Maschinengott-Chris Schlicht

Mit Frankenstein und Volldampf in die Klimakatastrophe

Maschinengott (Peter Langendorf 3) - Chris Schlicht © Edition Roter Drache
Maschinengott © Edition Roter Drache

Das Jahr 1900 des Ætherzeitalters neigt sich dem Ende zu. Paul Langendorf reist mit seinem Freund Valerian nach Paris, um sich die Weltausstellung anzusehen. Dort erregt die Erfindung des Müncheners Mayerhofer viel Aufsehen: eine Maschine, die schönes Wetter herstellt. Eine Hoffnung für das Rhein-Main Gebiet, das vom menschengemachten Klimawandel bedroht wird? Denn dort saufen die flussnahen Siedlungsgebiete gerade in den Hochwasserfluten ab. Der Regen lässt einfach nicht nach und der Unmut in der Bevölkerung wächst. Zumal die Stadtoberen jene Gebiete systematisch von anderen Stadtteilen abriegeln.

Ausgerechnet Baron von Wallenfels bietet dem genialen, aber mittellosen Mayerhofer an, ihn bei Suche nach einem Finanzier zu unterstützen. Er lädt ihn auf eine Technikmesse in Frankfurt-Wiesbaden ein. Doch unmittelbar nachdem Mayerhofer einen vermeintlichen Unterstützer telefonisch überprüft hat, wird er in seinem Pensionszimmer ermordet und seine Konstruktionspläne gestohlen. Also schon wieder ein Mordfall für den gerade von der Krim zurückgekehrten Oberkommissar Peter Langendorf. Seine Ehefrau Katharina erholte sich dort von den Torturen, die ihr ein wahnsinniger Mörder angetan hatte. Doch es kommt noch dicker.

Ein verkrüppelter Albino schlägt Paul nieder, der einen feuerspeienden Spielzeugdrachen gebastelt hat und sich gerade mit einem Spielzeugfabrikanten treffen wollte. Auch dessen Zeichnungen werden gestohlen. Und in seiner Sammelmappe befanden sich Pläne für weitere Maschinen. Solche, die guten und schlechten Zielen dienen mögen, je nachdem, wie man sie einsetzt.

Ein weiters Verbrechen bahnt sich im Sanatorium von Dr. Reich an. Der möchte den an Morbus Charcot erkrankten Jewgenij heilen, indem er ihn in einen Maschinenmenschen verwandelt. Gegen den Willen des Patienten. Ein Nachahmer des wahnsinnigen von Laue aus „Maschinenseele“? Der Kollege Dr. Liebermann durchschaut das Vorhaben und bittet Peter um Hilfe. Im Zuge der Ermittlungen kommt aus der Vergangenheit ein weiteres Verbrechen ans Licht, das einem alten Feind zum Verhängnis werden könnte.

Mehr Milieu und Tristesse, jedoch nicht immer mit der Handlung verknüpft

„Maschinengott“ ist nach „Maschinengeist“ und „Maschinenseele“ der dritte Steampunk-Krimi der deutschen Autorin Chris Schlicht mit dem Polizeikommissar Peter Langendorf. Seit den Ereignissen im zweiten Band ist einige Zeit vergangen. Jedoch werfen die Verbrechen, denen Peters Ehefrau Katharina zum Opfer fiel, immer noch Schatten auf das Leben der jungen Familie.

Die Situation der armen Bevölkerung, vor allem an Rhein und Main, verschlechtert sich dramatisch. Und erneut werden Menschen angegriffen oder kommen zu Tode. Erneut spielen Baron von Wallenfels und ein durchgeknallter Arzt wesentliche Rollen.

Ähnlichkeit zum Vorgängerroman waren sicherlich beabsichtigt, schließlich handelt es sich um eine fortlaufende Buchserie. Das Sujet besteht aus einer dystopischen Steampunk-Alternativversion Deutschlands, indem sich HeldInnen und Feind für eine langfristige Auseinandersetzung positionieren. Und obwohl einige Motive bekannt erscheinen, bringt die Autorin genügend neue Handlungsträger und neue schändliche Vergehen in die Geschichte ein, um ihr einen individuellen Charakter zu verleihen. Um die Atmosphäre noch haarsträubender, düsterer und gruseliger zu gestalten, als sie es in Band eins und zwei schon war.

Das liegt vor allem daran, dass Chris Schlicht noch ausführlicher Lebensumstände und -raum der notleidenden Menschen beschreibt. Dem Fortschritt der dampfbetriebenen Industrialisierung wird alles untergeordnet. Vor allem alles Menschliche. Verlust von Menschenleben werden billigend in Kauf genommen, ja sogar forciert. Erschütternd liest sich ein hoffnungsloser Versuch ein demokratisches Mitspracherecht im Namen des armen und überfluteten Stadtteils Biebrich wahrzunehmen. Was sich dort anbahnt, grenzt an einen Holocaust.

Was der Autorin allerdings nicht so recht gelungen ist, ist die Verzahnung dieses ergreifenden gesellschaftlichen Hintergrunds mit der Geschichte. Es erscheint nicht schlüssig, dass eine chemische Analyse des sogenannten Nahrungsmittels, das die notleidende Bevölkerung erhält, angestrengt wird. Und anschließend unternimmt niemand etwas, um die Verantwortlichen für die Fehlernährung der Menschen zur Rechenschaft zu ziehen. Und auch der engagierte Einsatz des Volkvertreters Johann Bartfelder verläuft in nichts als Verzweiflung und im Sande.

Das Spiegelbild des Klimawandels geht angesichts realer Hochwasserkatastrophen unter die Haut

Der Westen Deutschlands erlebte im Juli dieses Jahres eine Hochwasserkatastrophe bisher einzigartigen Ausmaßes. Es wird noch Jahre dauern, zu ersetzen, was Mitmenschen in der Eifel und Pfalz an Hab und Gut verloren haben. Was an Infrastruktur zerstört wurde. Der Verlust von Freunden und Familienangehörigen verbleibt und schmerzt für immer.

Die Szenen aus den flussnahen Bereichen Frankfurt-Wiesbadens erinnern frappierend an die Bilder dieser Hochwasserkatastrophe. Ungeplant, das Buch ist ja vorher geschrieben worden, hält Chris Schlicht uns ein Spiegelbild dessen vor, was uns erwartet, wenn dem menschenverursachten Klimawandel nicht endlich wirksame Maßnahmen entgegengesetzt werden. Inklusive der gesellschaftlichen Konsequenzen zeigt sich ein zutiefst verstörendes und beängstigendes Bild.

Doch auch hier hätte ich mir eine engere Verknüpfung mit der Handlung gewünscht. Denn es geht darin um eine Maschine, die das Wetter beeinflussen, also möglicherweise den Menschen in den Hochwassergebieten helfen kann. Leider ist diese offensichtliche Verbindung nur ansatzweise in der Geschichte zu finden. Vielleicht wird sie ein zentrales Thema in folgenden Bänden der Reihe.

Fazit

Insgesamt besticht „Maschinengott“ trotz der genannten Schwächen durch Spannung, wunderbare Charaktere und eine einzigartige Atmosphäre. Das Buch bietet düstere und ergreifende Lektüre, die eine Weile nachhallt.

Ein paar nicht ganz schlüssige Szenen, wie dem irren Zufall, dass Paul genau die Pläne mit sich führte, die der Albino gebrauchen konnte, trüben das Lesevergnügen nur wenig. Ein paar Textfehler, wie der abwechselnde Gebrauch des Namens Mayerhofer und Mayerhuber für den Erfinder aus Bayern, stören wahrscheinlich nur Pedanten wie mich.

Die gesamte Steampunk-Krimi-Reihe um Peter Langendorf und dessen dritter Band „Maschinengott“ gehören im deutschen Buchmarkt zu den herausragenden Vertretern dieses Subgenres. Obwohl Chris Schlichts Alternativwelt-Historie an Abstrusitäten und Bizarrerien kaum zu toppen ist, demonstrieren einige Bilder ein verzerrtes und dennoch erschreckend realistisches dystopisches Szenario unserer Welt. Nachdem sich der Verlag Edition Roter Drache dieser Steampunk-Krimireihe angenommen hat, sind glücklicherweise weiter Bände zu erwarten. Für mich sind sie Pflichtlektüre und Vergnügen.

Eva Bergschneider 

Maschinengott
Peter Langendorf-Reihe, Band 3
Chris Schlicht
Steampunk
Edition Roter Drache
2021
470
Chris Schlicht
78

Ein Gedanke zu „Maschinengott-Chris Schlicht

  1. Hallo liebe Eva,

    was für eine ungewöhnliche Geschichte mit durch Querverbindungen zu unserer Zeit.
    Werde es mal im Auge behalten…Danke für das Vorstellen.

    Guten Start in die neue Woche..LG..Karin..

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