Einblick in die dämonische Seele
So wie es sein soll, erzählt der Klappentext der deutschen Ausgabe auf Dan Wells Romanerstling „Ich bin kein Serienkiller“ (orig.:„ I am not a Serial Killer“) einen Abriss über die Anfänge dieser Geschichte. Ein junger Mensch entdeckt an sich Anzeichen einer Entwicklung zum Serienkiller. Ein Krimi also?
Spektakulär kommt die Gestaltung des Buches daher: Das Cover wie eine rissige Wand, der Titel wie mit Blut darauf gekritzelt und der Buchschnitt ist uneben, wie abgerissen. Auch die Schlagworte auf dem Innencover erleichtern die Zuordnung zu einem Genre nicht gerade: „John trägt ein Monster in sich – meist diskutierter Thriller des Jahres“. Soviel vorab: Dieser Roman entpuppt sich als Horror-Thriller, denn die Monster darin sind „echte“ Dämonen.
Ein Fünfzehnjähriger wird zum Dämonenjäger
John Cleaver ist ein Einzelgänger. Nicht allein seine seltsamen Obsessionen, die ihn die Nähe der Leichen im Beerdigungsinstitut seiner Mutter suchen und ihn jedes kleine Detail über Serienmörder aufsaugen lassen, sorgen dafür. Ein strenger, selbstauferlegter Verhaltenscodex im Umgang mit Mitmenschen erlaubt ihm gerade mal einen Alibifreund in der Schule, Max, und ein entferntes Schwärmen für das Mädchen Brooke. John trägt einen Dämon in sich, den er mühsam vor seiner Umwelt verbirgt.
Als in Clayton grausame Morde geschehen, entdeckt John Merkmale, die auf Serienmorde schließen lassen. Die Opfer scheinen willkürlich ausgewählt zu sein und der Killer nimmt einen Körperteil als Trophäe mit. Doch dann weicht der Täter vom Schema ab und John ahnt, das etwas noch Böseres am Werk ist, ein Dämon. Ihm wird klar, dass er diesen Dämon überführen kann, wenn er die Barrieren zu seinem Inneren nieder reißt. Der Junge folgt der blutigen Spur des Monsters bis in das unmittelbarer Umfeld seiner Familie.
Soziopathisch oder besessen?
Rückblickend erzählt der Teenager John Cleaver von den grausigen Geschehnissen, die er erlebt, als eine Mordserie seine Heimatstadt im mittleren Westen heimsucht.
„Damals wussten wir es noch nicht, aber Mrs. Anderson sollte für sechs Monate der letzte Mensch im Clayton County bleiben, der auf natürliche Weise gestorben war. Die anderen holte der Dämon.“
Man erfährt direkt am Anfang der Geschichte, was noch kommen wird, doch zunächst führt Dan Wells seine Hauptfigur ein. John berichtet von der Arbeit mit seiner Mutter, von seinen Therapiesitzungen mit Dr. Neblin und von den Gesprächen mit seinem einzigen Freund. Und obwohl, oder weil alles aus der naiven Sicht eines Fünfzehnjährigen geschildert wird, geht es dem Leser ähnlich wie Max. Wachsendes Unbehagen schleicht sich ein. Die Gespräche mit seinem Psychiater helfen John, seiner Umwelt ein normales Leben vorzutäuschen und dienen auch dem Leser als Reflektion. Sicherlich ist John ein Soziopath und trotzdem ein Sympathieträger. Nach dem ersten Drittel nimmt die Handlung, die allerdings nie langweilig ist, so richtig an Fahrt auf.
Jagd auf einen Dämon – wie im Krimi
So verrückt die Idee auch klingt, dass ein Junge ein blutrünstiges, menschenzerfetzendes Biest jagt, in „Ich bin kein Serienkiller“ kommt sie glaubwürdig herüber und bereitet viel Lesevergnügen. Die gruseligen Morde werden aus der Perspektive des Teenagers beschrieben, der fassungslos, aber mit dem Verständnis eines potentiellen Täters beobachtet und analysiert. John beschreibt in detailgenauen Bildern und erfindet wie ein Forscher Begriffe, um das Grauen greifbarer zu machen. Trotz des dargestellten Horrors sind es nicht die bestialischen Taten, sondern die Entwicklungsgeschichte des Monsters, und nicht zuletzt seine eigene, die John und den Leser überraschen und erschüttern. Dan Wells’ Charakterisierung der beiden Hauptfiguren, des Jägers und des Gejagten, ist persönlich und emotional ergreifend. Nur manchmal kauft man John seine souveränen und messerscharfen Schlussfolgerungen nicht ganz ab. Doch damit des Guten nicht genug.
„Ich bin kein Serienkiller“ liest sich wie ein klassischer Krimi, in dem das übernatürliche Element sowohl in der Rolle des Täters als auch in der des Ermittlers agiert. Die eingeschränkte Sicht des Ich-Erzählers steigert die verblüffende Wirkung der Wendungen in der Handlung noch. Dan Wells konstruiert einen originellen Plot und einen nervenaufreibenden Show-Down, der einerseits eine zufriedenstellende Auflösung bietet, aber beim Leser auch Fragen zurück lässt. Wer war nun der bösartigere Dämon? Glücklicherweise bleibt Johns weiteres Schicksal offen. „Ich bin kein Serienkiller“ ist der Auftaktroman zu einer Serie, dessen Fortsetzung man kaum erwarten kann.
Diese Rezension von mir, Eva Bergschneider, erschien bereits auf www.phantastik-couch.de
John Cleaver - Band 1
Horror
Piper
2009
384
Funtastik-Faktor: 89%