A Case of Conscience – James Blish

Theologie in der Science Fiction

Case of Conscience - James Blish © Gollancz/Pixabay
Case of Conscience © Gollancz/Pixabay

Vor der Veröffentlichung von James Blishs „A Case of Conscience“ (1958; dt. „Der Gewissensfall“, 1973) hat die Science Fiction selten religiöse, noch seltener theologische Fragestellungen behandelt. Nachdem Blish 1959 den Hugo Award für seinen Roman erhalten hatte, änderte sich dies. Während Klassiker wie Frank Herberts „Der Wüstenplanet“ und Kurt Vonneguts „Katzenwiege“ sich stärker mit Glaubenssystemen und deren gesellschaftlichen Auswirkungen beschäftigen, hat Blish die fundamentale Frage nach dem Wesen des Bösen im Fokus. Auch interessiert ihn, wie Begriffssysteme sich entwickeln und wie sie Sprache als Begrenzung der Welt, einer Gesellschaft, ihrer Individuen und deren Interaktionen form(ier)en.

Jesuiten als ekklesiastische Wissenschaftler sind dabei schon aus historischer Perspektive attraktive Charaktere der Wahl. Zwei SF-Titel von Mary Doria Russell, „Sperling“ und „Gottes Kinder“ dürften die bekanntesten Beispiele sein.

Rationale Reptilien

In „A Case of Conscience“ ist der Jesuit und Biologe Ramon Ruiz-Sanchez aus Peru die Hauptfigur. Als Mitglied eines vierköpfigen Erkundungsteams fliegt er zum Planeten Lithia. Die Lithianer*innen, eine sprachbegabte und intelligente Reptilienart, leben in einer Welt ohne Elend, Kriminalität und Krieg. Religion ist ihnen fremd, sie haben keinen Sinn für das Gute und das Böse. Sie verhalten sich immer rational, werten Informationen aus und treffen Entscheidungen. Während die anderen Wissenschaftler ihren jeweiligen Aufgaben nachgehen, beispielsweise die Bodenschätze des Planeten untersuchen, beschäftigen Ruiz-Sanchez andere Dinge. Ob die Abwesenheit von Religion auf die Abwesenheit Gottes schließen lässt und der Planet also teuflisches Einflussgebiet sein könnte. Oder ob es vollkommenes sittliches Verhalten ohne Religion geben kann. Er fragt sich gar, ob dieses Paradies nicht eine Täuschung Satans sein könnte.

Einen Planeten exorzieren

Als die Wissenschaftler zur Erde zurückfliegen, haben sie ein Geschenk des lithianischen Metallurgen Chtexa an Ruiz-Sanchez dabei, ein befruchtetes Ei. Daraus entsteht der Lithianer Egtverchi, der schnell heranwächst und sich das Wissen der Menschen aneignet. Aber er ist einsam und verzweifelt an den Menschen. Er wird Star einer populären Fernsehsendung, in der er die Gesellschaft kritisiert und zunehmend radikale Vorstellungen verbreitet. Er fördert die Rebellion der Unterprivilegierten. Die UN-Regierung lässt ihn einsperren. Es gelingt ihm jedoch, auf seinen Heimatplaneten zu fliehen, wo die Menschen in der Zwischenzeit eine nukleare Produktionsanlage betreiben.

Durch Intervention des Papstes wird Ruiz-Sanchez in eine Position manövriert, in der er, nicht zuletzt zu seiner eigenen Rettung, darüber nachdenken soll, den gesamten Planeten Lithia einem Exorzismus zu unterziehen.

Keine explizite Weltbild-Kritik

„A Case of Conscience“ wurde 1953 als Novelle und 1958 in einer erweiterten Romanfassung veröffentlicht. Die Ausgangssituation ist klassischer Standard. Menschen reisen zu einem fernen Planeten, den sie auf seine Möglichkeiten untersuchen, wobei sie auf eine intelligente Lebensform treffen, mit der sie sich auseinandersetzen müssen. Dabei entstehen Situationen, die auf einen Konflikt oder auf Kooperation hinauslaufen. Da die vier Menschen (zunächst) ebenso wenig auf Dominanz gebürstet sind wie die entspannten Reptilien, lässt Blish eine friedliche Kooperation entstehen, unter Aspekten des Rationalverhaltens die überlegene Interaktionsform.

Die Lithianer*innen sind in manchen Dingen technologisch höher entwickelt als die Menschen, in anderen verhält es sich umgekehrt. Dies hängt stark von den verfügbaren Rohstoffen und ihren Verwendungsmöglichkeiten ab. Magnetismus ist auf Lithia erst kurze Zeit bekannt, Eisen und Elektromotoren gar nicht, aber die Anwendung von flüssigem Sauerstoff hat einen hohen Entwicklungsstand.

Die vier Menschen haben schon bald unterschiedliche Vorstellungen von den Möglichkeiten, die Lithia bietet, und sie bewerten die lithianische Gesellschaft widersprüchlich.

Ruiz-Sanchez stellt fest, dass sie keine Begriffe hat für Kategorien wie Anreize, Belohnungen und Gier. Hieraus und aus der Tatsache, dass die Reptilien keine soziale Ungleichheit erzeugen und im Einklang mit der Natur leben, lässt sich eine kritische Kontrastierung von Weltbildern vornehmen. Zwar ist der Roman dafür offen, aber Blish unterlässt diese Kritik.

Ein manichäisches Gedankenexperiment

James Blish kombiniert in „A Case of Conscience“ auf anspruchsvolle Weise Science Fiction mit Theologie. Dabei führt er ein manichäisches Gedankenexperiment durch, das um Licht und Finsternis kreist. Der Titel des Romans ruft den Terminus casus conscientiae auf, der seinen historischen Ort in der Kasuistik hat, Fallstudien zur normativen Ethik. Hier ragen historisch besonders Jesuiten heraus. Das Schließverfahren von Ruiz-Sanchez berücksichtigt in seinem Kern die katholisch-theologische Position in der Problematik mehrerer Welten. Gibt es empfindungsfähige Lebewesen auf anderen Planeten als der Erde, so haben sie entweder keine Seele und spielen für die Kirche deshalb keine Rolle; oder sie sind gefallene Seelen, bedingt durch Sünde, und müssen deshalb eilig missionarisch betreut werden; oder sie sind empfindungsfähige Wesen mit Seele, aber nicht gefallen, mithin im paradiesischen Zustand, weshalb wir von ihnen lernen können. Die Reptilien von Lithia gehören keiner dieser Kategorien an.

Irritierende Ähnlichkeit mit dem Garten Eden vor dem Sündenfall

Eine interessante Implikation der Überlegung, Satan könnte Lithia geschaffen haben, ist die, dass es zwei Schöpfer geben muss, Gott und seinen Widersacher. Im binären Kontext dürfte nicht die Abwesenheit Gottes auf Lithia Indiz für die Anwesenheit Satans sein. Binär argumentiert geht das Wirken Gottes auf Erden mit dem Wirken Satans auf Erden einher, sonst hätte die katholische Kirche wenig Sinn. Satan ist an Menschen interessiert, nicht an Reptilien, die in einem Paradies ohne Gott leben. Das Handeln der Menschen, bis hin zum Finale, dürfte eher Hinweis auf das irdische Wirken Satans sein.

Manche Konstruktionen bekommen eine aktuelle Lesart: Egtverchi kennt niemanden seiner Spezies, kennt seinen Herkunftsplaneten nicht, auch lehnen ihn die meisten Menschen ab. Er befindet sich also in einer Situation der doppelten Entfremdung, als Einwanderer ohne Integrationsmöglichkeit. Er entwickelt sich zum Vordenker des Drittels, das die Gesellschaft und das System des 21. Jahrhunderts fundamental hasst. Wird er damit zu einer Art Antichrist?

Fazit

James Blish hat mit „A Case of Conscience“ ein anspruchsvolles Werk an der Schnittstelle von Science Fiction und Theologie geschrieben, das eine Vielzahl von Bezügen aufweist. Dazu gehören die „Principia Mathematica“ von Alfred North Whitehead und Bertrand Russell, Thorstein Veblens „Theorie der feinen Leute“, Homers „Odyssee“, „Jenseits des schweigenden Sterns“ von C.S. Lewis. Folglich erschließt sich dieses Buch nicht über einmalige Lektüre. Der lesenswerte Klassiker wird nicht ohne Grund immer wieder in Bestenlisten aufgeführt. In deutscher Übersetzung ist das e-book als „Der Gewissensfall“ erhältlich.

Danke an Gastredakteur Holger Wacker für die Besprechung der Original-Ausgabe

A Case of Conscience
James Blish
Science Fiction
Gollancz
1958 (hier besprochene Ausgabe: April 2014)
208
86

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