Rasante Jagd nach Mysterien zwischen Himmel und Hölle
Tad Williams kennen wir vor allem aus seiten- und bandreichen Fantasy-Epen wie „Der Drachenbeinthron„, “Otherland„ und “Shadowmarch„. Im Video-Interview mit Phantastik-Couch kündigte Tad Williams bereits an, dass seine neue Serie, die Bobby-Dollar-Bücher anders werden, kürzer und mit abgeschlossenen Handlungen. Davon wollte ich mich möglichst schnell selbst überzeugen – und las „The Dirty Streets of Heaven“, den ersten Band der Bobby-Dollar-Serie als englischsprachige Originalausgabe.
Ein Engel ist auch nur ein Mensch
Auf Erden heißt er Bobby Dollar, im Himmel Doloriel und er ist ein Engel. Nicht so wie man ihn sich im christlichen Sinne vorstellt, denn Bobby Dollar erliegt als erdgebundener Engel menschlichen Schwächen. Aber er macht einen wichtigen Job im Namen des Herrn, er vertritt als Anwalt die verstorbenen Seelen an ihrem Todestag vor dem endgültigen Gericht. Waren es gute Seelen, kommen sie in den Himmel, den Sündigen droht das Fegefeuer, doch Bobby Dollar schlägt gegen die Ankläger der Hölle so viel ewige Glückseligkeit heraus, wie er kann.
Nach dem Tod des beliebten Geschäftsmanns Edward Walker passiert das Unmögliche; die Seele verschwindet. Bobby Dollar, der den Fall für seinen Freund Sam übernommen hat, erscheint mit Grasswax, dem Ankläger aus der Hölle, in der Zwischenwelt und niemand kann erklären, was aus Walkers Seele geworden ist. Doch damit nicht genug, kurze Zeit später wird Grasswax vernichtet. Wie Engel sind auch die Vertreter der Hölle unsterblich. Doch mit erheblicher Gewaltanwendung kann man die Geschöpfe des Himmels und der Hölle zerstören und Grasswax´ Killer hat keine Mühen gescheut. Damit beginnt eine wahre Hetzjagd auf den Advokaten, angeblich weil er einem mächtigen Dämon ein wichtiges Artefakt gestohlen hat. Die Heiligen des Himmels halten sich seltsam bedeckt und Bobby Dollar deckt eine Verschwörung auf, die alles in Frage stellt, was er bisher über das Gute und Böse zu wissen glaubte.
Tad William enters Urban Fantasy
Tad Williams hat in unserem Video-Interview nicht zu viel versprochen, daher eine ´Warnung’ vorab, die Bobby-Dollar- Bücher sind wirklich nicht mit den bekannten Werken des Autors zu vergleichen. Wer lange, epische Geschichten an zahlreichen Schauplätzen und mit ausführlichen Hintergründen erwartet, wird enttäuscht sein. Was auch bereits aus Leserkommentaren zu dem Buch hervorgeht.
„The Dirty Streets of Heaven“ reiht sich in die Riege derjenigen Romane um Himmelsgeschöpfe und Dämonen ein, die sich eher wie ein Krimi als wie Fantasy lesen. Kein opulenter Weltenbau, die Schauplätze sind einer größeren Stadt in Nordkalifornien nachempfunden, Tad Williams gibt ihr den bezeichnenden Namen San Judas. Immerhin lässt er uns einen Blick in den ´Himmelstempel’ werfen und schöpft hier wieder aus einem prall gefüllten Fundus an originellen Ideen.
Erzählt wird lediglich in Ich-Form aus der Sicht des Protagonisten Bobby Dollar. Der Autor verzichtet also darauf, Sichtweisen anderer Figuren zu berücksichtigen, weitestgehend auch auf deren Lebensgeschichten. Zumal es da nicht viel zu erzählen gäbe, denn die Engel erinnern sich nicht an die Person, die sie waren, als sie auf Erden wandelten. Von Bobby Dollar und seinem Freund Sam erfahren wir allerdings, dass sie zu einer Counterstrike Einheit „The Harps“ gehörten und gegen die Dämonen um die Vorherrschaft auf der Erde gekämpft haben.
Vor diesem Hintergrund spielt sich eine mysteriöse Verschwörung und wahnwitzige Jagd buchstäblich um Leben und Tod ab, die selten Verschnaufpausen einlegt. „The Dirty Streets of Heaven“ dürfte des Autors Buch mit der schnellsten Handlungsgeschwindigkeit sein, wer in anderen Williams Werken Längen beklagt hat, wird sich mit Bobby Dollar besser unterhalten fühlen.
Die Hauptfigur selbst kommt wie ein Detective der Noir-Schule daher, schnoddrig, stets einen herb-witzigen Spruch auf Lager, zwischen den Zeilen tiefgründig über Gott und die Welt philosophierend. Tad Williams baut einige augenzwinkernde Seitenhiebe auf die amerikanische Gesellschaft ein. Des Weiteren lernen wir Sam kennen, der ein ganz ähnlicher Typ wie Bobby ist und das Wer-Schwein Fatback, die skurrilste Figur der Geschichte. Mit einer sexy Dämonin hat Bobby eine heiße Affäre und einige weitere mehr oder minder schräge und monströse Figuren halten den Engel auf Trab.
Sicherlich hat Tad Williams mit „The Dirty Streets of Heaven“ die Urban Fantasy nicht neu erfunden. In den meisten seiner Romane übernimmt der Autor vorhandene Genremuster, was aber keineswegs dazu führt, dass sie anderen Büchern ähneln. Denn in dem gewählten phantastischen Rahmen findet Tad Williams einzigartige Figuren, die ihm ihre Geschichten anvertrauen und diese präsentiert der Autor mit überbordender Fantasie und Erzähltalent. In „The Dirty Streets of Heaven“ sind es dynamische, actionreiche Geschichten, gruselig und dennoch mit herzhaftem, mitunter spitzfindigem Humor erzählt, garniert mit einem Schuss Erotik.
Tad Williams hat es mit diesem Auftakt der Bobby-Dollar-Reihe geschafft, seine Arbeit neu zu definieren und weiterhin glänzend zu unterhalten. Hoffen wir, dass die Bücher bald in Deutsch erscheinen. Der nächste Bobby-Dollar-Band „Happy Hour in Hell“ ist schon fertig und seine Veröffentlichung wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Diese Rezension von mir, Eva Bergschneider, erschien bereits auf www.phantastik-couch.de
Bobby Dollar - Band 1
Fantasy
DAW Penguin
2012
406
Funtastik-Faktor: 85%