Die Jagd ist eröffnet
Am Ende des ersten Bands „Das Erbe der Elfen“ tauchten Yennefer und Ciri gemeinsam unter, ebenso der schwer angeschlagene Hexer Geralt. Was aus ihnen und dem treuen Bänkelsänger Rittersporn wird und warum ihnen kaum Zeit zum Luft holen bleibt, davon erzählt „Die Zeit der Verachtung“.
Ciri soll die Zaubererschule in Aretusa besuchen, ihre bisherige Mentorin geleitet sie daher zu den Thanedd-Inseln. Dort findet zudem ein Zauberer-Konvent statt, zudem Yennefer illustre Begleitung mitbringt, den Hexer Geralt von Riva. Was beginnt wie eine exzentrische Party der besseren Gesellschaft, entpuppt sich bald als eine äußerst gefährliche Zusammenkunft. Intrige und Spionage verbergen sich hinter der höfischen Maskerade. Denn die Magier und Zauberinnen verfolgen unterschiedliche Interessen im aufziehenden Krieg. Es kommt zum Putsch.
Nilfgaard schickt sich an, über die nördlichen Königreiche herzufallen, wie das Imperium über die Galaxis in Star Wars. Aufwiegelei, falsche Versprechungen und Verrat spalten die Königreiche. Nilfgaard hat leichtes Spiel und erobert oder annektiert ein Land nach dem anderen. Geralt gerät zwischen die Fronten der Magier und zieht sich zu den Dryaden in den Brokilon Wald zurück. Dort findet ihn Rittersporn. Doch wo sind Yennefer und Ciri?
Emhyr var Emreis, der König von Nilfgaard, setzt ein hohes Kopfgeld auf Ciri aus und beinahe jeder im Reich jagt sie. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sie den Feinden in die Hände fällt.
Ciris Pubertät endet
Die gravierendste Persönlichkeitsentwicklung in „Die Zeit der Verachtung“ durchläuft Ciri, die sich überwiegend allein durch ihr gefährliches Leben schlägt. Anfangs erleben wir sie zickig und rechthaberisch, ganz das pubertierende Mädel aus gutem Haus. Ihr unbändiger Freiheitsdrang und die Abscheu vor der Autorität der Zaubererakademie bringen sie zunächst in Schwierigkeiten, letztendlich ist Renitenz jedoch ihre Überlebensstrategie. Ciri reift spürbar. Sie tut was nötig ist, bleibt aber kompromisslos ehrlich und ihren Prinzipien treu. Sie mausert sich zur Sympathieträgerin und ihr geheimnisvoller Hintergrund macht sie umso interessanter.
Obwohl die Buchreihe „Der Hexer“ heißt, setzt Geralt zwar in „Die Zeit der Verachtung“ entscheidende Akzente, verbleibt aber oft im Hintergrund. Im Mittelpunkt steht das aufziehende Kriegsgeschehen, das jedoch nicht als Schlacht, sondern prospektiv von den Zauberern und retrospektiv von verschiedenen Beteiligten geschildert wird. So schlägt der Roman eher ein ruhiges Tempo an und entwickelt seinen Spannungsbogen in einer zunehmend bedrohlichen Atmosphäre.
Wie im Film
Es mag daran liegen, dass ich über Weihnachten die Netflix TV-Serie „The Witcher“ gesehen habe. Aber ich finde, dass in „Die Zeit der Verachtung“ besonders gut zum Ausdruck kommt, wie ‚filmreif‘ Andrzej Sapkowski schreibt. Bereits das Zauberer- Konvent bebildert der Autor großzügig. Wir erfahren in allen Details, was es für Leckereien gibt und wie die Gäste sie zu sich nehmen. Fasziniert verfolgt man, wie die oberflächliche Stimmung unter den Gästen kippt und Vilgerfortz versucht, Geralt, auf seine Seite zu ziehen. Geralt erzählt Yennefer von dieser Begegnung und der Autor verzichtet darauf, ihn direkt oder indirekt reden zu lassen. Vielmehr springt die Geschichte immer wieder in die Szene, in der der Hexer und der Zauberer durch eine Galerie mit Kunstwerken, die historische Ereignisse zeigen, defilieren. Der Leser erhält auf diese Weise interessante Hintergrundinformationen und steuert in perfekt geschnittenen Sequenzen auf den ersten dramatischen Höhepunkt zu.
Diesem Erzählstil bleibt Sapkowski auch treu, als Rittersporn Geralt im Brokilon aufsucht und ihm schildert, was sich inzwischen im nördlichen Königreich ereignet hat. Gerade noch sitzen Barde und Hexer im Moos – Schnitt – und wir befinden uns in der Siegesfeier der Nilfgaarder über die Reiche Aidirn und Lyrien.
Ist es Zufall, dass auch die TV-Serie immer wieder zwischen den Kurzgeschichten aus der Anthologie und der Rahmenhandlung aus der Pentalogie hin und her hüpft? Anders als in der TV-Serie, verlor ich in „Die Zeit der Verachtung“ nie die zeitliche Orientierung. Das Timing ist im Buch besser, als im Film.
Inmitten eines Umbruchs
„Die Zeit der Verachtung“ leitet einen Umbruch in den Nördlichen Königreichen ein. Nilfgaard erobert den Kontinent und eine mystische Kraft erwacht. Den Magiern kommt eine Schlüsselposition zu, doch sie bekämpfen sich gegenseitig. In Bezug auf Intrigen und einem hinterhältigen Kampf um die Macht steht die „Hexer“ Reihe George R.R. Martins unvollendetem Epos „Das Lied von Eis und Feuer“ wenig nach. Das magische Element ist hier gegenwärtiger, allerdings noch relativ kryptisch und wenig greifbar. Dieses Thema entwickelte der Autor hier nur punktuell weiter, stattdessen konzentrierte er sich auf den politischen Wandel. Beides bietet für die Folgebände noch viel Potenzial. Denn es braut sich etwas zusammen, was dem Hexer und seinen Mitstreitern sicherlich einiges an physischer und übernatürlicher Kraft abverlangen wird.
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