Spritzige Fantasypersiflage
Die Geschichten zum Pen and Paper-Rollenspiel „Das schwarze Auge“ und natürlich seine zahlreichen „Elfen“Romane haben den Autor Bernhard Hennen zu einem der bekanntesten deutschen Fantay-Autoren gemacht. Bereits 2001 versuchte Hennen sich in einer etwas anderen Richtung des Genres, der satirischen Fantasy.
Zipfelmütze und Liebeskummer
Was hat sich Heinzelmann Wallerich nur dabei gedacht, als er gut sichtbar im voll besetztem Hörsaal der Dryade Neriella lautstark seine Liebe gesteht? Und das ausgerechnet vor der Samheimnacht, dem Abend, an dem die Heinzelmänner alle Hände voll damit zu tun haben, die Tore zwischen unserer und der Fantasywelt „Nebenan“ zu bewachen. Als Strafe bekommt Wallerich eine besondere Aufgabe von Nörghel, dem Ältesten im Rat der Kölner Heinzelmänner, zugeteilt. Er soll die Augen nach dem Grafen Cagliostro offen halten, denn der Wahrscheinlichkeitskalkulator des Alten hat Ärger mit dem eigentlich längst verstorbenen Bösewicht prophezeit.
Till hat nach der Abfuhr von seinem Professor, der seiner Magisterarbeit eine vernichtende Bewertung gab, eigentlich keine Lust, die Samheimnacht zu feiern. Weder der Alkohol, noch die Gesellschaft des Clans der Ui Talchiu, vermögen ihn aufzuheitern. Von den Tollkirschen der Druidin Mariana ganz benebelt, kann Till die Geisterbeschwörung nur stammeln, was ungeahnte Folgen hat. Ein Tor nach Nebenan öffnet sich und „Die Dunklen“ betreten die Welt der Menschen. Graf Cagliostro, sein ergebener Werwolf und der Erlkönig wollen die Welt zurückerobern, aus der sie und viele seltsame Märchengestalten von den Zwergen verjagt worden waren. Zur Rettung der Welt treten nicht nur die Heinzelmänner und tapferen Rollenspieler, sondern auch ein Kirchenfürst und eine Star Trek verehrende Frisöse in Aktion.
Unzählige Figuren …
Eine muntere Schar an Figuren aus dem Bereich der Fantasy, des Märchens und der Sagenwelt lässt Bernhard Hennen in seinem satirischen Roman auftreten. Fast alle wurden auf den ersten Seiten unter „Dramatis Personae“ beschrieben und in Gruppen sortiert.
Bernhard Hennen entfacht ein satirisches Feuerwerk, von dem jeder aus der realen Welt sein Fett weg bekommt, Rollenspieler ebenso wie Kirchenvertreter und Politiker. Da der Autor selbst aus der RPG-Szene kommt, ist ihm die Karikierung der Anhänger keltischer Rituale besonders stilsicher gelungen.
In „Nebenan“ trifft man nicht nur auf den Erlkönig, der sich als Öko-Terrorist verdingt, sondern auch auf die böse Hexe aus Hänsel und Gretel, die eine „Selbsthilfegruppe für Hexen mit Minderwertigkeitskomplexen“ gründet.
Schauplatz der verrückten Geschichte ist Köln, wo sich der sprichwörtliche Klüngel und klerikale Mafiastrukturen die Hände reichen. Hennen nennt häufig die exakten Ortsbezeichnungen, sodass sich „Nebenan“ wie ein Regionalroman liest. Die Kölner Heinzelmänner sind allerdings ganz anders dargestellt, als in der Kölner Sage. Als Technik-Freaks mit Hang zum experimentellem Chaos leben sie inkognito in unserer Welt und schützen uns vor „Nebenan“, meistens jedenfalls.
…in einer verworrenen Geschichte
Die Kernstory in „Nebenan“ um den Grafen Cagliostro, den Erlkönig, die Heinzelmänner und die keltischen Schaukämpfer hat der Autor strukturiert aufgebaut. Allerdings gelang es ihm nicht, alle Nebenfiguren in die Geschichte zu integrieren. Hennen eröffnete eine Reihe von Nebenschauplätzen, um seine vielen skurrilen Figuren in Szene zu setzen. Diese verzerren die Story allerdings, anstatt sie sinnvoll zu ergänzen. Obwohl jede Szene lebendig und amüsant erzählt wird, stören die vielen Handlungssprünge den Lesefluss erheblich. Hier wäre weniger deutlich mehr gewesen. Vielleicht hätte sich der Autor einige seiner Figuren für einen weiteren satirischen Fantasy-Roman aufheben sollen.
Mit Spannung kann „Nebenan“ ebenfalls nicht dienen, denn dafür ist das Geschehen zu einfach und voraussehbar. Zum Schluss vereint Hennen alle Protagonisten zur finalen Schlacht gegen das Böse. Die Überraschungsmomente wirken etwas bemüht, die Geschichte hätte ein knackigeres Ende verdient gehabt.
Der Roman lebt von seinen vielen pfiffig und grotesk überzeichneten Fantasy- und Realcharakteren, deren Aktionen und Dialoge einmalig witzig zu lesen sind. Leider ist die Handlung insgesamt zu zerfahren, um den Leser zu fesseln. „Nebenan“ ist Liebhabern der Fantasy-Satire, besonders denen aus der RPG-Szene wärmstens zu empfehlen. Wer darüber hinaus Wert auf eine logisch aufgebaute Story legt, sollte nicht zu viel erwarten.
Diese Rezension von mir, Eva Bergschneider, erschien bereits auf www.phantastik-couch.de
Fantasy
Piper
2001
544
Funtastik-Faktor: 67