Der König auf Camelot – Terence H. White

Die Artussage – Ein überaus beliebtes Sujet

Der König auf Camelot - Terence H. White © Klett-Cotta
Der König auf Camelot © Klett-Cotta

Die Geschichte um König Arthur und die Ritter der Tafelrunde wird seit Jahrhunderten immer wieder neu erzählt, für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, im bebilderten Lesebuch, in Versform, im Roman. „Merlin und Mim“ (mit verschiedenen Untertiteln) aus den 1960er Jahren, erzählt nach dem Animationsklassiker von Walt Disney, dürfte zu den am weitesten verbreiteten Fassungen gehören.

Auch John Steinbeck, Träger des Literaturnobelpreises und Verfasser so bekannter Werke wie „Jenseits von Eden“, trug mit seinem Fragment gebliebenen „König Artus und die Heldentaten der Ritter seiner Tafelrunde“ zum wachsenden Bestand an literarischen Arthur-Texten bei.
Hinzu kommen mittelalterliche Dichtungen wie Geoffrey of Monmouths „Geschichte der Könige von Britannien“ und Robert Waces „Roman de Brut“, Texte von Chrétien de Troyes („Erec et Enide“, „Lancelot und Guinever“, „Der heilige Gral“). Hartmann von Aue („Erec“), Gottfried von Straßburg („Tristan“) und Wolfram von Eschenbach („Parzival“) sind vielleicht die bekanntesten Autoren, die im deutschen Mittelalter Artus-Romane geschrieben haben.
Das neunzehnte Jahrhundert sah eine erhebliche Anzahl literarischer Romane und Gedichte, darunter Edward Sir Bulwer-Lyttons zwölfbändiges episches Poem „King Arthur“ und Alfred Lord Tennysons Gedicht „Morte d’Arthur“.
Eine der populärsten neueren Versionen ist Marion Zimmer-Bradleys „Die Nebel von Avalon“. In jüngster Zeit wurde die Legende neu erzählt von Bernard Cornwell in seiner dreibändigen Reihe „Die Artus-Chroniken“ und in Wolfgang und Heike Hohlbeins dreibändigem Werk „Die Legende von Camelot“.

Thomas Malory als Ausgangspunkt  T. H. Whites

In „Der König auf Camelot“ lässt T. H. White seinen Arthur im 14. Jahrhundert regieren und verbannt die Herrscher dieser Zeit kurzerhand in den Bereich der Mythen. Whites Geschichte Arthurs reicht von dessen Kindheit und Erziehung bis kurz vor den Kampf gegen den illegitimen Sohn Mordred.
T. H. White wählt als Ausgangspunkt Thomas Malory, auf dessen „Le Morte d’Arthur“ er sich ausdrücklich bezieht. Besonders im dritten Teil verweist er häufig auf Malory, bis hin zur Lektüreempfehlung, wenn er beispielsweise die Suche nach dem Heiligen Gral nur erwähnt und äußert, man möge darüber bei Malory nachlesen. White gibt der Geschichte eine aktualisierte Bedeutung, indem er sie in moderne Diskurse einbindet.

Vier Romanteile (Bücher) in zwanzig Jahren

Das Buch besteht aus vier Teilen, die über einen Zeitraum von ungefähr zwanzig Jahren entstanden sind. Der erste Teil, „Das Schwert im Stein“, veröffentlicht 1938, behandelt die Kindheit Arthurs und seine Erziehung durch Merlin. Der Zauberer will seinem Schützling beibringen, was einen guten König ausmacht. Deshalb verwandelt er ihn in verschiedene Tiere, einen Fisch, einen Falken, eine Ameise und eine Gans, an deren Beispiel er lernen soll. Nebenbei verdeutlicht White, warum die schlechtesten Formen der Herrschaft in Regierungen und mächtigen Menschen bestehen. Die berühmteste Szene dieses Teils befindet sich kurz vor dem Schluss: Der junge Arthur, der für seinen Stiefbruder Kay eine Waffe sucht, zieht aus einem magischen Felsbrocken ein magisches Schwert. Der Legende nach gelingt dies nur dem künftigen und wahren König von England.

Der zweite Teil, „Die Königin von Luft und Dunkelheit“ (1939), erzählt die Geschichte des Orkney Clans, von Königin Morgause, der Halbschwester Arthurs, wovon der jedoch nicht weiß, und ihrer Söhne Gawaine, Agravaine, Gaheris und Gareth. Morgause verführt Arthur, unterstützt durch einen Zauber. Das Ergebnis dieses inzestuösen Aufeinandertreffens ist Mordred. Merlin zeigt Arthur, dass die Tafelrunde und ihre ritterliche Ordnung dem Land zum Guten gereichen können.

Der dritte Teil, „Der missratene Ritter“ (1940), gibt die Geschichte des Ritters Sir Lanzelot und seiner problematischen Beziehung zu Arthur und Königin Ginevra wieder. Lanzelot, der größte Ritter der Tafelrunde, und Ginevra versuchen ihre Liebe vor Arthur zu verbergen, der hierüber jedoch von Merlin längst weiß. Weiter geht es um die Wirkungen des Ehebruchs auf Lanzelots Geliebte Elaine und ihren gemeinsamen Sohn Galahad.

Der vierte Teil, „Die Kerze im Wind“ (1958), hat das Ende der Tafelrunde zum Inhalt. Die Brüder Orkney, darunter Mordred, wenden sich gegen Arthur, verwenden den Ehebruch Ginevras als Begründung. Hier führt White die vorhergehenden Teile zusammen und erzählt von den Dingen und Ereignissen, die zum Niedergang des Herrschaftsideals von Camelot führen. Dieses Ideal besteht darin, Macht durch Recht zu ersetzen.
Im Jahr 1941 hat White einen fünften und abschließenden Teil geschrieben, der nach seinem Tod 1977 veröffentlicht wurde.

Ein recht eigenwilliger Zugang zum Mythos

White verzaubert seine Leser sprachlich. Er nutzt die Möglichkeiten des Romans, Hintergründe über das mittelalterliche England zu erzählen, ein schichtenspezifisches Soziogramm zu entwickeln, die alten Mythen anzureichern mit Exkursen in die politische Philosophie, durch moderne Analogien Phänomene aus alten Zeiten verständlicher erscheinen zu lassen und die Kontinuität in der Entwicklung der dem europäischen Kontinent vorgelagerten Regen- und Nebel-Inseln zu verdeutlichen.

White erzählt seine Geschichte als einen die Bücher übergreifenden Bogen, unter dem er kleinere Bögen organisiert – ähnlich einer heutigen Fernsehserie, die über eine Staffel einen großen Handlungsbogen entwickelt und jeder Folge zudem einen eigenen zuweist, den Fall oder das Monster der Woche beispielsweise.

It’s a man’s world – Sexualität und Erstarrung

Die Welt von Camelot ist eine männliche und männlich determinierte, in der zum Ornament erstarrte Verhaltens- und Denkmuster bestimmend sind. Die Geschichte des Königs Pellinore auf der Suche nach einem Drachen illustriert dies mit absurder Komik, insbesondere, wenn White einen Einblick in das Kräftemessen von Rittern gibt.
Allerdings gibt es Möglichkeiten, diese Starrheiten aufzubrechen (und zugleich zu erhalten). Die Episode, in der Arthur in einen Falken verwandelt wird, um etwas über die Welt zu erfahren, ist ein schönes Beispiel. Die – gefangenen und dressierten – Falken bilden einen exklusiven Club, dessen Bedeutung durch Ausschluss definiert wird: Sperlinge und andere Vögel haben keinen Zugang. Zwar ist der Club eine Männerwelt, aber eine Frau hat nicht nur Zugang, sondern als Objekt gesteigerten Begehrens eine Machtfunktion. Sie, der weibliche Falke, ist Ehrenobristin und wird mit Madame angesprochen.

Königin Morgause wird beschrieben als eine schöne und einfältige Hexe, während ihre Schwester Morgan le Fay eine Schlampe ist, die auf einem Bett aus Schweineschmalz schläft. Morgause kann zwar zaubern, aber sie beschränkt sich mit ihren magischen Fähigkeiten auf Verführungen und Psychospielchen, unter denen vor allem ihre Söhne zu leiden haben. So verschwindet sie vorübergehend mit einem Ritter, angeblich auf der Jagd nach einem Einhorn, und ihre eifersüchtigen Söhne mit ihren verformten Seelen finden sich einmal mehr in der Sphäre des Hasses und der Aggressionen wieder.
Nur ein Beispiel für die sexuellen Untertöne, die auch den konventionellen Rand überschreiten. Die Brüder überreden die Magd, eine Jungfrau, zu einer eigenen Einhornjagd, nicht zuletzt, um die Zuneigung oder Liebe ihrer Mutter zu erleben, wenn sie ihr den Kopf eines Einhorns präsentieren. Und tatsächlich kommt ein Einhorn zur Jungfrau und legt seinen Kopf in ihren Schoß. Die Brüder töten das Tier, nehmen den Kopf als Trophäe und verursachen so nur Schmerz und Verwirrung.
White hat es überhaupt mit dummen Jungen, die in den Körper eines Mannes hineinwachsen, ohne sich intellektuell oder sittlich zu entwickeln.

Vom Versuch, Macht durch Recht zu ersetzen

Natürlich kommt die menschliche Natur nicht zu kurz, weshalb White uns eine Welt präsentiert, in der Gewalt und Tod, Raub, Mord, Vergewaltigung und Inzest heimisch sind. Arthur muss lernen, dass es in der menschlichen Natur liegt, in Nutzenkalkülen zu denken, Prestige zu erlangen, andere Menschen als zu überwindende Konkurrenten zu sehen. Dies und das Bedürfnis nach Gewalt, nach Rache sind der Normalfall, weshalb die allergrößte Herausforderung darin besteht, sich zu einem ethischen und moralischen Wesen zu entwickeln. Die Überlegenheit der Kooperation ist zwar bekannt, aber man ist schneller bereit zur Konfrontation bis hin zur künstlichen Erzeugung von Konflikten. Es besteht ja immer die Möglichkeit, dass Kooperation nur ein Konzept ist, mit dem man seine Schwäche kaschieren will.

Im letzten Teil gelingt White der Übergang von den persönlichen Beziehungen hin zum gesellschaftlichen und politischen Feld. Die Beziehung zwischen Individuum, Familie und Nation wird hier in den Mittelpunkt gerückt. Und am Ende muss Arthur einsehen, dass ihm sein großes Vorhaben, für das er in den Geschichten der Fantasy immer wieder gelobt wird, misslungen ist, weil man die Menschen nicht auf diesem Weg mitnehmen kann. Das größte Hindernis auf dem Weg zu einer besseren Welt ist der Mensch selbst.

„Immer wollten sie solch eine neue Welt aufbauen, wie es sie noch nie gegeben hatte. Wenn jedoch die Zeit kam, waren sie zu dumm dafür.“

Diese Rezension hat Gastrezensentin Almut Oetjen geschrieben – Vielen Dank! :-)

Der König auf Camelot
Sammelband Bücher 1-4
Terence H. White, Übersetzer: Rudolf Rocholl
Fantasy
Klett-Cotta/Hobbit-Presse
März 2016
780

Funtastik-Faktor: 90

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