Wer wird König der Meere? – Ein gigantisches Abenteuer mit Tiefgang
Die 14-jährige Fianna, Tochter eines Kauffahrers, wird von ihrem Vater aus Seenot gerettet und sieht mit an, wie er sofort darauf kaltblütig gemeuchelt wird. Sie selbst wird in eine Felsspalte in den Klippen versenkt. Die jungen Burschen des Thorwaler-Dorfes Stainakr besuchen sie dort regelmäßig, um sie zu misshandeln und zu vergewaltigen. Außer Magierschüler Tylstyr, der versucht, sie zu befreien. Zehn Jahre später: Sie nennt sich Zidayne und folgt ihrer Rache.
Die oberste Hetfrau der Thorwaler empfängt eine Vision und Aufgabe der Göttin Travia: Sie soll die beiden besten Kapitäne mitten im Winter nordwärts schicken. Zwölf Aufgaben haben sie im Kampf um den Titel „König der Meere“ zu lösen. Asleif Phileasson gilt als größter Entdecker und Beorn ‚der Blender‘ als bester Plünderfahrer. Als erbitterte Feinde und Konkurrenten ziehen sie los, um das älteste Geheimnis dieser Welt aufzudecken.
„Aus dunklen Taten wird Dunkelheit geboren.“ S. 83 Nordwärts
An dieser Saga kommt in der deutschsprachigen Phantastik niemand vorbei. Alle Fans warten im September 2021 sehnsüchtig auf den zehnten Band „Nebelinseln“. Bis dahin standen die beiden Autoren ab Band vier auf den Bestsellerlisten und haben 2018 den Deutschen Phantastik Preis gewonnen. Die Saga basiert auf dem gleichnamigen Rollenspiel aus der Welt „Das schwarze Auge“, das Bernhard Hennen vor etwa dreißig Jahren entwickelte. Beide Autoren haben sich vor „Phileasson“ einen guten Namen gemacht und ihre Zusammenarbeit ist eines der größten Geschenke an die Phantastik-Gemeinde.
Was macht den Erfolg dieser Serie aus? Gibt es ein Geheimnis?
Geheimnisse und Seilschaften
Ja. Reichlich. Und diese wollen nach und nach aufgedeckt werden. Jedem Band ist die Vorgeschichte eines/r Gefährt*in vorangestellt. Sie deckt manchmal ein Geheimnis auf, das im weiteren Verlauf wichtig oder erhellend für den Plot ist. Anfangs fragt sich Leser oder Hörer, was das soll. In späteren Bänden ist dann klar, dass der Prolog unverzichtbare Informationen enthält.
Alle Figuren sind authentisch – gerade die schwachen Charaktere. Die Spannung erhöht sich, wenn Figuren zweigleisig fahren, wenn sie etwas vorgaukeln, was sein könnte: der Spion des Spions oder als Gestaltwandler in andere Rollen schlüpfen. Bei allen Abenteuern, die beide Mannschaften erleben, stehen immer die Heldinnen und Helden im Vordergrund. Die jahrzehntelange Erfahrung und das Einfühlungsvermögen der Autoren erschaffen Menschen und Wesen, die lebendig neben uns her laufen könnten, über Vorzüge und Schattenseiten verfügen. Sympathisch sind oder eben auch nicht. Jede*r wird einen anderen Lieblingscharakter finden, meine sind Nirka, das Wolfsmädchen, und die kleine Leomara, die mit Visionen gesegnet oder verflucht ist.
Die Welt Aventurien wurde von unzähligen Rollenspielschreibern, Autoren und Spielern gebaut. Doch fertig ist sie noch lange nicht. Hinter jeder Wegbiegung gibt es Neues zu entdecken. Mit der Beschreibung des Himmelsturms z.B. ist den Autoren Großartiges gelungen. Die Nachtalben, die Pardona die Vielgestaltige erschaffen hat, leben dort. Auf Geheiß ihrer Herrin experimentieren sie an lebenden Objekten. Und ausgerechnet die selbsternannte Göttin und Herrin des Turms – Stopp: gespoilert wird nicht!
„Steigt hinab durch das dunkle Auge und entreißt es seinem äonenalten Schlaf.“ S. 488 Die Wölfin
Kritik von DSA-Rollenspielern
Bei allem Lob gibt es natürlich auch Kritik, doch kommt die am wenigsten von den „nur“-Lesern, sondern von langjährigen DSA-Rollenspielern. Da ist Pardona – die „Mary Sue“ – mit so überragenden Fähigkeiten ausgestattet, dass sie alle Quests auch im Alleingang bewältigen könnte. Wozu braucht sie dann einen Beorn? Magier Tylstyr kann nach zehn Jahren Studium an der Hellsichtakademie viel zu wenig.
Zu viel Sex, zu wenig Sex. Man kann es nicht allen recht machen. Dabei sprechen die beiden Autoren ihre Manuskripte mit Ulisses Spiele ab, um keine Faux Pas zu begehen, die den DSA-Regelwerken widersprechen. Der größte Unterschied zum Spiel ist, dass im Spiel Phileasson der Gute und Beorn der Böse ist. In den Romanen lässt es Phileasson schon mal an der Loyalität zu den Mitgliedern seiner Mannschaft fehlen, während Beorn für seine Leute sorgt.
Pflicht und Vergnügen
Zum Hörbuch: Detlef Bierstedt gehört zu den besten Sprechern Deutschlands und ist für das Genre High Fantasy wie geschaffen. Mit den vielen Charakteren, die in die Ottajaskos ein- und wieder ausziehen, ist es eine ganz schöne Herausforderung, allen Figuren und Erzählsträngen zu folgen und sie richtig einzuordnen. Deshalb ergibt es Sinn, die Bücher in der Nähe zu haben und nochmal einen Teil nachzulesen. Ein paar Dinge könnten sonst hinten runterfallen, die für den weiteren Verlauf der Wettfahrt jedoch wichtig sind.
Rund ist die Geschichte nicht, es fehlen ja noch drei Bände. Solltet Ihr die Möglichkeit haben, eine Lesung der beiden Autoren Bernhard Hennen und Robert Corvus zu erleben – nichts wie hin. Denn sie ist ein Fest voller Übermut, wortgewaltiger Rangeleien und Musik. Ich weiß, dass heute schon Fans das Autorenduo bitten, sich neue gemeinsame Projekte nach „Phileasson“ auszudenken.
Ist die Welt neu? Nein. Gibt es viele neue Charaktere? Nein. Sollt Ihr es lesen oder hören? Wenn Ihr Fans seid, z.B. vom „Rad der Zeit“ von Robert Jordan oder der „Osten Ard Saga“ von Tad Williams oder wortgewaltigen Werken von Brandon Sanderson, dann ist es Pflicht und Vergnügen, in das möglicherweise vielschichtigste Epos deutschsprachiger Autoren einzutauchen.
Amandara M. Schulzke
Die Phileasson-Saga, Band 1-3
Fantasy
Heyne Verlag / Audible Studios
April - Dezember 2016 (Buch) Januar - März 2021 (Hörbuch)
Buch, Hörbuch
494, 476, 588
Kerem Beyit
95