeiten. Anfangs wird um das Gefäß ein Mysterium aufgebaut, das irgendwann ohne Grund fallen gelassen wird. Anfang und Ende der Geschichte wollen nicht richtig zusammenpassen, und die Botschaft der Toleranz geht etwas unter. Insgesamt hätte dem Plot etwas Feinschliff gut getan. Aber schreiben kann sie, die Alex Adams. Eine breite Palette an Gefühlen wie Trauer, Schrecken und Hoffnung, dazu Poesie und Galgenhumor – all das weiß sie in wunderbare Bilder und Worte zu kleiden. Ich könnte von fast jeder Seite des Buchs zitieren, als ein beliebiges Beispiel sei dieses gewählt:
„Glücklich? Was heißt das überhaupt? [..] Ich glaube, es hat irgendwas mit Eistüten am Strand zu tun, die man ganz schnell leer schleckt, bevor die in Nuss und Schokolade getauchte Spitze schmilzt und Dir über die Finger rinnt. [S. 152]
Diese Rezension von mir, Eva Bergschneider, erschien bereits auf www.phantastik-couch.de
Horror
Piper
2012
448
Funtastik Faktor: 70%