Ratlos
Es geschieht nur selten, dass mich ein Roman so ratlos zurücklässt, wie „Neptunation“. Als ich das Buch endlich fertig gelesen hatte, hätte ich auf Anhieb nicht sagen können, was darin warum und wie geschah. Es war, als ob sofort nach dem Lesen der letzten Seite in meinem Kopf der Bereich meines Gehirns, in dem sich die Erinnerung an das Buch befindet, formatiert wurde.
Aber woran lag das? Ich habe den Roman also erneut in die Hand genommen. Und mühsam gelang es mir, Stück für Stück zumindest die Handlung zusammen zu puzzeln.
Das Buch, ein Science-Fiction-Roman, handelt davon, dass die Sowjetunion und die DDR eine Weltallexpedition ausschicken. Das Unternehmen scheitert, doch gleichzeitig erhalten sie ein Signal vom Neptun. Dreißig Jahre später wird ein Team zusammengestellt, das herausfinden soll, was damals schiefgelaufen ist. Die zusammengestellte Truppe ist international und bunt. Mit dabei ist zum Beispiel eine Schülerin, die mehr über die Sonne weiß als irgendjemand sonst. Oder eine irre Komponistin mit fundierten Kenntnissen in Superrobotik.
Was geschieht?
Gleichzeitig operieren diverse Geheimdienste, es gibt Verschwörungen, wie man sie kennt. Der Plot in „Neptunation“ verheißt eine Parodie, klingt wie eine lustige Geschichte. Doch in Wahrheit hat man es mit einem aufgeblähten Etwas zu tun, in dem der Autor Dietmar Dath gleich seitenweise über politische oder philosophische Erkenntnisse schreibt. Und das auf eine Art und Weise, die einen schnell anödet.
Das hauptsächliche Problem ist die Sprache, die der Autor wählt. Er neigt einerseits zu Schachtelsätzen, in denen man schnell die eigentliche Botschaft aus den Augen verliert. Gleichzeitig lässt er spannendes äußerst banal klingen und wichtige Aspekte der Handlung zu Nebensächlichkeiten verkommen. Stellenweise fühlt es sich beim Lesen so an, als habe er versucht, ein deutschsprachiges Lied in eine Handlung und einen halbwegs normalen Fließtext zu verwandeln. Wobei er allerdings auf ganzer Linie scheitert.
Man verliert einfach den Überblick, über das Geschehen, über die Protagonisten, über alles! Auf der nächsten Seite weiß man nicht mehr, was zuvor passierte. Fast scheint es so, als ob die Ereignisse beliebig sind. Als ob der Autor sie nach Lust und Laune niedergeschrieben hat, um sich an einem Spiel mit Worten und Sätzen zu erfreuen.
Und warum?
Gleichzeitig gibt es ebenfalls eine enorme Anzahl an Charakteren, die die Handlung tragen. Und auch hier wieder dasselbe Phänomen: Man vergisst schnell, welche Figur gerade wichtig ist und was ihre vorige Geschichte war. Ein Protagonist scheint eine Art Agentin des Lichts zu sein? Doch was das bedeutet… wie weggefegt.
Sicherlich wollte Dietmar Dath mit „Neptunation“ etwas ausdrücken, nur was? Anscheinend wollte er mit der Sprache experimentieren und mit der Wahrnehmung des Lesers. Es mag vielleicht Leser geben, die dies wertschätzen, die mit seinen Traktaten etwas anfangen können. Doch Menschen wie ich sind damit überfordert und müssen sich durch jede einzelne Seite durchkämpfen. Nur um dann am Ende mit großer Erleichterung das Gelesene aus ihrem Kopf zu löschen.
Nein, „Neptunation“ ist kein empfehlenswerter SciFi-Roman, es gibt wahrlich bessere. Dies ist einfach nur ein wildes Experiment, in dem der Autor an der Mehrheit der Leser vorbeischreibt. Und deshalb kann ich keine Empfehlung abgeben.
Götz Piesbergen
Science Fiction
Fischer Tor
September 2019
684
Nele Schütz Design
00
Ich muss gestehen, ich habe noch nie ein Buch von Dietmar Dath gelesen, obwohl sein Roman „Venus siegt“ schon länger bei mir im Regal steht.
Ergänzend, eventuell auch erhellend, empfehle ich das folgende Interview, welches Scheck mit Dath in „Druckfrisch“, im November 2019, geführt hat: https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/druckfrisch/videos/dath-dietmar-video-100.html
Es macht schon Spaß, den Gedankengängen Daths zu folgen, die am Ende dann doch alles offen lassen, aber definitiv neugierig auf seine Werke machen.
Danke für den Link, Stefan. Das werde ich mir definitiv mal anschauen. Ich bin gestern selber auf ein Interview gestossen, dass Dath mit Jürgen Kaube über Hegel führte. Ganz anderes Thema, aber war schon interessant. Du kannst mir glauben, wenn ich eine 0 Punkte Bewertung veröffentliche, dann schaue ich natürlich, was andere über das Buch schreiben. Klar, da gibt es das Statement von Denis Scheck und auch auf Teilzeithelden habe ich eine Besprechung gelesen, die mich glauben macht, dass die Autorin das Buch wirklich mochte. Bei allen anderen positiven Besprechungen hatte ich eher das Gefühl, dass sie sich nicht trauten, es zu verreissen. Am besten kommt das im Standard zum Ausdruck, https://www.derstandard.de/story/2000110964866/dietmar-dath-neptunation-oder-naturgesetze-alter
Fand ich doch sehr aufschlussreich. Einer der Gründe, warum ich Götz‘ Besprechungen mag, er schreibt immer genau, was er denkt und empfindet, ohne Rücksicht auf irgendwelche Literatur-Seilschaften. Also, Dietmar Dath ist zweifellos ein absolut kluger Mensch und bestimmt auch ein fähiger Autor. Aber mit „Neptunation“ hat er letzteres nicht unter Beweis stellen können. Ein Buch, das kaum les- und nicht verstehbar ist, ist am Leser vorbeigeschrieben und deshalb eben nicht gut. Liebe Grüße, Eva
Hallo Eva,
vielen Dank wiederum für Deine Informationen und Hinweise. Habe gerade den Artikel/die Rezension im „Standard“ gelesen; sehr interessant.
Irgendwann muss ich wirklich mal einen Dath lesen, denn dass es sich hier um einen sehr eloquenten Autor handelt ist offensichtlich unstrittig.
Wünsche Dir noch einen schönen Sonntag! Stefan
Danke für die Kaufwarnung, hatte es lange auf dem „vielleicht einmal“ Radar, nach Josefsons hier in den Kommentaren erwähnter Rezension.
Ich glaube ja auch, dass es in der Literaturkritik eine Art „des Kaisers neue Kleider“ Effekt gibt. Manche Werke mancher Autoren traut sich niemand mehr verreißen, sobald sie einige wohlwollende Stimmen aus einflussreichen Kreisen erhalten haben.
Hat man auch bei „GRM. Brainfuck“ gesehen.
Das Gefühl einem „des Kaisers neue Kleider“ Effekt zu begegnen, hatte ich in der Tat. Vermutlich kann man sich in bestimmten Kreisen tatsächlich nicht leisten, Dath zu verreissen. Da sind wir als kleiner Blog doch besser dran. 😉 Aber ich finde, Götz bringt es genau auf den Punkt: am Leser vorbei geschrieben.