Schöne Worte beschreiben das Böse
Weltruhm erlangte der spanische Autor Carlos Ruiz Zafón mit seinen Romanen „Der Schatten des Windes“ und „Das Spiel des Engels“. Ersterer gewann den US-Literaturpreis für Kriminalromane „Barry Award“ in der Kategorie „Bester Erstlingsroman“ und schaffte es in Deutschland auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Der Fischer Verlag bringt nun die frühen Jugendromane des Autors in deutscher Übersetzung heraus, an die man als Leser natürlich mit einer gewissen Erwartungshaltung heran geht.
Ein neuer Anfang führt in ein Gruselkabinett
Im Paris des Jahres 1936 schlägt sich Simone Sauvelle nach dem Tod ihres Ehemannes Armand mit einem Schuldenberg herum. Ihr kleiner Sohn Dorian arbeitet als Laufbursche, anstatt auf eine gute Schule zu gehen und die vierzehnjährige Irene verdient, ohne Wissen der Mutter, in einem Tanzlokal ein paar Pennies dazu. Das Angebot in Baie Bleue, einem Dorf in der Normandie, eine Stelle als Hauswirtschafterin eines ehemaligen Spielzeugfabrikanten anzutreten, erscheint wie ein Silberstreif am Horizont. Die Familie Sauvelle zieht in ein zweistöckiges Haus am Kap, an der „Schwarze Bucht“ und nicht weit von der Leuchtturminsel entfernt. Jenseits des umgebenden Waldes erhebt sich Lazerus Janns Anwesen „Cravenmoore“, Simons neuer Arbeitsplatz.
Zunächst scheint es, als habe die Familie das große Los gezogen. Jann erweist sich, trotz einiger Marotten, als großzügiger und freundlicher Chef, der Dorian sogar das Schulgeld bezahlt. Irene freundet sich mit der gleichalterigen Bäckerin des Anwesens an und erlebt bald die erste Liebe mit Hannahs Cousin Ismael. Gemeinsam entdeckt das Paar auf der Leuchtturminsel ein altes Tagebuch, in dem eine junge Frau ihren Kampf gegen ein unfassbares Grauen niedergeschrieben hat. Bald darauf wird im Wald eine Leiche gefunden. Scheinbar geht ein mörderischer Schatten um, der bereits früher „Cravenmoore“ heimgesucht hat und wird auch für die Familie Sauvelle und Ismael zur tödlichen Gefahr.
Bekannte Horrormotive in einer großartigen Erzählung vereint
In seinem Frühwerk „Der dunkle Wächter“ hat der spanische Bestsellerautor das Genre des Horrormärchens sicherlich nicht neu erfunden, dafür wirkt die Handlung zu vertraut. Vielen Lesern dürften Gruselgeschichten mit sich verselbständigenden Spielzeugfiguren und verkauften Schatten hinlänglich bekannt sein. Und doch strickte Zafón 1995 aus altbekannten Motiven einen spannenden und wunderbar geschriebenen Dark-Fantasy- oder auch Horrorroman, der bereits mit den Qualitäten auftrumpft, die den Spanier 2001 (Erscheinungsjahr von „Der Schatten des Windes“) berühmt machen sollen. Zafóns Schreibstil lässt an Bildhaftigkeit, Leidenschaft und sprachlicher Schönheit wenig zu wünschen übrig. Und so gelingen ihm nicht nur unaufhaltsam heran schleichende und sich am Ende dramatisch entladene Spannungsmomente. Er lässt uns den Zeitgeist kurz vor dem zweiten Weltkrieg atmen und mit den Personen fühlen, besonders mit dem Spielzeugfabrikanten Lazerus Jann, den stets eine unheilvolle Aura umschwebt. Ausführlich beschreibt Zafón die Natur des Monsters und lässt dennoch genug Raum für gruselige Fantasien im Kopf des Lesers.
Mit leichter Hand ist dem Spanier die Verknüpfung des Schauerromans mit einer Liebesgeschichte geglückt. Hier wirkt nichts aufgesetzt oder abgedroschen. Irenes und Ismaels Romanze fügt sich natürlich zwischen die gruseligen Kapitel, zögert deren Spannungsaufbau teilweise geschickt hinaus. Besonders originell ist der Erzählrahmen konstruiert, der mit einem Brief von Ismael an Irene beginnt und einen Blick in die Zeit jenseits der Geschehnisse wirft.
Der Aufbau der Geschichte ist vergleichsweise einfach, bis auf wenige Ausnahmen, die Rückblenden und Erinnerungen erzählen, chronologisch. Ihre Voraussehbarkeit lässt die Handlung dann doch einiges an Nervenkitzel einbüßen, vermutlich ein Zugeständnis an ein jüngeres Zielpublikum. Auch der etwas überzogen wirkende Heroismus der Hauptfiguren dürfte auf den jugendlichen Leser zugeschnitten sein.
Dennoch ist „Der dunkle Wächter“ kraftvoll, dramatisch und mit so viel sprachlicher Finesse geschrieben, das er auch Erwachsene zu begeistern vermag. Wir dürfen uns auf die weiteren Frühwerke des begnadeten Schreibers Carlos Ruiz Zafón „Der Fürst der Finsternis“ und „Der Mitternachtspalast“ freuen, die ebenfalls beim Fischer Verlag erscheinen werden.
Diese Rezension von mir, Eva Bergschneider, erschien bereits auf www.phantastik-couch.de
Nebel - Serie
Horror
Fischer
2009
352
Funtastik-Faktor: 83