Intrigen und Mysterien in einer kreativ gestalteten, nicht ganz neuen Fantasy-Welt
Mit seinem neuesten Werk „Shadowmarch – Die Grenze“ ist Tad Williams wieder zum Fantasy-Genre zurück gekehrt. „Shadowmarch“; war ursprünglich als TV-Serie geplant, wurde dann in Form einer Internet-Fortsetzungsgeschichte auf der shadowmarch.com Seite veröffentlicht, die es den Besuchern ermöglichen sollte, fortlaufende Kapitel zu erwerben. Nachdem sich dieses Projekt finanziell nicht lohnte und andere Projekte des Autors in Verzug brachte, entschloss man sich, wieder in klassischer Buchform zu publizieren. Die Frage, die sich die Fantasy- und Tad Williams Fans nun stellen, ist natürlich, ob die „Shadowmarch“-Trilogie an den Erfolg und die Klasse des vierteiligen Epos „Der Drachenbeinthron“; anknüpfen kann.
Zwielichtlande – Eion – Xand
„Shadowmarch – Die Grenze“; enthält sehr ausführliches und detailliert gezeichnetes Kartenmaterial und beginnt mit einer informativen Einleitung, in der die Geschichte der Kontinente Eion und Xand vorgestellt wird. Im Wesentlichen spielt die Handlung auf Eion, einem Kontinent, der zeitgeschichtlich dem Spätmittelalter zuzuordnen ist. In der Shadowmarch-Historie ist Eion erst vor einigen Jahrhunderten von Menschen besiedelt worden und in verschiedene Königreiche und Marken unterteilt. Die Markenlande und die Südmark weisen eine abendländische Charakteristik auf, während der südliche Teil Eions, Hierosol eher maurisch wirkt. Die Ureinwohner Eions, die Quar, wurden von den Menschen in einem über Jahre andauernden Krieg bezwungen und nach Norden vertrieben. Sie leben seither jenseits der Schattengrenze im Zwielichtland, ein im Nebel liegendes, dunkles Territorium, in das die Menschen nicht dauerhaft eindringen können, ohne geistigen Schaden zu erleiden, denn die bekannten Naturgesetze gelten in diesem Schattenreich nicht.
Xand, ein Kontinent, von dem lediglich der nördliche Teil auf der Karte zu sehen ist, ist eine altägyptisch charakterisierte, Jahrtausende alte Hochkultur. Das mächtige Imperium Xis wird seit Generationen autokratisch von einem Gottkaiser, dem Autarchen regiert. Nachdem Jahrhunderte lang kaum Kontakte zwischen Eion und Xand bestanden, ändert sich zu Beginn der Geschichte die Situation und der Autarch scheint sein Imperium auf den nördlichen Kontinent ausweiten zu wollen. Zudem scheint sich die Schattengrenze nach Süden zu verlagern, das alte, auch als „Die Elben“ bezeichnete Volk der Quar streben offensichtlich eine Rückeroberung ihrer alten Gebiete und ihrer früheren Festung, der Burg „Südmark“ an.
Prinzregenten, Funderlinge und ein Kind, das aus dem Schatten kam
Für die Königsfamilie Eddon, Herrscher über die Südmark und die Markenlande, ist nichts mehr, wie es mal war. Der Lordprotektor von Hierosol hat König Olin entführt und gefangen genommen. Seinen Platz hat der älteste Sohn Kendrick eingenommen, der nun vor eine schwere Entscheidung gestellt wird; Soll er seine Schwester Briony an den Lordprotektor Ludis verkaufen, um damit sowohl die Lösegeldsumme für seinen Vater auf ein Fünftel herabzusetzen, als auch einen Verbündeten im Kampf gegen Xis zu gewinnen?
Kendrick wird keinen Entschluss mehr fassen können, denn ein Unbekannter ermordet ihn brutal. Seine jüngeren Geschwister, die 15 jährigen Zwillinge Barrick und Briony müssen die Thronfolge antreten und werden gleich mit schwerwiegenden Konflikten konfrontiert. Die Einigung mit Hierosol steht weiterhin aus, der Mörder des Prinzregenten muss überführt und gefangen genommen werden und das Gebiet der Südmark scheint auch in einiger Entfernung zur Schattengrenze nicht mehr sicher zu sein. Eine Handelskarawane verschwindet spurlos, ein Überlebender berichtet von einem Überfall durch schaurige Gestalten im Nebel.
Die Südmark befindet sich an der Schwelle zu gravierenden Veränderungen und die politischen Amtsträger der Markenlande intrigieren und schachern um Macht und Positionen in dem geschwächten Königreich, ein Zweifrontenkrieg scheint unvermeidlich zu sein.
Auch an den anderen in der Mark lebenden Völkern geht dieser Wandel nicht spurlos vorüber. Chert Blauquarz, ein Angehöriger des kleinwüchsigen Funderling-Volkes, findet mit seiner Frau Opalia in unmittelbarer Nähe der Schattengrenze ein Kind der „Großwüchsigen“, einen menschlichen Jungen. Ein Reiter, des aus dem Zwielichtland kam, hat ihn dort zurück gelassen, im Prolog erfährt der Leser, dass der König der Quar selbst das Kind zu den Menschen zurück schicken ließ. Der Kleine kann sich an Nichts aus seiner Vergangenheit erinnern. Die Funderlinge nehmen ihn als Ziehsohn auf, Chert wird in der Vaterrolle allerdings zunehmend gefordert. Der Junge besitzt einige sehr rätselhafte Artefakte, deren Geheimnisse Chert zu ergründen versucht und er entwischt seinem Ziehvater immer wieder. Schließlich muss Chert einen sehr mühsamen Weg auf sich und die Hilfe einer daumengrossen Spezies, der Dachlinge, in Anspruch nehmen, um seinen Ziehsohn an einem mysteriösen Ort wiederzufinden.
Menschen und Völker in einzigartiger Charaktervielfalt
Tad Williams hat, was Schauplätze und vor allem die Charaktere angeht, in „Shadowmarch – Die Grenze“ wieder seinen einzigartigen Ideenreichtum bewiesen. Etwas schwächer gezeichnet, sind lediglich die Charaktere der Zwillinge Barrick und Briony. Die Gegensätze in ihren Rollen, einerseits als Entscheidungsträger und Regenten des Königreichs, andererseits als pubertierende und total verunsicherte Teenager, sind zu stark ausgeprägt. Ihre Verhaltensweisen wirken teilweise aufgesetzt, Briony mal eine Spur zu überlegen, Barrick manchmal zu weinerlich. Beide Charaktere sind jedoch ausbaufähig und einige Ansätze verdeutlichen bereits, dass beide mit speziellen Fähigkeiten und Eigenschaften auf das weitere Geschehen Einfluss nehmen werden.
Die anderen wichtigen Charaktere sind individuell, lebendig und glaubwürdig gezeichnet und können vollständig überzeugen. Interessant charakterisiert sind zum Beispiel, der liebenswerte und pfiffige Funderling Chert, der kluge und mutige Hauptmann der Königsgarde Ferras Vansen und der geheimnisvolle Waffenmeister Shaso dan-Heza, einst Kriegsgefangener des Königs, danach unbarmherziger Ausbilder und Ratgeber, schließlich der in Ketten gelegte Mordverdächtige.
Einige Völker in Shadowmarch kommen dem Fantasy-Leser bekannt vor, die Funderlinge ähneln äußerlich Tolkiens Hobbits, ihre Lebensweise erinnert an die der Zwerge. Ein von den Menschen aus ihrem Territorium vertriebenes Ur-Volk, hat es auch im „Drachenbeinthron“ schon gegeben. Die Quar sind allerdings in ihrer Vielfalt als einzigartig zu bezeichnen, der ebenfalls verwendete Begriff „Elbenvolk“ verwirrt etwas, denn die Quar haben abgesehen von der Unsterblichkeit nichts mit Tolkiens Elben gemeinsam. Die Bezeichnung Quar ist ein Sammelbegriff für mehrere Völker, mit ganz unterschiedlichem Aussehen, Verhaltens- und Lebensweisen. Tad Williams hat in die Gestaltung der Quar Elemente der keltischen Mythologie einfließen lassen.
Wechselnde Perspektiven – eine übersichtlichere Anzahl an Handlungsebenen
Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, was die Handlung wohltuend auflockert. Dabei gelingt es Tad Williams, den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten, denn er setzt oft den schon zuvor erzählten Handlungsstrang aus der Erzählperspektive einer anderen Person fort.
Der Autor hat es glücklicherweise nicht nötig, ständig den Lesefluss durch Cliffhänger zu unterbrechen, nur um Spannung zu erzeugen, hier ist das Geschehen an sich mitreißend und interessant. Die Anzahl der Handlungsebenen ist in „Shadowmarch“ angenehm überschaubar, eine klare Verbesserung zu „;Drachenbeinthron“; und „Otherland“, wo man als Leser nicht immer den Bezug der einzelnen Geschichten zur Kernhandlung nachvollziehen konnte.
Die deutsche Übersetzung ist nicht so gut gelungen, der englische Text verdeutlicht die Unterschiede der Völker und die jeweilige Position der Figur durch sprachliche Nuancen, der deutsche Text wirkt dagegen etwas oberflächlich und fällt zudem noch durch einige schwere Fehler auf.
Obwohl dem Fantasy-Leser einiges vertraut erscheint, ist Tad Williams mit „Shadowmarch – Die Grenze“ ein großartig erzähltes, fesselndes und phantasievolles Werk gelungen, dass man Seite für Seite genießen kann. Ich freue mich jetzt schon auf den zweiten Teil „Shadowplay“.
Diese Rezension von mir, Eva Bergschneider, erschien bereits auf www.phantastik-couch.de
Shadowmarch - Band 1
Fantasy
Klett-Cotta
2005
814
Funtastik-Faktor: 78