Alle Zeit der Welt – Pia Biundo

Zukunftsmärchen über das Menschsein

Alle Zeit der Welt © Saphir im Stahl

Auf den ersten Blick wirkt „Alle Zeit der Welt“ von der Newcomer-Autorin Pia Biundo wie eine Episode aus „Raumschiff Enterprise“.

»Der Weltraum. Unendliche Weiten. Wir befinden uns in einer fernen Zukunft. Dies sind die Abenteuer des neuen Raumschiffs Enterprise, das viele Lichtjahre von der Erde unterwegs ist, um fremde Welten zu entdecken, unbekannte Lebensformen und neue Zivilisationen.« [Intro Star Trek Enterprise-The Next Generation]
Wir befinden uns 400 Jahre in der Zukunft auf dem Raumschiff „Bellatrix“. Zwar arbeiten keine Außerirdischen in dem mobilen Weltraumlabor, doch dessen menschliche Besatzungsmitglieder kommen dem Leser fremdartig genug vor. Auch für die neue Kommunikatorin Tsosie gilt es erst einmal die Crew kennen zu lernen, bevor ihre Arbeit richtig losgeht.

So macht sie Bekanntschaft mit gleich drei Technikern mit Namen Singh, die sich aufs Haar gleichen. Was unterscheidet die Klone voneinander? Auch der Optimat Jan Mikkelsen, erschaffen von einer Eliteschmiede für hochintelligente logisch denkende Menschen, wirkt exotisch. Für starke Gefühle scheint in seinem Superhirn kein Platz zu sein, oder trügt dieser erste Eindruck?

Unter der Führung der altgedienten Kapitänin Torrente gleitet das Forschungsschiff einer extraterrestrischen Intelligenz entgegen, die der Erde Signale gesendet hat. Noch ist es reine Spekulation, ob es sich bei diesem Wesen um eine Zivilisation handelt, die freundschaftlichen Kontakt zu den Menschen sucht, oder ob die Quelle des Signals feindlich gesinnt ist. Welche Folgen wird dieser Erstkontakt haben? All das herauszufinden wird Tsosies Aufgabe sein.

Kein erobertes Universum, sondern elementare Fragen stehen im Mittelpunkt

Trotz ihrer wichtigen Mission ist die „Bellatrix“ ist nicht gerade ein modernes Schiff, welches auf die einjährige Reise zum Rendezvous mit der außerirdischen Intelligenz geschickt wird, es ist noch nicht einmal an das ´System´ angeschlossen. Ein gigantischer Quantencomputer steuert auf der Erde alle Abläufe und Tätigkeiten, selbst das persönliche Wohlbefinden der Menschen.

„…dem (System) konnte man nichts verheimlichen. War auch nicht nötig. Man konnte ja denken, was man wollte, solange man nur funktionierte. “ […] „Effektiv und bequem.“ [S. 48]

Auf der „Bellatrix“ muss Tsosie selbst für ihr Wohlbefinden und Funktionieren sorgen, was einfacher klingt als es ist. „Alle Zeit der Welt“ beschäftigt sich allerdings nur am Rande mit der Welt der Zukunft mit ihren technischen Möglichkeiten und mit der Situation, einer außerirdischen Intelligenz zu begegnen. Der Roman erzählt vielmehr eine Geschichte über die Menschlichkeit, es geht um das, was den Menschen ausmacht.

Diesen Fragen nähert sich die Autorin, indem sie zwei gegensätzliche Charaktere vorstellt und ihr Kennen- und voneinander Lernen beschreibt. In der ersten Hälfte des Buchs erschafft Pia Biundo ein Spannungsfeld zwischen den menschlichen Polen der Emotionalität und der Rationalität. Gern begleitet der Leser die emotionale und in der indianischen Tradition verhaftete Kommunikatorin Tsosie in ihr Weltraumabenteuer, das mit der Freundschaft zu dem rational denkenden und handelnden Optimaten beginnt. Und sie schließlich zu einer anrührenden Begegnung mit dem planetengroßen Objekt M 341 führt, einer riesigen Sphäre, die unendliches Wissen und tiefe Einsamkeit birgt und zur tödlichen Gefahr für die Erde wird.

Der Leser erlebt die Ereignisse fast ausschließlich aus Tsosies Perspektive, einer klugen und sympathischen Hauptfigur, mit der er sich schnell identifiziert. Pia Biundo erzählt in einem flotten, leicht lesbaren Stil, der aber auch stilistische Raffinessen zu bieten hat. Die sprachliche Abgrenzung der unterschiedlichen Charaktere ist der Autorin vorzüglich gelungen. Darüber hinaus verwöhnt sie den Leser mit variantenreichen Bildern, Metaphern und ein wenig Poesie. Manchmal hüpft sie kurz in eine andere Perspektive, um den Leser Mikkelsens oder Torrentes Sicht der Dinge zu offenbaren.

Das Finale vereint erneut Widersprüche, wirkt einerseits unspektakulär und steckt doch voller stiller Dramatik. Nicht alle aufgeworfenen Fragen werden beantwortet. Denn schließlich ist der Leser nicht an ein allwissendes System angeschlossen, sondern soll selbst Ideen und Visionen entwickeln, wie die Zukunft dieser Menschheit aussehen könnte. „Alle Zeit der Welt“ darf man als sozialkritische SF oder als utopisches Zukunftsmärchen betrachten. Die Story berührt zaghaft philosophische Aspekte, ohne belehrend zu wirken oder dadurch an Unterhaltungswert einzubüßen.

Diese Rezension von mir, Eva Bergschneider, erschien bereits auf www.phantastik-couch.de unter dem Pseudonym Marion Weber.

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Alle Zeit der Welt
Pia Biundo
Science-Fiction
Saphir im Stahl
2012
277

Funtastik-Faktor: 83%

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