Der Höllenexpress – Christopher Fowler

Der Höllenexpress © Luzifer-Verlag
Der Höllenexpress © Luzifer-Verlag

Nachdem er sich mit der Produktionsetage von Roger Cormans AIP-Gesellschaft überworfen hat, reist der amerikanische Drehbuchautor Shane Carter nach England, um sich mit Michael Carreras, dem Kopf der Hammer Films (gemeinhin „Hammer-Studios“ genannt) zu treffen.

1966 machen sich erste Anzeichen von  Hammers verblassendem Ruhm bemerkbar. Gepflegter viktorianischer Horror ist ein Auslaufmodell, die Geschichten um Dracula, Frankenstein oder die Mumie scheinen ausgereizt. Verzweifelte Versuche den blutsaugenden Grafen in die Gegenwart zu transformieren, werden sich als wenig erfolgreich erweisen und auch die Kooperation mit den Shaw-Brothers wird keinen neuen Schub bringen. Englische Vampire küssen zwar blutig, doch mit Martial Arts haben sie es nicht so. Anders als die herumhüpfende asiatische Variante.

„Psycho“ hat längst seine blutigen Spuren hinterlassen und weder Serienkiller noch mysteriöse, brachiale Metzelmeister brauchen Reißzähne. Und was das Anrühren von Blutsuppe angeht, sind Regisseure wie Herschell Gordon Lewis den hausbackenen Rotwurst-Rezepten von Hammer  längst weit voraus. Graf Dracula und der sanft dahindösende Dr. Frankenstein sind längst im Land der Parodien angelangt. Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ setzt (fürs Erste) einen mehr als würdigen Schlusspunkt, abseits von Hammer, wenn auch mit verwandter Ästhetik,  und Mel Brooks macht aus Frankensteins Junior-Monster, in einer komödiantischen Tour de Force, einen libidinösen Sozialrebellen. Jahrzehnte später wird Brooks mit seiner Graf Dracula-Veralberung „Liebe auf den ersten Biss“ allerdings Schiffbruch erleiden.

Noch zehrt Hammer vom Erfolg verheißenden Ruf (und wird auch bis in die Siebziger den ein oder anderen Semi-Klassiker wie „Twins of Evil“ („Draculas Hexenjagd“) und „Vampire Circus“ („Circus der Vampire“)  herausbringen) und liefert sich, besonders was Episodenfilme angeht, einen harten Konkurrenzkampf mit Milton Subotskys  Amicus-Studio.

So passt es Carreras gut, einen ambitionierten Autoren aus den USA zu treffen. Er gibt ihm knappe fünf Tage Zeit ein Manuskript einzureichen. Keinen Entwurf, sondern ein fertig entwickeltes Drehbuch.
Carter willigt ein und zwischen Montag und Freitag entsteht  die Geschichte „Der Höllenexpress“.

1916 in den Karpaten angesiedelt, treiben die Kriegswirren eine Handvoll Menschen in den titelgebenden Zug. Auf eine Fahrt ohne die Möglichkeit unterwegs aussteigen zu können – ohne dabei zu sterben – ohne Wissen um die Endstation. Stattdessen Prüfungen, Begegnungen mit Ängsten und Verlockungen, die zum Untergang führen, wenn man ihnen nachgibt. Zumindest theoretisch besteht die Chance geläutert aus den Versuchungen und blutigen Kämpfen mit Untoten hervorzugehen.  Der sinistere Zugführer lässt aber durchblicken, dass die Aussicht auf Rettung gegen Null tendiert.
Der halbseidene Globetrotter Nicholas, die zunächst etwas unbedarft erscheinende, entführte Braut Isabella und das verheiratete Paar Thomas (protestantischer Pastor mit ausgeprägten Gelüsten) und Miranda (Material Girl) haben keine Wahl. Sie müssen sich ihren und anderen Dämonen stellen.
Am Ende wird Shane Carter von Studioboss Michael Carreras erfahren, ob sein Drehbuch verfilmt wird. Es ist nicht die Hölle, aber eine finstere Prüfung allemal.

„Der Höllenexpress“ ist eine Huldigung an unabhängige (Grusel)-Filmstudios und jene Art Filme für die sie stehen. Im besten Fall effizienter und stilvoller Kinostoff, der sich nicht scheut Grenzen mit rotem Lebenssaft einzufärben, dabei aber meist und in der ersten Jahren gewinnbringend auf Stimmungen, Ambiente sowie starke und wiedererkennbare Schauspielerpersönlichkeiten (die nicht unbedingt perfekt im Method Acting sein mussten) setzte. Im schlimmsten Fall kam billig hingeschluderte Dutzendware heraus, die im Falle der Hammer-Studios meist selbst dann noch reizvolle Ecken und Kanten besaß, da es dort genügend inspirierte Handwerker gab, die mit Limitationen umzugehen wussten.

Christopher Fowler macht keinen Hehl aus den Schattenseiten dieser patriarchalisch geführten  Gewerbetriebe. Er zeichnet Michael Carreras, der das Hammer-Studio seinem Vater abkaufte,  als charismatischen Produzenten, von ansteckender Begeisterungsfähigkeit, der aber eindeutig zu jener Sorte Mensch gehört, die sich ein Fünf-Gänge-Menü bestellen, die Speisen mit anerkennenden Worten preisen, um nach der Suppe zu verkünden, dass man satt sei und das Geld eh nicht für mehr reiche.  Shane Carter, obwohl bereits in den USA von einem ähnlichen Betrieb ausgemustertes und gebranntes Kind, erliegt, auch dank der amourösen Mithilfe der attraktiven Produktionsassistentin Emma Winters, und entwirft binnen Kurzem die Geschichte des „Ärzengels“, jenes unheilvollen Zuges, dessen Zielbahnhof Verdammnis heißt. Oder Erlösung?

Die Geschichte entwickelt sich gemächlich aber stilvoll, führt erst den moralisch ambivalenten Abenteurer  Nicholas Castleford ein, der mit der Chelmsker Dorfschönheit Isabella anbandelt, die sich im Lauf des Romans zur zentralen Figur entwickelt. Die Geschichte nimmt, je weiter der Zug vorankommt, an Tempo auf, setzt dramatische und blutige Einschnitte, lässt einen Ghul wüten, eine Medusa ohne Schlangenhaupt Lebensenergie rauben und einen gefräßigen, exotischen Käfer neue Körperöffnungen bohren. Vergisst dabei nicht Fragen der Ethik und möglichen Moral in Kriegszeiten sowie einer Philosophie der letzten Tage zu skizzieren. Immer wieder garniert mit sarkastischem Humor und handfesten Aktionen. Zum Ende hin steigert sich die Geschichte in apokalyptische Regionen, einen Alptraum mit dezenten Steampunk-Anleihen, dessen Ursprung aber gnadenlose Ausbeutung und Ausnutzung menschlicher Ressourcen ist. Kein besonders neues Motiv, aber wie Fowler es einsetzt und variiert, den Untergang geradezu spielerisch und mehrdimensional  auflöst, macht einen Höllenspaß.

Nicht ganz so viel Spaß macht die deutschsprachige Bearbeitung des Romans. Die Übersetzung kommt recht steif und mitunter ziemlich ungelenk daher und wird vom Lektorat bisweilen im Stich gelassen. Es wird „geschupst“, dass es ein Graus ist, was dem Text zwar einen gewissen kindlichen Charme gibt, der Spannung aber enorm abträglich ist. Ebenso das Bild eines alten Mannes, wenige Seiten später,  mit einem Bajonett im Unterleib, den man „ausweitete“. Unweigerlich erscheint die Vision eines Höllenzugs mit Gängen, denen Gedärme als Auslegeware dienen. Wo ist bloß ein Jägersmann mit Kenntnissen im Ausweiden, wenn man ihn braucht?

Dessen ungeachtet bekommt das Buch eine dicke Leseempfehlung, denn Fowlers Beschwörung einer vergangenen Epoche, eigentlich sogar zweier, macht Lust und Laune. Auch darauf, die alten Hammer-, Amicus-, Corman-Filme wiederzusehen.

Der arme Shane Carter begeht leider mehrere Fehler, trotz eines, vor allem in der Eile klug und komplex ausgedachten Drehbuchs. Es gibt für Peter Cushing und Christopher Lee nur Nebenrollen,  Nicholas ist einer jenen jungenhaften Helden, die laut Carters eigener Aussage in Hammer-Produktionen eher blass bleiben. Hammer und Massenszenen in Kriegszeiten, eine megalomanische Fabrik mit Apparaturen, die Metropolis blass aussehen lassen? Eine antike Lok, Special Effects en masse – wer soll das bezahlen? Und nicht zuletzt – Amicus‘ Episodenfilm „Dr. Terror’s House of Horrors“ („Die Todeskarten des Dr. Schreck“) aus dem Vorjahr, mit Cushing und Lee besetzt, spielte ebenfalls an Bord eines Zuges.
Wie auch immer es ausgeht, die Rolle als wehmütiger Chronist wird Shane Carter niemand nehmen. Auch wenn der schleichende Untergang der Hammer-Studios sich noch fast ein Jahrzehnt hinziehen wird.

Einer der Gründe wird am Ende klammheimlich, deutlich und überaus witzig aufgeführt. Wenn der Kopf eines autokratischen Systems verkennt, was zukunftsträchtig ist, können die Angestellten noch so fit sein … the future is uncertain and the end is always near…

„Ich meine – die Hölle! Wumms, schon ist das Budget dahin. Und all diese untoten Passagiere. Ich glaube, wir haben das alles schon ganz gut in „Nächte des Grauens“ abgedeckt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Zombies eine große Zukunft haben werden. Sie etwa?“

George A. Romero sieht auf Michael Carreras und seine fehlerhafte Einschätzung der Zugkraft wandelnder Toter herab und lächelt mitleidig.

Hammer stirbt. Und wird 2008 wiedergeboren. Dank John De Mol, dem Mann, dem wir die „Traumhochzeit“ verdanken. Der via Myspace lancierte Kompilationsfilm „Beyond the Rave“ war noch nicht der große Erfolg, der erste Kinofilm „Wake Wood“ (2009) schon eher; spätestens „Die Frau in Schwarz“ (2011) mit Harry Potter als somnambulem Geisterversteher sorgte für Anerkennung und schwarze Zahlen. Ganz ohne Zombies. Totgesagte leben länger. Wer sollte das besser wissen, als jene Institution, die Graf Dracula wieder und wieder ins untote Leben zurückholte?

Diese Rezension hat Gastrezensent Jochen König geschrieben – Vielen Dank!

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Der Höllenexpress
Christopher Fowler
Horror
Luzifer Verlag
Januar 2015
354

Funtastik-Faktor: 75

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