Eine Menge Potenzial verschenkt
In dem Roman „Talus: Die Hexen von Edinburgh“ geht es um ein Artefakt: einen Würfel, der Talus genannt wird. Wer ihn besitzt und benutzt, kann sein Schicksal verändern.
Für vier junge Menschen im magischen Edinburgh hat dieser Würfel eine enorme Bedeutung. Die Kräuterhexe Lu möchte mit seiner Hilfe zur Runenhexe werden und die junge Studentin Erin Magierin. Der stolze Wasserhexer Noah möchte damit die Anerkennung erhalten, die ihm lange verwehrt blieb. Und für Tarotleger Kato geht es darum, eine Zukunft zu verhindern, vor der er sich fürchtet.
Ein Ort, der Geschichten schreibt
Stelle dir vor, dass neben unserer Welt eine weitere existiert, die voller Magie ist. Hexer und Hexen jeglicher Art gehen dort ihren Geschäften nach und nur selten kommt es zu Überschneidungen zwischen dieser und unserer Realität. Das ist die Welt von „Talus“.
Liza Grimm wählt die schottische Metropole Edinburgh als Handlungsort ihres Romans. Und schafft es problemlos, dass man sich als Leser dort heimisch fühlt. Es ist vor allem die geschichtsträchtige Atmosphäre, die diesen Eindruck erweckt. An allen Ecken der Stadt scheint etwas Bedeutendes geschehen zu sein, gibt es spannende Dinge zu erzählen. Es ist ein großartiges Gefühl, mit den Figuren durch die Straßen dieser Stadt zu laufen und die verschiedenen Orte aufsuchen. Kurz: das perfekte Ambiente für einen Fantasy-Roman.
Wenig Positives, viel Negatives
Das ist aber leider auch so ziemlich das einzige vollständig Positive an diesem Roman. Ansonsten hat man eher den Eindruck, dass das Buch halbherzig geschrieben wurde. Man wird mit einer Ansammlung von Klischees und halbgaren Ideen konfrontiert, die nur selten weiterentwickelt werden.
Das Hauptproblem sind die Protagonisten, die es leider fast alle nicht schaffen, das Interesse des Lesers zu wecken. Der sympathischste von allen ist Kato, der noch am ehesten mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen steht und sich nicht wie der letzte Ekel aufführt. Weshalb Liza Grimm ihm verhältnismäßig wenig Platz einräumt, bleibt ihr Geheimnis.
Damsel in Distress gibt sich die Ehre
Stattdessen stehen vor allem Erin, Lu und Noah im Vordergrund des Geschehens, alle drei Charaktere, die in der einen oder anderen Form mit ihrem aktuellen Leben unzufrieden sind und es unbedingt verändern wollen.
Erin sehnt sich insgeheim nach Magie und lügt ihrer Mutter vor, dass sie noch studiert. Tatsächlich pausiert ihr Studium und sie verdient ihr Auskommen als Touristenführerin einer Spuktour. Die ganze Zeit bleibt sie passiv, lässt sich treiben. Bisweilen gibt sie die sprichwörtliche Damsel in Distress, deren einzige Funktion es ist, in Notlagen von anderen gerettet zu werden. Einige Szenen ihrer Handlung versprechen eine Weiterentwicklung des Charakters, die dann aber leider ausbleibt. Zum Beispiel die Szene, in der eine Verwandte, die sie sehr mag, im Sterben liegt: Als sie gerade zu einem letzten Besuch aufbrechen will, kommt plötzlich die Nachricht, dass es der Verwandten besser geht und sie vorläufig doch nicht das Zeitliche segnet. Derartige Ereignisse scheinen mit dem Einsatz des titelgebenden Würfels zu tun zu haben. Wie und warum wird allerdings nicht erläutert.
Feindlich gesinnt und dämlich treffen aufeinander
Lu hingegen konzentriert sich ausschließlich darauf, Runenhexe zu werden. Sie gibt sich als Kotzbrocken, die ihrem persönlichen Ziel alles andere unterordnet. Was dafür sorgt, dass man sie als Leser überhaupt nicht leiden kann. Und dabei ist sie nicht einmal der Gegenspieler der anderen Protagonisten.
Und dann ist da noch Noah, ein Wasserhexer, dem seine Familie keine Liebe entgegenbringt. Sein Vater, ein mächtiger Feuerhexer und Teil des regierenden Rates der magischen Gesellschaft, verachtet ihn. Und seine Mutter lebt in ihrer eigenen Welt und gibt ihrem Sohn ungebetene Ratschläge. Dieser Charakter bleibt überwiegend blass führt sich in wichtigen Situationen äußerst dämlich auf.
Ein irritierendes Ende
Letzten Endes verbleibt der Eindruck, dass die Autorin einzelne Szenen abarbeitet, anstatt eine Handlung zu entwickeln. So schreibt sie irgendwann, dass die Hexen den Menschen keinerlei Sympathie entgegenbringen. Als Beispiel schildert sie folgende Szene: Erin erfährt, dass ein Mensch – welch Zufall – sich in die Welt der Hexer verirrt. Sie töten ihn aus purem Hass. Im Gesamtkontext des Romans wirkt diese markante Szene allerdings wie ein Fremdkörper und spielt in der weiteren Handlung keine Rolle mehr.
Am Ende steht schließlich eine Abfolge von merkwürdigen Szenen. Ein Protagonist muss hilflos zusehen, wie ein anderer vor seinen Augen umgebracht wird. Dadurch bedingt, dass drei Viertel der Handlungsträger dem Leser egal sind, fühlt man in diesem Moment nichts! Kein Entsetzten, kein Mitleid, keine Trauer. Zudem endet das Buch einfach so, ohne irgendeine Art von Finale. Es fühlt sich platt an. So als ob die Autorin keinen Bock mehr hatte, weiterzuschreiben. Was insofern irritiert, da bereits eine Fortsetzung angekündigt wurde.
Fazit
Es ist schade, dass „Talus: Die Hexen von Edinburgh“ so ein Reinfall ist. Denn im Grunde genommen hat der Roman durchaus Potential. Nur wird dieses leider unter schlechten Ideen und einer lieblosen Handlung mit flachen Protagonisten begraben.
Götz Piesbergen
Talus, Band 1
Fantasy
Knaur Verlag
September 2020
350
Alexander Kopainski
10