Ohne TOD wäre das Leben auf der Scheibenwelt nur die Hälfte wert
Die „TOD“-Reihe der Scheibenweltromane ist nicht so umfangreich wie z.B. die „Wachen“ oder die „Zauberer“-Reihe, aber vielleicht gerade deswegen besonders interessant. Der erste Roman mit diesem skurrilen Gesellen „Gevatter Tod“ erschien 1990 in Deutsch und wurde von Fantasy-Fans begeistert gelesen. „Alles Sense“ kam 1994 in deutscher Übersetzung heraus und kam bei den Lesern mindestens genauso gut an. Kein Wunder also, dass inzwischen noch weitere „TOD“-Romane, wie „Rollende Steine“, „Schweinsgalopp“ und „Der Zeitdieb“ erschienen sind.
Auch ein Zauberer muss sterben
Die Zauberer der Scheibenwelt haben gegenüber den anderen Bewohnern den Vorteil, dass sie den Zeitpunkt ihres Todes voraus sehen. So können Magier, deren Ende naht, rechtzeitig ihre Angelegenheiten regeln und Freunde und Kollegen einen Abschied vorbereiten, der ganz nach den Bedürfnissen des bald Verschiedenen gestaltet wird. – ÜBERRASCHUNG ! –
Doch was ist, wenn der soeben Verstorbene die Augen öffnet und in sein Zimmer gehen möchte, dass bereits an den Nachmieter übergeben wurde? Das ist auch für den Betroffenen Windle Poons keine einfache Situation. Was kann er schon den ständig fragenden Kollegen auf dem Campus der Unsichtbaren Universität anderes mitteilen, als: „TOT JA ! FORT NEIN !“. Zahlreiche Versuche, das Versäumte nachzuholen, scheitern, denn weder der schlammige Grund des Ankh kann Windle Poons ins Jenseits befördern, noch führt das Begräbnis unter der meist befahrenen Straßenkreuzung der Stadt Ankh-Morpork zu dem gewünschten Ergebnis. Nur gut, dass die Selbsthilfe-Gruppe der Untoten eine Visitenkarte am Sargdeckel hinterlassen hat.
Zu viel Vitalität durch Lebensenergie!
Windle Poons ist nicht der oder das Einzige, was auf der Scheibenwelt zuviel vorhanden ist. Da wären noch die kleinen Glaskugeln, in denen die Miniaturform der Universität oder des Patrizierpalastes mit einer malerischen weißen Schneedecke überzogen wird, nachdem sie geschüttelt wurden. Sie entstehen spontan in einem Keller mit leisem Plop und werden von Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin Schnapper für sieben Cent verkauft. Im Garten der Unsichtbaren Universität wachsen obendrein pulsierende, alles verschlingende Komposthaufen und es erscheinen glänzende, mit kleinen Rädern versehene Drahtkörbe.
Der Erzkanzler Ridcully, der Dekan und der Quästor versuchen diese seltsamen Phänomene mit allen Mitteln zu bekämpfen. Windle Poons und seine sonderbaren neuen Freunde, darunter ein Medium namens Frau Kuchen, der Vampir Arthur und Schleppel, ein schwarzer Mann, bemühen sich darum, eine Erklärung zu finden. Ein Mann Kübel, Frau Kuchens Kontaktgeist, glaubt, dass viele Leben zu Ende gehen, ohne zu verschwinden. Und was ist die Ursache für diesen Überfluss an Lebensenergie?
TOD genannte leben länger?
TOD wurde vom Dienst suspendiert, aber wenigstens durfte er sein Pferd Binky behalten. Es ist ungewohnt für ihn, auf einmal eine Lebensuhr in der Hand zu halten und seine Lebenszeit verrinnen zu sehen. Doch TOD versucht, das Beste daraus zu machen, schließlich hat er nun Zeit, die genutzt werden will.
TOD reitet zu Frau Flinkwerts Farm und wird als Erntehelfer eingestellt, denn er verfügt über die wichtigste Qualifikation: Er kann mit einer Sense umgehen. TODs Technik, Halm für Halm zu mähen, ist zwar ungewöhnlich, aber erstaunlich effizient.
Der Einfachheit halber, lässt er sich Bill Tür nennen und teilt von nun an Frau Flinkwerts beschauliches Leben auf dem Land, das lediglich durch das Erscheinen eines monströsen Mäherunddreschers getrübt wird.
Doch schließlich taucht der neue TOD auf, ein arrogantes Ekel mit ausgeprägtem Hang zur Selbstdarstellung, dem der Stil und das Einfühlungsvermögen seines Vorgängers völlig abgehen. Der alte Gevatter beschließt daraufhin, das Feld nicht kampflos zu räumen.
Ein liebenswerter Charakter…
…hat in „Alles Sense“ endlich seinen festen Platz in einer eigenen Scheibenwelt-Reihe bekommen. TODs unfreiwillige Frühpensionierung bildet die Grundlage für eine grandiose Geschichte auf der Scheibenwelt voller Klamauk und schrägem Humor. Allein die Idee, TOD mit dem ganz normalen Leben zu konfrontieren, ist grandios und bietet eine breite Plattform für absurde Situationskomik und schräge Dialoge. Wer hätte gedacht, dass man dem Tod so viele liebenswerte und menschliche Seiten abgewinnen kann?
Wie jeder Scheibenwelt-Roman, ist auch dieser aus der Sicht mehrere Personengruppen geschrieben. Die Handlung wird aus TODs Perspektive, aus der Sicht der Zauberer und der von Windle Poons und seinen Gefährten geschildert. Jede einzelne Person wird dabei liebevoll mit individuellen Marotten und Macken charakterisiert. So trifft der Leser auf einen Vampir mit Höhenangst und auf einen schüchternen schwarzen Mann, der sich hinter einer Tür versteckt. Sogar der Beginn einer beinahe unmöglichen Romanze, ist ein Thema dieser verrückten Geschichte. Frau Kuchens Tochter Ludmilla, eine Wehrwölfin, begegnet Lupin, dem Wolf, der sich bei Vollmond in einen Mann verwandelt.
Genial bis an die Grenze zur Albernheit
Terry Pratchett schafft es, durch seine ganz eigene Art der absurd-komischen Fantasy, seine Leser zu fesseln und mit ausgefallenem Humor zu unterhalten. Ob sich nun TOD gegen die Maschinisierung wehrt oder ein Untoter für die Rechte der Gestorbenen kämpft, das Lachen kann sich der Leser nur schwer verkneifen. Terry Pratchetts Ideen begeistern einfach durch Kuriosität und Einfallsreichtum. Dabei gelingt es Pratchett sogar, seine Geschichte zu strukturieren und ihr einen gut erzählten Spannungsbogen zu verleihen. Der Plot mündet in ein wahres Feuerwerk aus grotesker Fantasy mit hintergründig eingeflochtener Zeitkritik.
Terry Pratchtts „Alles Sense“ ist humoristische Fantasy der Extra-Klasse, ein ganz besonders gelungener Roman der mittlerweile sehr umfangreichen Scheibenwelt-Saga. Obwohl „Alles Sense“ nicht der erste Roman, mit der Hauptfigur TOD ist, kann er dennoch als „Einstiegsdroge“ gelesen werden. Die Handlung ist abgeschlossen und die Charaktere werden so detailliert vorgestellt, dass Vorwissen aus anderen Scheibenweltromanen nicht notwendig ist.
Diese Rezension von mir, Eva Bergschneider, erschien bereits auf www.phantastik-couch.de
Scheibenwelt-Romane
Fantasy
Goldmann
1994
258
Funtastik-Faktor: 88%