Appetithäppchen
Bekannte Namen lockten ein paar Unentwegte Mitte Mai 2018 an einem warmen Frühlingsabend in die Z-Bar in Berlins Mitte. Geladen hatte kein geringerer als Christian von Aster. Vor Jahrzehnten schon war er fasziniert von dem Triptychon „Der Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch. Und wie das als phantastischer Geschichten-Erzähler so ist, prasseln Ideen auf einen ein vor diesem Wimmelbild der Absonderlichkeiten – im Garten Eden, dem Paradies und der Hölle.
Um kurz auf die Sprünge zu helfen: Der Niederländer malte das Kunstwerk um 1500 – an der Schwelle des ausgehenden Mittelalters zur Neuzeit oder Renaissance. Es gehört unbestritten zu denen am kontrovers diskutiertesten Gemälde der Geschichte. Der Herr von Aster, einer der begnadetsten Geschichtenerzähler Deutschlands – mögen alle anderen begnadeten Geschichtenerzähler diese Wertung verzeihen -, versammelte Autoren verschiedener Couleur um sich, um dem Garten im Jahre 2018 zu neuer Wertschätzung zu verhelfen. Fünf davon hatten sich an diesem Abend eingefunden, um dem werten Publikum einen Einblick in ihre Geschichte zu geben.
Jeder der dreißig Autoren konnte sich einen Teil des Bildes aussuchen oder er wurde ihm zugewiesen. Das garantierte, dass jede der Geschichten einen anderen Aspekt dieses gewaltigen Meisterwerks, das 2,2 mal 3,9 Meter misst, behandelte.
Luci van Org begann mit dem Anfang, einer Schöpfungsgeschichte inspiriert durch den Brunnen im Garten Eden, in dessen Mitte eine Eule hockt: „Vogeltränke“.
In der Anthologie geben sich Namen der deutschen Phantastik-Szene die Klinke in die Hand. Als „Außenseiter“ kommt dazu der Krimi- und Thrillerautor der härteren Art, David Gray. Er las ein mysteriöses, sogar hoch romantisch zu nennendes Stück aus seiner Geschichte „Damenwahl“. Er ließ sich inspirieren durch den tanzenden Dachs, der der Legende nach Bosch während einer Kutschfahrt mit seiner Gattin so abgelenkt hatte, dass er nach dem Dachs sah, anstatt seine Gemahlin vor Räubern zu retten. Diese Feigheit verzieh sie ihm nie.
„Grausige Grüße“ signierte Sascha Dinse seine Geschichte „Lisbeth“. Oben rechts in dem Teil der Hölle gibt es ein Haus, aus dem Flammen schlagen. Sascha ist bekannt für seine kurzen, knackigen Geschichten und so konnte er sie in ganzer Länge lesen.
Michael Marrak, der diesjährige Seraph-Preisträger, widmete sich dem Sündenpfuhl im Paradies und erzählte einen Teil der „Parabel im Zwielicht“. Sie führte uns in ein Antiquariat, das einen Folianten beherbergt, der in altem Niederländisch geschrieben ist. Die Übersetzung der Seiten bringt ein Vermächtnis hervor. Ja, auch das mussten die Besitzer der Anthologie zu Hause allein zu Ende lesen.
Daniel Illger begleitete einen „Schäfer“ bei dessen Tagwerk, das jäh unterbrochen wurde, als – tja gespoilert wird nicht. Die Zuhörer hielten den Atem an. Daniel las die Geschichte so, als würde er sie einer Gruppe Kindern unter der Bettdecke erzählen, die danach die ganze Nacht nicht schlafen konnten. Beim Lesen der Geschichte zu Hause hatte ich seine Stimme im Ohr.
Robin Gates war aus dem hohen Norden eingeflogen, um uns in „Nachtmahr“ über einen alten walisischen Brauch aufzuklären, der mit dem Herumtragen eines Pferdeschädels an Silvester zu tun hat. Bildet Euch nicht ein, dass die alten Schrecken im Computerzeitalter gestorben seien.
Last but not least endete Christian von Aster mit dem Vorwort, um zu verkünden, dass es erfunden sei. Geschichtenerzähler eben – aber brillant ist es.
Mittlerweile habe ich mir die ein und andere Geschichte zuhause zu Gemüte geführt. Ursprünglich kein Fan von Kurzgeschichten, bin ich fasziniert und bewegt, von der einen mehr, der anderen weniger. Hier verrate ich ein paar Namen von Autoren, die sich im Garten der Lüste tummeln: Alex Jahnke, Sonja Rüther, Hagen Tronje Grützmacher, Mario Steinmetz, Axel Hildebrand, Tom Daut, Silke Lindenberger, Carsten Steenbergen, Sandra Baumgärtner, Christian Krumm, Ju Honisch, Isa Theobald, Christoph Marzi, Diana Kinne und Anja Bagus. Wenn Ihr sie nicht kennt: Es wird Zeit. Einen Riesendank an Holger Kliemannel von der Edition Roter Drache, dass er sich auf solche Projekte immer wieder einlässt. Uns allen zum Nutzen und Vergnügen.
Amandara M. Schulzke