Der Spiegel der Erinnerung – Ian Irvine

Verheißungsvoller Serienauftakt

Der Spiegel der Erinnerung-Ian Irvine © Bastei-Lübbe

Fünf Bände wird das Epos „Die drei Welten“, mit dem der australische Meeresbiologe Ian Irvine bereits in seiner Studienzeit begann, einmal umfassen. „Der Spiegel der Erinnerung“ heißt der deutschsprachige Auftaktroman, der in Australien 1998 unter dem Titel „A Shadow on the Glass“ erschienen ist. Als interessierter Leser fragt man sich, ob uns ein lange verborgenes Juwel des Genre erreicht, oder der Fantasy-Hype ein weiteres Treibgut angeschwemmt hat.

Die Magie des Erzählens

Llian, ein Angehöriger der ungeliebten Volksgruppe der Zain, ist Student am Kollegium der Historien von Chanthed. In der Nacht des Abschlusserzählens präsentiert er seine Version der ersten und größten Erzählung, die „Geschichte der Düsternis“. Diese endet mit einer bis dahin unbekannten Enthüllung über den Mord an der ersten Chronistin. Llian erhält seinen Titel als Meisterchronist, die Resultate seiner Arbeit werden jedoch wie gefährliche Informationen behandelt und unzugänglich eingeschlossen.

Wistan, der Direktor des Kollegiums, verbannt Llian aus Chanthed und erteilt ihm einen letzten Auftrag. Er soll für den Zauberer Mendark, der Llians Studium finanziert hat, denjenigen finden, der den Spiegel von Aachan gestohlen hat.

Auf der Suche

Karan, Nachfahrin der Völker zweier Welten und eine Empfindsame, sitzt im Auditorium des Abschlusserzählens und sendet gedanklich eine Frage an den Chronisten Llian, die ihn nicht ruhen lassen wird: „Wer hat sie ermordet?“. Kaum ist Karan wieder zu Hause in Gothryme angekommen, erscheint Maigraith, eine Magierin, die einst ihr Leben rettete. Sie fordert Unterstützung für ein unmöglich erscheinendes Vorhaben. Maigraith will im Auftrag ihrer Herrin Faelamor den Spiegel von Aachan stehlen, den der Tyrann Yggur in seiner Festung Fiz Gorgo versteckt.

Auf der Suche nach der Wahrheit über den Spiegel, den alle großen Zauberer der Völker Santhenars besitzen wollen, kreuzen sich Llians und Karans Wege.

Drei Welten und vier Völker

Die Ausgangssituation mit den drei verschiedenen Welten Aachan, Tallallame und Santhenar erinnert ein wenig an Science-Fiction, die Handlung in „Der Spiegel der Erinnerung“ konzentriert sich jedoch auf Santhenar. Ian Irvine erläutert am Anfang in Llians „Geschichte der Düsternis“ kurz die Welten übergreifende Historie und führt ihre Rassen ein. Es fällt jedoch nicht leicht, sich in diese Geschichte einzulesen, die so viele Völker unfreiwillig vereint hat. Immer wieder muss der Leser nachvollziehen, zu welcher Rasse und zu welchem Volk der jeweilige Akteur gehört und wie er in das Gesamtbild einzuordnen ist. Glücklicherweise besteht die Möglichkeit, in dem gut sortierten Glossar am Ende des Buches nachzuschauen.

Weitere Hintergründe erschließen sich durch die Handlung, in der nicht wirklich viel passiert, die aber den Grundstein zu einer faszinierenden Geschichte legt.

Fantasy-Elemente in neuem Licht

Ian Irvines Charaktere sind keine Unbekannten: Magier, Heiler und Personen, die Gedanken beeinflussen und Gefühle erspüren können. Wer allerdings klassische Helden erwartet, wird enttäuscht. Irvines Figuren haben trotz ihrer magischen Fähigkeiten wenig Überlegenes an sich. Sie begehen Irrtümer, treffen falsche Entscheidungen und hadern mit sich selbst.

Die hier vorgestellte Magie ermöglicht mit unterschiedlichen Mitteln eine Manipulation des Geistes. Karan setzt ihre besonders sensiblen Gefühle ein, Maigraith ihren Verstand und auch der Meisterchronist Llian kann mit seiner Stimme die Wahrnehmung seiner Zuhörer beeinflussen.

Eine stereotype „Gut-Böse“-Klassifizierung gibt es nicht. Die kulturellen Unterschiede der Rassen und Völker und daraus resultierende Konflikte prägen die Historie der drei Welten. Ungewöhnlich ist, dass trotz der Feindschaft der gegeneinander agierenden Parteien, Erbarmen und Respekt der Handlung oft eine überraschende Wendung geben. So erinnert Ian Irvines Roman oft an die „Erdsee“-Werke der Amerikanerin Ursula K. Le Guin.

Der Autor verwendet die Fantasy-Elemente sparsam und setzt stattdessen mit seinen vielschichtigen Charakteren die entscheidenden Akzente. Auch Geschichte und Hintergründe in „Der Spiegel der Erinnerung“wirken ausgereifter, als in den meisten Fantasy-Werken.

Irvines Sprache begeistert den Leser mit unaufdringlicher Eleganz. Der erste Roman des „Die drei Welten“ Zyklus verspricht Fantasy-Fans den Auftakt zu einer tiefgründigen Saga, die den Vergleich zu anderen großen Epen des Genre nicht zu scheuen braucht.

Diese Rezension von mir, Eva Bergschneider, erschien bereits auf www.phantastik-couch.de

Der Spiegel der Erinnerung
Die drei Welten Serie- Band 1
Ian Irvine
Fantasy
Bastei-Lübbe
2007
382

Funtastik-Faktor: 85

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