Mit Schwein, Spaß und (Plasma-) Kanone
Tatsächlich, es gibt ein neues Abenteuer mit Colonel Winston, Captain Harris und dem schweinischen Ratsassistenten Fredderick. Drei Monate nach dem Erscheinen von „Mutation“, dem ersten Teil seiner neuen „Avatar“- Reihe, legt Ivan Ertlov nach. Ein sehr kurzer Zeitraum, vor allem wenn man bedenkt, dass am Vorgänger rund 20 Jahre lang geschrieben wurde. Ganz ehrlich: Eine gewisse Skepsis konnte ich mir angesichts dieses Tempos nicht verkneifen, und ich war gespannt ob und wie sehr die Qualität hier leiden würde.
Rasanter Einstieg, einige Fragezeichen
Man wird sofort ins Geschehen geworfen – ohne Vorwort, Prolog oder irgendwelchen Erklärungen. Ein Novum in Ertlovs literarischem Schaffen, aber es funktioniert. Wir schlüpfen in die Haut eines afrikanischen Ingenieurs, der sich als Sklave in einer illegalen Mine für seltene Erden langsam zu Tode schuftet. Betrieben wird diese von einem korechinesischen Kartell, sadistische Söldner fungieren als Aufseher. Eine sehr beklemmende Szene zum Einstieg, die erst nach einigen harten Momenten aufgelöst wird. Die einen erlösenden Gag spendiert bekommt, dem rasch noch mehr Spaß folgt.
Dann geht es erst richtig ans Eingemachte: Im Auftrag Seiner Majestät König Eltons und der Royal Navy wird die Avatar Crew in ihren alten militärischen Rang reaktiviert. Vorerst, um die Unregelmäßigkeiten des britischen Bubblejump Unternehmens „New Horizons“ zu untersuchen. Eine jener wenigen Firmen, die teure Ein-Weg-Tickets für die aufwändigen Sprünge in andere, hoffentlich bewohnbare Sonnensysteme anbietet.
Die Gang ist zurück – aber deutlich gereift
Die ans Herz gewachsenen Charaktere aus Teil Eins spielen natürlich die Hauptrolle: John Harris, liebenswerter Chaot mit interessanter Moral und unerschütterlichem Idealismus. Alice Winston, der kühle Kopf des Duos, Veteranin mit 40 Jahren Militärerfahrung und seine Vorgesetzte. Aber inzwischen schreiben wir das Jahr 2153. Vier Jahre sind vergangen, in denen sie die Beziehung zueinander erforscht – und ziemlich interessant gestaltet haben.
Mad Max ist in einer Nebenrolle zurück, der Part von Fredderick wurde massiv aufgewertet. Kein Wunder, das sprechende Schwein mit einem IQ über 140 war DER Publikumsliebling in „Mutation“. Ein weiterer Nebencharakter aus dem Auftakt wird sehr wichtig, in mehrfacher Hinsicht.
Ernst, Humor und Schnitzeljagd
Wieder ist es unmöglich, das Buch auf ein Genre fest zu nageln. Es ist ein großes Abenteuer, eine Detektivgeschichte und Schnitzeljagd, die zumindest in der ersten Hälfte des Buches auf der Erde stattfindet. Hier überzeugen die Details der Ortsbeschreibungen: Von einer Nebengasse in Saigon, über die Provinzstadt Eshan in Südchina, bis hin zu den Wegbeschreibungen in Zürich. Entweder hat der Autor sehr gut recherchiert, oder die Schauplätze wirklich besucht.
Als Oberbau dient abermals ein Science-Fiction Thriller, eine Verschwörung, die auf den ersten Blick (und den zweiten) kaum zu durchschauen ist. Spannung, Verfolgungsjagden, Raumkämpfe und düstere Enthüllungen inklusive. Gesellschaftskritik wird diesmal wohldosierter, aber intensiver serviert. Die Ausbeutung Afrikas ist ein Thema, die Jagd nach neuen Welten das andere. Und Gier ist sowieso der Motor fast allen Bestrebens.
Getragen und abgerundet wird es wieder von einem einzigartigen Humor, wunderbaren Wortwitzen und einigen Slapstick Einlagen – die durchaus während einer brutalen Kampfszene passieren können.
Insgesamt ist die Story sogar noch einen Tick spannender als in „Mutation“. Die Twists noch weniger vorhersehbar. Aber sie backt diesmal kleinere Brötchen: Anstatt einer Verschwörung, die ganze Planeten und hunderte Millionen Menschen bedroht, steht das Schicksal eines einzigen Siedlerschiffs im Vordergrund.
Und natürlich ist das Buch politisch: Im Großen, wenn es um die Ausbeutung des schwarzen Kontinents geht. Im Kleinen, wenn das Geld bestimmt, ob jemand einen Platz in der ersten Reihe bekommt, wenn neue Welten zu erforschen sind. Im Zwischenmenschlichen, wenn John und Alice bei all ihrer Promiskuität und mehr oder weniger offenen Bisexualität um eine Definition von Beziehung ringen.
Zu glatt gebügelt?
Was nach einer gewissen Lesezeit auffällt: Der Autor hat offenbar jeden einzelnen Kritikpunkt aus Rezensionen zu „Mutation“ gelesen – und gnadenlos eliminiert. Auch meine. Prolog, lange Erklärungen und Rückblenden wurden ebenso gestrichen wie die überlangen Schachtelsätze. Manche Stellen sind bewusst so geschrieben, dass auch ein Leser mitkommt, der erst hier in die Reihe einsteigt. Es scheint mehr ein Marketing, als ein kreativer Gedanke dahinter zu stehen. Dennoch sollte man den Vorgänger zuerst lesen, um alle Zusammenhänge zu verstehen.
Das Korrektorat hat tadellose Arbeit geleistet, aber auch einen Teil der typisch österreichischen Formulierungen ‚eingedeutscht‘. Das mag dem deutschen Leser munden, für mich büßt es damit einen Teil seiner Faszination ein. Auch die ‚derben‘ Kanten wurden etwas abgeschliffen. Keine Frage, es wird immer noch gesoffen, geflucht und gevögelt – aber alles scheint dennoch eine Spur braver, zivilisierter zu sein. Meiner Meinung nach hat man hier über das Ziel hinausgeschossen.
Fazit
Objektiv gesehen ist „Todessprung“ in fast jedem Kriterium eine Spur besser als „Mutation“. Die Story ist spannender, die Kämpfe vielleicht weniger episch, aber noch besser choreographiert.
Aber durch die Professionalisierung und pedantische Eliminierung aller Kritikpunkte büßt „Todessprung“ ein wenig Punk und ‚Scheiß drauf‘ Mentalität ein. Die zumindest einen Teil der Faszination von „Mutation“ ausmachte. Im Vergleich zu diesem wirkt es daher manchmal auf massentauglich getrimmt, was mich persönlich störte. Nachdem es „Mutation“ auf die Nummer 1 Position in der Bestseller-Liste seiner Amazon Sparte schaffte, bezweifle ich, dass es notwendig war.
Dennoch ist „Todessprung“ ist ein tiefgründiges, lustiges und spannendes Abenteuer. Ein Page-Turner mit Assoziationen zu „The Expanse“ und „Firefly“, „Anhalter“ und „Dr. Who“, aber stets eigenständig und originell. Ein Science-Fiction Roman, der nicht nur Science-Fiction Fans begeistern kann.
DANKE an Gastredakteurin Tamara Yùshān
Avatar-Reihe, Band 2
Science-Fiction
Amazon Media
Juli 2019
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