Ein nettes aber merkwürdiges Buch
In der Stadt Atail, die hoch oben in den Bergen des Kaiserreiches liegt, steht ein sagenumwobenes Haus. Während sich unten drin eine normale Gaststätte befindet, stapeln sich obendrauf etliche Etagen. Wobei unklar bleibt, wie viele genau. Im Haus sollen sich wertvolle Schätze und legendäre Artefakte befinden. Man muss nur hineingelangen und sie finden. Doch das versuchten schon viele Expeditionen, ohne dass eine einzige ihr Ziel erreichte oder jemals jemand zurückkehrte.
Jetzt wagen sich wieder unterschiedliche Unternehmungen in den Turm hinein, aus den verschiedensten Gründen und nicht immer freiwillig. Der Magister Salter zum Beispiel ist für eine dieser Gruppierungen nur Mittel zum Zweck, um die Tür zum Haus zu öffnen. Die Gaunerbande um Stern hingegen will unbedingt die Schätze erbeuten und ist für alle Eventualitäten vorbereitet. Doch ob das eine so gute Idee ist?
„Das Haus der Tausend Welten“ ist ein merkwürdiges Buch. Einerseits eine flüssig und spannend geschriebene Story, mit jeder Menge gelungener Szenen, in denen man sich ein Schmunzeln nicht verkneifen kann. Andererseits weist der Roman deutliche Schwächen auf, die dafür sorgen könnten, dass der Gesamteindruck eher negativ ausfällt. Doch das ist nicht der Fall.
Das liegt vor allem daran, dass dieser Roman vom Autorenduo T. S. Orgel mit viel Charme überzeugt. Von der ersten Seite an nimmt die Geschichte den Leser in Beschlag und man lernt nach und nach die wichtigsten handlungstragenden Figuren kennen. Es sind Charaktere wie die ehemalige Soldatin und Kriegsheldin Baelis, die man ins Herz schließt. Sie unternimmt die Expedition in das „Haus der aufgehenden Sonne“ nur deshalb, weil sie im falschen Moment einem Gerechtigkeitsgefühl nachgibt.
Lachen und Leiden
Gleichzeitig hat die Geschichte Humor. Einige Dialoge sind herrlich pointiert geschrieben, derweil die Charakterisierung mancher Figur schön überspitzt wurde. Die Komik ist nicht vordergründig und schmälert die Spannung an keiner Stelle. Sie ist allerdings stets präsent und sorgt für Lesevergnügen.
Man bekommt im Laufe der Handlung immer wieder Mitleid mit den Figuren, auch wenn sie wahrlich keine Heiligen sind und durchaus Dreck am Stecken haben. Dabei geraten die Protagonisten in Situationen, die sie extrem fordern. Etwa in der Szene, als sie in einer Etage einen Wald (!) vorfinden. Um auf die nächste Ebene zu kommen, müssen sie die Bäume hochklettern. Zunächst ahnen sie nicht, dass von den Bäumen Blätter fallen, die sie bei jeder bloßen Berührung verletzen. Zurück können sie auch nicht und so kostet dieser Teil der Queste einen hohen Blutzoll. Ein weiterer positiver Faktor: Das titelgebende Gebäude ist ein Quell steter Überraschungen, die nicht immer positiv sind. So hausen zombieartige Wesen in den Gemäuern, oder es tauchen Nachkommen und Überlebende früherer Expeditionen auf. Als Leser weiß man halt nie, was sich T. S. Orgel als Nächstes haben einfallen lassen.
Es mag widersprüchlich klingen, jedoch ist ein Manko des Romans die Vorhersehbarkeit. So charmant die Figuren auch sind, als erfahrener Leser ahnt man bereits früh, wie sie sich entwickeln werden. Wer von wem verraten wird und wo die Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Charakteren liegen. Mit der Erkenntnis lässt sich zwar nicht der gesamte Handlungsverlauf vorhersagen, jedoch manch wichtige Entwicklung im Voraus erahnen. Ebenso ist der Weltenbau in „Das Haus der Tausend Welten“ zu bemängeln, insbesondere die Realität außerhalb des Hauses. Man merkt, dass T. S. Orgel bei der Weltengestaltung die Vielfalt im Turm deutlich priorisiert haben. Die Außenwelt wirkt merkwürdig unkonkret. Dank einiger Begriffe und Namen, erscheint sie asiatisch angehaucht, mehr auch nicht. Insgesamt werden Land und Lebensraum skizzenhaft angedeutet und zu wenig detailiert beschrieben.
Trotz Schwächen ein Vergnügen
Die enorme Vielgestaltigkeit innerhalb des Hauses gleicht dieses Manko jedoch wieder aus. Dadurch, dass man viele verschiedene Welten in den unzähligen Etagen erlebt, fällt die minimalistische Darstellung der Welt draußen nicht so stark ins Gewicht. Am Ende ist „Das Haus der Tausend Welten“ ein gutes Buch für zwischendurch trotz offensichtlicher Schwächen. Wenn man den Mängeln beim Weltenbau und der oft absehbaren Storyentwicklung nicht zu viel Bedeutung beimisst, wird man von diesem ungewöhnlichen Fantasy-Roman bestens unterhalten.
Götz Piesbergen
Fantasy
Heyne
Februar 2020
558
Franz Vohwinkel
Funtastik-Faktor: 70