Von der Kulturrevolution in China zu Alpha-Centauri
Was wurde über dieses vom Westen spät entdeckte, dann aber umso mehr als Juwel der Science-Fiction gefeierte Werk noch nicht gesagt oder geschrieben? Barak Obama erholte sich mit der Lektüre von anstrengenden Sitzungen im Kongress, Mark Zuckerberg feierte das Buch auf seinem Lebenswerk Facebook. Und Denis Scheck bezeichnete es als das innovativste Science-Fiction Buch der letzten 30 Jahre. Fehlen nur noch meine persönlichen Eindrücke von der Hörbuch-Adaption, gewonnen auf Autofahrten durch Italien, Österreich und Deutschland.
Brutal und brutal detailliert
Die Story beginnt inmitten der chinesischen Kulturrevolution im Jahr 1967. Die Astro-Physikerin Ye Wenjie erlebt, wie ihr Vater, ein einst angesehener Physiker, auf einer Kampf- und Kritiksitzung zu Tode gefoltert wird. Kurze Zeit später soll Ye die Anschuldigungen an ihren Vater unterschreiben, sie weigert sich. Zu ihrer Überraschung bleibt sie am Leben. Sie wird an eine Einrichtung versetzt, die „Rotes Ufer“ heißt. Dort benötigen sie ihre speziellen Kenntnisse der Astrophysik für das chinesische Pendant des SETI-Projekts, der Suche nach extraterrestrischem, intelligentem Leben im Weltraum.
Der Wissenschaftler im Gebiet der Nanotechnologie und Hobby-Fotograf Wang Miao entdeckt eines Tages einen Count-Down auf seinen Foto-Abzügen. Was er auch anstellt, er kann die Ursache dafür nicht ausmachen. Schließlich wendet er sich an die Frontiers of Science und die japanische Physikerin Shen Yufei rät ihm, seine Forschungen einzustellen. Zudem bittet man ihn, der Frage nachzugehen, warum sich einige Wissenschaftler umgebracht haben. Das Virtual Reality Game „Three Body“ scheint Hinweise für die Entschlüsselung all dieser Rätsel zu enthalten. Wang Miao findet sich darin auf einem Planeten wieder, um den drei Sonnen kreisen. Und dessen Zivilisation Spielrunde um Spielrunde untergeht. Eine verschworene Community um das Spiel verfolgt Pläne, die das Ende der Menschheit bedeuten könnten.
Einstieg in ein exorbitantes Epos
Cixin Liu erzählt die zeitlich weitreichende Lebensgeschichte der Astrophysikern Ye, die im blutigen Rausch der Kulturrevolution ihre Familie durch Mord und Verrat verliert. Trotz lang anhaltender Entbehrungen und Demütigungen bleibt Ye unbeugsam. Doch ihre Intelligenz bringt sie Schritt für Schritt an die gewünschte Schaltstelle. Cixin Liu entwirft Yes charakterliche Entwicklung äußerst einfühlsam, mit vielerlei Grautönen, die das Leben der klugen und gepeinigten Frau prägen. Auch Wang Miaos Weg zur Erkenntnis beschreibt Liu anschaulich und gut nachvollziehbar. Er ist einerseits der Stereotyp des ehrgeizigen Wissenschaftlers, der keine Frage unbeantwortet lassen kann, aber auch ein entschlossener und zugleich sensibler Mann. Es ist spannend, den beiden Protagonisten zur unausweichlich scheinenden Apokalypse zu folgen. Das Ende von „Die drei Sonnen“ ist rund und schlüssig, wenn auch nicht spektakulär. Das Buch ist der Auftaktband einer Trilogie und, nach Aussagen von Rezensenten die bereits alle Teile kennen, erst der Einstieg in eine große Space-Opera.
Voraussetzung: Interesse für Naturwissenschaften
Weitreichend sind allerdings auch die wissenschaftlichen Herleitungen von technischen Prozessen, die für die Handlung wichtig sind. Cixin Liu fängt bei den Grundlagen einer Technik an und erläutert sie detailreich bis zum fiktionalen Endergebnis. Beispielhaft sei hier die Funktion eines Transistors genannt, der in der virtuellen Spielewelt von 30 Millionen Soldaten mit weißen und schwarzen Fähnchen nachgestellt wird. Auch ohne Detailwissen fasziniert und funktioniert dieses Bild. Beim Protonen-Computer und dessen Entfaltung in zwei und drei Dimensionen hat mich der Autor allerdings abgehängt. Daher funktioniert für Rezipienten, denen profunde Kenntnisse der Informationstechnologie und Physik fehlen, das Hörbuch vielleicht besser, als das gedruckte Buch. Ich zumindest konnte beim Zuhören meine Aufmerksamkeit zwischendurch auf andere Dinge lenken und wieder einsteigen, als endlich der Handlungsbezug deutlich wurde. Im Buch hätte ich diese Passagen sicherlich überblättert und vielleicht den Wiedereinstieg an der passenden Stelle verpasst.
In jedem Fall sollte man viel Geduld und ein grundlegendes Interesse an Naturwissenschaften mitbringen. Denn Cixin Liu unterfüttert seine Story immer wieder mit Wissen aus dem Bereich der Physik, Mathematik und Elektronik, hier ist er ganz in seinem Element. Erstaunlich ist, dass die Grundvoraussetzung für seine Geschichte, die der Entstehung von erdähnlichem Leben auf einem Planeten, den drei Sonnen umkreisen (und das auch noch mehrfach), wissenschaftlich unhaltbar erscheint. Das muss man als HörerIn mit rudimentären exobiologischen Kenntnissen so hinnehmen.
Mark Bremer hat das Hörbuch gesprochen und dabei einen exzellenten Job gemacht. Der Schauspieler und Sprecher kann mühelos jeder Figur eine eigene Stimme verleihen, ohne dass eine davon irgendwie künstlich wirkt. Treffend betont er auch militärische Ansagen oder wissenschaftliche Vorträge, auch vermeintlich weniger interessante Texte vermag Bremer unterhaltsam wiederzugeben.
Eva Bergschneider
Die drei Sonnen - Band 1
Science-Fiction
Rubikon-Audioverlag
Februar 2017
14 Stunden, 53 Minuten
Funtastik-Faktor 75
Liebe Eva,
eine super Besprechung dieses wunderbaren Buches. Bei mir hat es ja im Nachhinein noch stark gewirkt, ging bzw. geht es dir auch so?
Dass Barack Obama mit dem Buch im Urlaub gesichtet wurde habe ich ja erst im Nachhinein mitbekommen. Ganz gut so, denn vielleicht hätte mich der ganze Hype sonst von der Lektüre abgehalten. Und dieses Buch nicht zu lesen, wäre eine schlechte Entscheidung gewesen.
Liebe Grüße,
Sandra
DANKE Dir! Ich habe ehrlich gesagt auch das Gefühl, dass ich über „Die drei Sonnen“ noch grübeln werde und daraus viel mitnehme. Mir fallen immer mehr Kleinigkeiten aus der Story ein, die ich bemerkenswert finde. So viele elementare Fragen, so viele mögliche Antworten. Du hast in Deiner Rezension sehr prägnante Zitate eingebracht, die genau das ausdrücken, wofür dieses Buch steht. Mir geht es übrigens auch so, um ‚gehypte‘ Bücher mache ich oft einen Bogen. Aber hier hatte auch ich Glück, es war mir von Menschen empfohlen worden, die wissen, was mich fasziniert. Liebe Grüße, Eva