Ein Abend mit Markus Heitz, Bernhard Hennen, Kai Meyer
moderiert von Julia Kulewatz
Berlin an einem heißen Donnerstagabend Mitte Juni. Volk findet sich in Huxleys Neuer Welt an der Berliner Hasenheide ein. Die Location ist bekannt für heiße Rhythmen unterschiedlichster Couleur. Wie werden sich dort die drei erfolgreichsten deutschen Phantastik-Schriftsteller in Szene setzen können?
Drinnen herrscht eine angenehme Kühle, der Saal sperrt das Licht des Tages aus. Der Konzertsaal wirkt riesig angesichts von vielleicht zwei- bis zweihundertfünfzig Sitzenden. Der Tisch für die Autoren ist weit hinten auf der Bühne platziert. Damit sind sie für das Publikum weit weg. Es ist eher gewohnt, seinen Lieblingsautoren näher zu sein. Berlin ist zeitlich mittendrin in der Lesereise der Meister. Die Veranstaltung wurde zweimal wegen der elenden Seuche verschoben und sogar in diesem Jahr mussten Termine nach hinten gerückt werden, weil es einen der Meister erwischt hatte. Doch endlich, endlich war es so weit, die drei Herren gemeinsam an einen Tisch zu bekommen.
Julia Kulewatz, die Poetin unter den Phantasten und Literaturwissenschaftlerin, war eingeladen, durch den Abend zu führen.
Lesungen aus meisterlichen Werken
Markus Heitz stellt uns als erstes Interpol-Ermittler Malleus Bourreau vor, der in einer Welt voller alter Götter Atheist geblieben ist. Bourreau will die Freundin eines von einer Gott-Statue Erschlagenen trösten und verhören, doch kommt nicht weit, weil … Hier spoilern wir nicht, sondern verraten nur, dass Heitz einen fast allwissenden Erzähler erfunden hat, der einzigartig in der Fantasy sein mag.
„AERA – Die schwärzeste Nacht“ ist Teil 2 von einer Welt, in die alle alten Götter zurückgekehrt sind. Nur Christen, Muslime und Juden warten vergeblich auf ihren Gott. Dass Heitz durchaus witzig und humorvoll kann, wissen spätestens seine Fans, die sich die alternative Geschichtsschreibung „Die Republik“ reingezogen haben, die er als Max Voland veröffentlichte. Ein Atheist, der Verbrechen aufklären soll, die mit göttlichen Entitäten zu tun haben. Ein Szenario, das nur Lachflashs auslösen kann.
Was die Meister ursprünglich wollten und wie es sich in ihren Werken wiederfindet
Bernhard Hennen erzählt, wie er von hinten durch die Brust ins Auge politische Inhalte in Phantastik verpackte. Denn sein Verlag wollte nur pure Unterhaltung, nachdem Markus erfolgreich „Die Zwerge“ veröffentlicht hatte. Alle politischen Bezüge musste Bernhard aus seinen Exposés löschen. Mittlerweile ist Bernhard berühmt dafür, politische Aktualia auf der Ebene der Phantastik zu überhöhen und den Lesenden Machthunger und Profilsucht sowie die Jagd nach falschen Idealen unter die Haut gehen zu lassen.
Der Autor liest aus dem ersten Band der Schattenelfen „Die Blutkönigin“ die Szene, als die von Emerelle ausgesandte Meuchelmörderin in Langollion erscheint. Elfen-Fans wundern sich über den Weltenbau, da es ungeheuerlich scheint, dass es Elfen geben soll, die in Dreck und Schmutz hausen und völlig verarmt sind. Doch wer auf die Paradies-Insel will, braucht viel Geld oder Glück in der Lotterie.
Kai Meyer stellt die Hilflosigkeit seiner Heldinnen im „Fürimmerhaus“ vor. Sie, die die Welt gerettet haben, wollen nur in sie zurück, insofern sie sich überhaupt entsinnen, wo sie warum hinwollen. Carter heißt der Held, der sich an nichts außer seinen Namen erinnern kann. Er will gemeinsam mit den anderen fliehen und macht sich mit ihnen auf die Suche nach einem Ausgang. Kai erzählt von den Anfängen seines Schaffens. Er wollte zuerst etwas mit Film machen. Deshalb sind es für ihn meist Licht und Räume, Gebäude, Landschaften, in denen seine Romane spielen und in denen dieser Raum, Haus oder Landschaft die Handlung dominiert. Aus seiner visuellen Vorstellungskraft erwächst die Geschichte.
Anekdoten aus dem Schriftstellerleben
Zwischendurch gibt es immer wieder kleine Köstlichkeiten aus dem Schriftstellerleben. Bernhard und Markus ist gemeinsam, dass sie auf der schwarzen Liste der katholischen Bibliotheken stehen. Wen wundert’s? Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie über Zwerge schreiben.
Weiter geht es mit Drachenelfen, Zwergen und Geschichten aus der Bücherstadt
Bernhard liest aus den Drachenelfen. In der Reihe hat er Aale erfunden: Mini-U-Boote, erbaut von den Zwergen. Angetrieben werden sie wie Fahrräder durch Pedale, in die man treten muss. Die Bolzenspucker heißt einer dieser Aale und wir hören die Stelle, an der sie havariert und die Korken ausgehen, mit denen die Löcher im Rumpf gestopft werden sollen.
Markus liest aus seinem neuesten Roman „Das Herz der Zwerge“. Stadtrat Baranor wird nach einer Sitzung gekidnappt und geknebelt und in einem Geheimfach einer Postkutsche verstaut. Stunden später hält sie. Ein Trupp Orks überfällt sie.
Markus ist großer Fan davon, wenn im Abspann von Filmen Szenen vom Dreh gezeigt werden, die schief gegangen sind. So hat er sich hingesetzt und die Ork-Überfallszene mehrmals geschrieben – mit allem, was daneben gehen kann. Wieder hatte er alle Lacher auf seiner Seite und sonnte sich in seiner Rolle als Spaßvogel des Abends.
Kai stellt seinen neuesten Roman „Die Bücher, der Junge und die Nacht“ vor. Bevor er loslegt, erzählt er, dass Leipzig noch zu Zeiten des II. Weltkriegs die Bücherstadt Deutschlands war. Etwa 2000 Verlage und andere Gewerke, die für die Produktion von Büchern zuständig sind, hatten dort ihren Sitz.
Das Setting des Romans, der Anfang November erscheinen soll, hat es in sich. Dezember 1943: Das Haus eines Verlegers wird von einer Bombe getroffen. Heraus kommt ein Zehnjähriger, der sein ganzes Leben lang nichts anderes kennengelernt hatte als ein Bücherzimmer. Jetzt muss er überleben und schließt sich als Lehrling einem Bücherdieb an, der ständig auf der Suche nach einem besonderen Buch ist. Der Junge hat genau den Riecher dafür, diese begehrten Bücher zu finden. Der Roman spielt in drei Zeiten: 1933, 1943/44 und 1971 und verbindet die geheimnisvollen Geschichten von Verlegerfamilien. Kai liest eine Stelle, an der der Junge badende Mädchen beobachtet und sich mit ihnen einen verbalen Schlagabtausch liefert. Na klar, dieser Auszug war voller Humor. Der Roman scheint eher ein historischer Roman zu werden als ein phantastisches Werk. Lassen wir uns überraschen.
Fragen aus dem Publikum
Anschließend fragten Gäste aus dem Publikum. Daraus nur wenige Bruchstücke. Bernhard antwortete z.B. auf die Frage, was sein liebster Roman sei: „Immer der übernächste, weil dann noch alles offen ist.“
Markus berichtete, dass er Jahre um ein Volontariat als Journalist gekämpft habe. „Ulldart“ hatte er längst geschrieben, gerade war der erste Band der „Zwerge“ erschienen und er bekam die Zusage. Zwei Tage Zeit hat er sich für die Entscheidung gelassen: „Mir wurde klar, dass ich beides nicht hinbekomme und entschloss mich, Schriftsteller statt Journalist zu werden.“
Kai sollte in der Schule einen fiktiven Aufsatz schreiben. „Der Turm der lebenden Leichen“ floss aus seiner Feder. Das mochte die Lehrerin ganz und gar nicht.
Eine Frage ging an die Moderatorin Julia Kulewatz, die bereits beachtenswerte Kurzgeschichtensammlungen wie „Jenseits Blassblau“ und Gedichtbände veröffentlicht hat. Ob sie denn auch plane, einen Roman zu schreiben. Tatsächlich ist sie unermüdlich dabei und es wird ein Science Fiktion: „Dysfunctional woman“.
Sicher gab es für „Die Meister der Phantastik“-Tour attraktivere Orte als das Berliner Huxleys, das eben auf Rockkonzerte spezialisiert ist. Trotzdem konnten die Zuhörer den viel zu riesigen düsteren Ort verdrängen, weil die drei Autoren Heitz, Hennen und Meyer ihn mit Farbe, Spannung, Licht und Emotionen gefüllt haben – liebevoll und professionell zugleich von Julia Kulewatz an die Hand genommen. Gerne wieder – der Abend war ein inneres Blumenpflücken.
Mehr über die Lesereise der Meister der Phantastik: Markus Heitz, Bernhard Hennen und Kai Meyer erfahrt ihr hier.
Amandara M. Schulzke