Generation 23: Geheiligt sei der Edlen Name – Ivan Ertlov

Crime & Thrill auf dem Generationenschiff

© Ivan Ertlov

Das Generationenschiff „Trappist“ hat etwas mehr als die Hälfte seiner jahrhundertelangen Reise zum gleichnamigen System hinter sich gebracht. Es war nicht die Neugier, nicht der Entdeckerdrang, der die Siedler auf diese lange Reise schickte – sondern die Apokalypse. Goliath, ein gigantischer Asteroid, hat die Menschheit ausgelöscht. Nur ein kleiner Bruchteil konnte in riesigen Archen wie der Trappist fliehen. Diese hat den weitesten Weg vor sich, aber auch das lohnendste Ziel. Denn im Trappist System warten gleich mehrere bewohnbare Welten.

Maria Gomez wird keine davon zu Gesicht bekommen, aber sie hat sich mit diesem Schicksal arrangiert. Wie alle Schiffsbewohner der Reisegenerationen. Als Justiziarin ist sie Mitglied der Unabkömmlichen, jener gesellschaftlichen Schicht, die bescheidenen Luxus im Austausch für die Ausübung systemkritischer Berufe erhält. Was in ihrem Fall eine Mischung aus leitender Kriminalpolizistin, Staatsanwältin und Richterin darstellt. Als sie vom Judikator, ihrem Vorgesetzten, auf die Jagd nach einem Hühnerdieb geschickt wird, ist dies anfangs noch eine amüsante Abwechslung. Bis eine Entführung dazwischenkommt.

Knallharte Spannung ohne Füllmaterial

„Generation 23″ ist vor allem spannend, dystopisch und knallhart. Die Entführung entwickelt sich rasch zu einem potenziellen Mordfall mit politischen Dimensionen, die bis in die Ränge der „Edlen“ führen. Dies sind die Nachfahren jener Politiker und Konzernbosse, die einst die Fluchtschiffe gebaut und finanziert hatten. Die Führungsschicht, eine unantastbare Elite, die abgeschirmt in den obersten Ebenen, „Himmel“ genannt, in Saus und Braus lebt. Am anderen Ende befindet sich die zahlenmäßig größte Gruppe der „Arbeitskräfte“, denen jede politische Partizipation versagt bleibt.

Die Dystopie ist stark, die Moral ist relativ. Selbst bei Maria Gomez, deren moralischer Kompass sich erst im Lauf der Handlung so richtig einpendelt. Dabei ist sie eine durchaus sympathische Protagonistin: ehrgeizig, aber nicht rücksichtslos, stark, schlau, aber mit kleineren und größeren Schwächen. Wenn Gewalt unvermeidbar scheint, schlägt sie rücksichtslos zu. Auch sexuell hat sie keine Scheu, ihre Selbstbestimmung zu leben. War die Altersempfehlung „ab 16“ in „Mutation“ vielleicht übervorsichtig angesetzt, ist sie in „Generation 23″ goldrichtig. Die Kämpfe kommen in Tuchfühlung zum Splatter, die Erotikszene ist beinahe explizit.

Moral mit dem Holzhammer

Neben der packend erzählten Handlung mit stark ausgeprägten Pageturner-Eigenschaften, sind es vor allem zwei Faktoren, die Tiefgang verleihen:

Zum einen die Dystopie. Ertlov verpackt harte Gesellschaftskritik in einem Science-Fiction Szenario, das ihm gewisse Freiheiten gibt, unser heutiges System zu kritisieren. Die Trappist dient dabei als erschreckend wenig überspitzte Metapher unserer globalisierten Wirtschaftswelt, in der ein Menschenleben nur dann etwas wert ist, wenn es gute PR bedeutet. An manchen Stellen ist das dann aber doch eine Spur zu eindringlich, zu platt.

Zum anderen die Charaktere. Auch aufgrund der Kürze des Buches, beschränkt sich Ertlov darauf, einige wenige Charaktere zu stilisieren. Diese dafür umso gekonnter. Sowohl Sympathie, als auch Antipathie Träger bekommen genau die richtige Tiefe spendiert, um den Leser nicht kalt zu lassen.

Der Autor als Spaßbremse

Wie von Ertlov angekündigt und sowohl im Klappentext als auch noch einmal im Vorwort unterstrichen: „Generation 23“ ist kein lustiges Buch. Der erlösende Humor, der die Military SciFi mit ihren Millionen Toten im „Onur Zyklus“ beinahe beschwingt erscheinen lasst, fehlt vollkommen. Es gibt keine Comedy wie in „Mutation“, die dort den Zynismus und die Menschenverachtung in Zaum hält. Erträglich macht.
Egal, wie viele Warnungen kamen: Das kann einem Fan durchaus sauer aufstoßen. Das wurde offenbar auch dem Autor bewusst, der in einer einzigen Szene gegen Ende doch noch einen kurzen Comedy Relief aufblitzen lässt. Der hier aber fast deplatziert wirkt.

Das Fazit

„Generation 23″ ist ein kurzweiliger, spannender Roman, den man erwachsenen Krimi-, Thriller- und Science-Fiction Lesern und Leserinnen gleichermaßen empfehlen kann. Handwerklich, sprachlich und erzählerisch gibt sich Ivan Ertlov keine Blöße. Es ist kein Geniestreich, aber eine gelungene Zwischendurch-Erfahrung, mit der man sich die Zeit bis Ende Juli verkürzen kann. Denn dann kommt der Nachfolger zu „Mutation“. Hoffentlich mit einer Überdosis jenes Humors, den die Fans zu lieben gelernt haben.

Vielen DANK an Gastredakteurin Tamara Yùshān

Generation 23: Geheiligt sei der Edlen Name
Ivan Ertlov
Science-Fiction (Krimi)
Amazon Media
Juni 2019
198

Funtastik-Faktor: 79

8 Gedanken zu „Generation 23: Geheiligt sei der Edlen Name – Ivan Ertlov

  1. Also, „Spaßbremse“ ist in diesem Kontext schon etwas heftig, auch wenn ich es aufgrund der Erwartungshaltung natürlich nachvollziehen kann.
    Deswegen auch die umfangreichen Warnungen, sowohl bezüglich der Humorlosigkeit als auch der Alterseinstufung.
    Trotzdem vielen Dank für diese Rezension, die ja unterm Strich noch immer sehr positiv ausfällt.

    1. Ist ja nur in Bezug auf die Erwartungshaltung an das Buch gemeint. Ich fand interessant, dass derartige Kommentare beim großen a noch etwas deutlicher formuliert werden. Irgendwo las ich so etwas wie „der Autor sollte ja schließlich für seine Leser schreiben“. Das fand ich etwas heftig. „Du Spaßbremse“ sagt man ja einfach mal so, aus der Situation heraus, ohne damit etwas grundsätzliches über die Person zu sagen. Letztetes tun wir hier sowieso nicht, wir besprechen nur Bücher. 😉 LG, Eva

      1. Keine Sorge, ich bin nicht beleidigt 😉

        Und natürlich ist es nachvollziehbar. Wenn man zwischen zwei sehr stark Comedy-lastigen Büchern etwas wirklich ernstes und düsteres als Käse ins Sandwich packt, dann schmeckt das nicht nur nicht jedem, es ist vielleicht auch eine unangenehme Überraschung.

        Bei diesem besagten Kommentar auf Amazon habe ich mir auch meinen Teil gedacht, aber einer 5 Sterne Bewertung von einem Fan, der bisher offenbar jedes Buch in Print + MB gekauft und rezensiert hat, widerspricht man nur ungern 🙂

    2. Das war auch mehr eine griffige Zwischenüberschrift als eine negative Anmerkung. Und, wie geschrieben, das Buch hat mich ausgesprochen gut unterhalten.

      Aber ich war ehrlich gesagt überrascht, wie konsequent ernst die Thematik durchgezogen wurde.

  2. Ich habe des Buch wahnsinnig spannend gefunden, aber ich musste mich auch erstmal drauf einlassen, das es eben kein Onur Roman oder eine Spaßnovelle wie „Mutation“ ist. Die Gewaltbereitschaft der Protagonistin war gerade im letzten Drittel schon ziemlich heftig, wenn auch in den jeweiligen Situationen nachvollziehbar. Und auch wenn Generation 23 in sich abgeschlossen ist: Im Charakter des Samariters sehe ich einiges an Potenzial für Prequels und Sequels.

    1. Das habe ich mir auch gedacht. Zu seiner Mutation habe ich ein wenig Dr. Google befragt, weil es mir zu abstrus vorkam.
      Aber, tatsächlich wäre es theoretisch möglich, eine solche Mutation natürlich aufzuweisen – oder sogar künstlich herbeizuführen.

      1. Ja, es ist möglich, ich hatte dafür sehr fachkundige wissenschaftliche Beratung.
        Wo ich mir die künstlerische Freiheit herausgenommen habe ist der Fakt, dass der Samariter nicht von den „Nebenwirkungen“ betroffen ist.

        Und klar, der würde genug Stoff für eine eigene Serie abwerfen. Leider sind die Verkaufszahlen von Generation 23 im Verhältnis zu meinen anderen Büchern sehr durchwachsen. Nennen wir es euphemistisch einen „Kritikererfolg“…

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