Das gefälschte Siegel (Neraval-Saga 1) – Maja Ilisch

Für Liebhaber der deutschen Sprache

Das gefälschte Siegel © Hobbit Presse

Seine Brüder mögen den fünften jungen Prinz Tymur Damarel nicht. Da niemand mit ihm spielt, besucht er die Steinernen Wächter im tiefen Keller der Burg Neraval. Er schließt Freundschaft mit dem Krieger Lorcan und gemeinsam bewachen sie eine tausend Jahre alte Schriftrolle. In die bannte einst die Zauberin der Alfeyn, Ililiané, den Unaussprechlichen, den Erzdämon La-Esh-Amon-Ri.

1000 Jahre später kommen Zweifel auf. Ist die Schriftrolle echt, ist der Erzdämon wirklich darin gefangen? Prinz Tymur sucht und findet den verwahrlosten und stets betrunkenen Fälscher Kevron. Nach dem Mord an seinem Zwillingsbruder traut er sich kaum außer Haus. Grässliche Albträume plagen ihn.

Die sechzehnjährige Enidin studiert Magie an der Akademie. Die Ehrwürdige Frau Mutter hält sie trotz ihres Talents und Wissens absichtlich klein, so empfindet es die ehrgeizige junge Frau. Als Prinz Tymur zur Akademie kommt und eine Magierin braucht, setzt sie alles daran, ihn zu begleiten. Und Lorcan lässt sich unehrenhaft entlassen, weil er heimlich in Prinz Tymur verliebt ist.

Im Buch kommt es deutlicher heraus als im Hörbuch, dass Maja Ilisch wunderbare Räume und Situationen schafft. Sie brilliert mit Worten und erfindet eine Sprache voller stimmiger Gleichnisse, Bilder und Ideen. Es macht einfach nur Freude, ihre Sätze und Wortschöpfungen zu lesen und sich auf der Zunge zergehen zu lassen. Gleichgültig, ob es der tiefe Keller unter der Burg ist, das Pförtnerhäuschen in der Akademie oder das verwahrloste Zimmer des unglückseligen Fälschers. Sie sind nicht nur Orte, sondern Plätze mit eigenem Flair und voller Magie, die die Eigenheiten der unterschiedlichen Charaktere widerspiegeln.

„Einen Krieg verhindern … einen Krieg auslösen … ein Fälscher fragte nicht. Wer sich über so etwas Gedanken machte, hatte den falschen Beruf gewählt.“

Etwas ist faul im Staate Neraval

Die ungleiche Gemeinschaft macht sich unter Führung von Prinz Tymur auf den Weg ins Nebelgebirge zu den Alfeyn, um die Zauberin zu befragen, ob die Schriftrolle echt und vollständig ist. Inzwischen wissen Tymur und Kevron, dass das Siegel gebrochen wurde. Sie halten es vor den anderen beiden geheim. Doch diese ahnen, dass irgendetwas faul ist.

Ilisch verfügt über ein großes Einfühlungsvermögen in ihre Protagonisten. Der Leser erfährt im Laufe des Romans viel über die verwinkelten Charakterzüge ihrer Antihelden: über ihre Ängste, Schwächen und Stärken. Nur Prinz Tymur bleibt außen vor. Er verhält sich mal so und mal so, lügt, intrigiert, spielt seine Begleiter gegeneinander aus. Jedem suggeriert er, dass er ihn besonders mag. Und manchmal kritisiert er hart und ungerecht. Ilisch schafft die Balance zwischen dem Quäntchen an angemessener Kritik und ungerechtfertigter Beschuldigungen. Der Leser/Hörer weiß bis zum Schluss nicht, was er von Tymur halten soll. Er benimmt sich wie ein kleiner trotziger Junge und im nächsten Moment wie ein weiser Herrscher.

Die drei Begleiter bauen im Lauf ihrer Reise eigene, unabhängige  Beziehungen auf. Dabei wachsen sie und entwickeln sich weiter, was die Autorin gekonnt dargestellt hat. Die Spannung erwächst eher aus dem Zusammenspiel der Charaktere und ihren Entwicklungen, als aus der Handlung selbst. Ein paar actionreiche Szenen und aufregende Situationen mehr hätten dem Roman gutgetan. Er wird als High Fantasy beworben, dafür fehlen ihm jedoch große Heere und epische Schlachten.

Der Hörbuch-Sprecher Peter Lontzek verfügt über eine geschulte, tiefe und angenehme Stimme. Die Männerrollen spricht er gekonnt und souverän. Seine Sprache trieft voller Ironie und Sarkasmus, wenn er Tymur spricht. Das macht die Hauptfigur im Hörbuch schrecklich unsympathisch, während sich der Leser im Buch eher eine eigene Meinung bilden kann. Für die Frauenrollen ist er nicht so talentiert wie andere Sprecher.

Last but not least: die Form. Klett-Cotta, beziehungsweise das Imprint Hobbit Presse hat sich bei der Aufmachung nicht lumpen lassen. Ein ästhetisch ansprechendes Hardcover mit separatem Schutzumschlag, zu Welt und Story passend und sogar silbrig verziert. Nur ein Lesebändchen haben sie sich gespart. Schade.

Übrigens endet der erste Band mit dem heftigsten Cliffhanger aller Zeiten. Nicht nur, um zu wissen, wie es weiter geht, lohnt sich der Kauf von Band 2 „Das gefälschte Herz“. Die Reihe ist eine Empfehlung für alle, die Antihelden mögen und Wert auf guten Stil legen.

Amandara M. Schulzke

Das gefälschte Siegel
Neraval-Saga, Band 1
Maja Ilisch Hörbuchsprecher: Peter Lontzek
Fantasy
Hobbit Presse
März 2019
Buch und Hörbuch
486
Max Meinzold

Funtastik-Faktor: 70

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