Das Bernstein-Teleskop – Philip Pullman

Ein würdiger Abschied von den Menschen, Dæmonen und Parallel-Welten der „His Dark Materials“ Trilogie

Das Bernsteinteleskop © Carlsen
Das Bernsteinteleskop © Carlsen

“Das Bernstein-Teleskop„ bildet den Abschluss der Steamfantasy-Trilogie von Philip Pullman, die im englischen Original als Gesamtwerk den Titel “His Dark Materials„ trägt. Die ersten Teile “Der goldene Kompass; und “Das magische Messer„ offenbaren dem Leser bereits eine Reihe sehr ungewöhnlicher Phänomene in mehreren Parallelwelten, die mit denen anderer Fantasy-Werke kaum vergleichbar sind. Die Hauptcharaktere stammen aus verschiedenen Realitäten. So stammt Will, der in “Das magische Messer„ dazu kommt, aus unserer Welt, während Lyra und ihr Dæmon Pantalaimon, Hauptfiguren in “Der goldene Kompass; in einer Parallelwelt leben, die Ähnlichkeiten mit dem Viktorianischen Zeitalter hat. Pullman schaffte es, seine phantastischen Elemente mit wissenschaftlichen Grundlagen auszustatten, einen theologischen Disput darzustellen und zugleich sehr individuelle, interessante und liebenswerte Charaktere zu kreieren, die von Fantasy-Lesern jeden Alters in’s Herz geschlossen wurden.

Lyra und Will 

Am Ende des zweiten Teils von “Das Magische Messer„ hatte Will seinen Vater gerade erst gefunden, als dieser getötet wurde. Außerdem verlor er seine Gefährtin, denn Lyra wurde von ihrer Mutter entführt. Zu Beginn des dritten Teils hält Mrs.Coulter sich und ihre Tochter, die sie in einen Dauerschlaf versetzt hat, in einer Höhle versteckt. Lyra nimmt im Traum Kontakt zu ihrem verstorbenen Freund Roger auf, der sich in der Welt der Toten befindet. Sie beginnt zu ahnen, dass ihr eine ganz besondere Aufgabe bevorsteht.

Will hat inzwischen neue Begleiter, die Engel Balthamos und Baruch gefunden, die ihn und das in seinem Besitz befindliche Magische Messer zu Lord Asriel bringen wollen. Doch Will besteht darauf, dass er zuerst Lyra finden und ihr das Atheliometer zurück geben muss, bevor er sich mit ihnen auf den Weg macht. So trennen sich die Wege der beiden innig verbundenen Engel, Baruch kehrt zu Lord Asriel zurück und Balthamos begleitet Will. Er tarnt sich als Wills Dæmon und wandert mit ihm durch Lyras Welt.

Will kann Lyra mit Hilfe des magischen Messers befreien. Mit ihnen fliehen zwei Spione Lord Asriels, die Gallivespier Chevalier Tialys und Lady Salmakia, zwei winzige Personen, die auf bunten Libellen unterwegs sind. Ihr Auftrag lautet ebenfalls, die beiden dazu zu bringen, zu Lord Asriel zu gehen.

Doch Lyra hat inzwischen ganz andere Pläne, sie will in das Totenreich zu ihrem Freund Roger gelangen. Doch dafür muss Lyra ein sehr persönliches, schmerzhaftes und grausames Opfer bringen.

Mary Mallone und die Mulefa

Die Physikerin Mary Mallone aus unserer Welt, hatte versucht, den Staub, oder auch die Schattenteilchen mit wissenschaftlichen Methoden darzustellen. In “Das magische Messer„ lernte sie Lyra kennen und erhielt mit Hilfe ihres Alethiometers wertvolle Hinweise über seine wahre Natur. Mary machte sich auf den Weg, um Feldforschung zu betreiben. In “Das Bernstein-Teleskop„ findet sie zufällig ein Fenster zu einer anderen Realität und gerät in eine Welt, die eine andersartige Evolution durchlaufen hat. Mary trifft auf Elefanten-artige Wesen, die offensichtlich ein Bewusstsein haben. Die Mulefa haben eine komplizierte Kultur und Sprache und leben in einer Dorfgemeinschaft. Mary lernt, sich mit den Mulefa zu verständigen und freundet sich mit dem weiblichen Zalif Atal an. Mary erzählt von ihrer Forschungsarbeit über die Schattenteilchen. Atal weiß offenbar genau, worüber Mary spricht, denn die Mulefa können den Staub sogar sehen und gaben ihm den Namen Scarf. Mary beginnt mit der Konstruktion eines Spiegels und erschafft schließlich das Bernsteinteleskop, eine optische Linse, mit der auch sie den Staub sehen kann. Nun versteht sie auch, dass ein lebensbedrohendes Ungleichgewicht in der Welt ihrer neuen Freunde vorliegt.

Der Glaubenskrieg

Lord Asriel kämpft mit seiner Streitmacht und den Verbündeten einen Guerillakrieg gegen die Kirche und ihren absoluten Machtanspruch. Die Kirche will um jeden Preis den Sündenfall, dessen Urheber laut der Glaubenslehre Lyra sein soll, vermeiden und setzt daher alles daran, das Mädchen vor dem Eintritt in das Erwachsenenalter umzubringen. Metraton, der mächtigste aller Engel, hat Gott längst als den Allmächtigen abgelöst und verfolgt nun seine eigenen Ziele.

Lebendige Welten und Charaktere

Schon die ersten beiden Bücher haben dem Leser die unerschöpfliche Phantasie und das erzählerische Können des Autors präsentiert. Pullman stellt in “Das Bernsteinteleskop„ die ganz eigene evolutionäre Entwicklung eines Planeten mit vielen interessanten Details vor. Der Leser taucht außerdem mit den Hauptcharakteren in die apokalyptische Welt der Toten ein und erlebt im wahrsten Sinne des Wortes einen seelenlosen Ort.

Ebenso exzellent, wie die Erschaffung der Welten, sind dem Autor die Charaktere in der “His Dark Materials„ Trilogie gelungen. Die menschlichen Hauptpersonen, Will und Lyra, sind einerseits die mutigen und einfallsreichen Helden der Geschichte, andererseits aber auch naiv und unsicher. Sie erleben den typischen Konflikt der beginnenden Pubertät, denn sie sind noch nicht ganz erwachsen, aber auch keine Kinder mehr. Dabei wirken sie so lebendig und authentisch, dass der Leser eine starke emotionale Verbundenheit zu ihnen erlebt. Aber auch die neuen, teilweise sehr fremdartigen Protagonisten, wie die Gallivespier Chevalier Tialys und Lady Salmakia und die Mulefa, sind liebevoll beschrieben und individuell charakterisiert.

unerwartet – spannend – traurig – grandios

Die Geschichte in “Das Bernsteinteleskop; hat alles, was gute phantastische Literatur ausmacht, Spannung, Kampf, einzigartige Kulturen und große Gefühle. Die Erzählung ist zunächst in verschiedene Handlungsstränge gegliedert, die nach und nach zusammen finden. Die Handlung ist ungewöhnlich dicht und spannend, denn sie wird durch raffinierte Wendungen und unerwartete Konflikte ständig voran getrieben. Pullman ist einfach ein grandioser Erzähler, sein Stil ist bildhaft, poetisch und emotional zugleich.

Metaphysik und Theologie

Gibt es einen Gott und welche Eigenschaften besitzt er? Was ist der Unterschied zwischen Geist und Materie? Besitzt der Mensch eine unsterbliche Seele, verfügt er über einen Freien Willen? Das sind die Fragen, mit der sich besonders der dritte Teil der “His Dark Materials„ Trilogie, “Das Bernsteinteleskop„ beschäftigt.

Pullman verarbeitet eine Reihe von alttestamentarischen Motiven. Dabei geht er mit Religion und der Institution Kirche nicht gerade wohlwollend um. Der kritische Blick des Autors auf zentrale entwicklungsgeschichtliche und philosophische Fragen ist nicht zu übersehen.

Hohe Ziele einer modernen Steamfantasy-Trilogie

Der Autor hat sich viel vorgenommen, als er versuchte, die Geschichte um Lyra und Will mit philosophischen Themen zu verknüpfen, es ist ihm jedoch nicht restlos gelungen. Man hat manchmal den Eindruck, dass sich der Autor in einem Disput verheddert, der nicht nur seine Romanhelden, sondern auch den Leser teilweise überfordert.

Am Ende wird nicht jedes der zahlreichen losen Handlungsenden überzeugend aufgelöst. Der Autor wollte offenbar das Ende gezielt in eine bestimmte Richtung entwickeln, dabei sind ihm logische Fehler unterlaufen und einige Fragen unbeantwortet geblieben.

So ist Pullman mit “His Dark Materials„ insgesamt ein modernes, innovatives Fantasy-Epos gelungen, dass ohne Zweifel einen Meilenstein des Genres darstellt. “;Das Bernsteinteleskop“; ist genauso originell und spannend erzählt, wie seine Vorgänger, es ist ein wunderbares Fantasy-Buch, das man kaum aus der Hand legen mag. Leider wurde die Geschichte mit etwas zu viel Sinn und Bedeutung überfrachtet und kann am Ende nicht ganz überzeugen.

Diese Rezension von mir, Eva Bergschneider, erschien bereits auf www.phantastik-couch.de

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Das Bernstein-Teleskop
His Dark Materials Trilogie
Philip Pullman
Steampunk
Carlsen
1997
593

Funtastik-Faktor: 83%

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