Zerbrochene Sterne – Ken Liu (Hrsg)

Jede Menge Inhalt und eine enorme thematische Bandbreite

Zerbrochene Sterne © Heyne

Seit einigen Jahren bringt der Heyne Verlag vermehrt Science-Fiction-Literatur von chinesischen Autoren heraus. Vor allem die Werke von Cixin Liu erfreuen sich hierzulande großer Beliebtheit. Jetzt veröffentlicht der Verlag mit „Zerbrochene Sterne“ eine Anthologie, die er selbstbewusst mit „Die besten chinesischen Science-Fiction-Stories“ untertitelt. Herausgeber dieser Geschichtensammlung ist Ken Liu, der selbst keine Erzählung beigesteuert hat.

Jetzt ließe sich natürlich darüber streiten, ob die ausgewählten Geschichten wirklich die Besten sind, wie der Verlag behauptet. Mangels detaillierter Kenntnisse der chinesischen Science-Fiction-Szene lässt sich diese Behauptung leider nicht überprüfen. Was allerdings auffällt, ist, dass keine der gesammelten Stories im letzten Jahrtausend herausgekommen ist. Die älteste stammt aus dem Jahr 2004, der Großteil der Erzählungen wurde in den letzten 7 Jahren veröffentlicht. Cixin Lius Beitrag erscheint hier zum ersten Mal.

16 Geschichten von 14 Autoren erwarten den neugierigen Leser. Hinzu kommen noch drei Essays, drei Anhänge und eine Einleitung. Insgesamt 669 Seiten umfasst „Zerbrochene Sterne“ und man wird sich mit keiner einzigen davon langweilen.

Schon die Bandbreite der Geschichten ist enorm. Sie reicht von mystisch verbrämten Erzählungen wie Cheng Jingbos „Der herabhängende Himmel“, über clevere Zeitreisen wie Cixin Lius „Mondnacht“, bis zu einer epischen SciFi-Story wie Baoshus „Großes steht bevor“.

Kluge Geschichten voller Gags und Clous

Letztere ist die umfangreichste Story in diesem Band. Auf 122 Seiten erzählt der Autor das Leben von Bao, der an einem Tag auf die Welt kommt, an dem ein merkwürdiges Himmelsereignis beobachtet wird. Danach entwickelt sich die Geschichte rückwärts. Bao wird älter und erlebt mit, wie die Technologie sich zurückentwickelt und historische Ereignisse quasi in umgekehrter Reihenfolge eintreten.

Der Clou an dieser Geschichte ist, dass man selbst als westlicher Leser mit normaler Schulbildung weiß, wie diese Geschehnisse sich ursprünglich entwickelt haben. Mit diesem Basiswissen ist es ein besonders Vergnügen, die Story zu lesen, schon allein um zu bewundern, wie es dem Autor gelingt, die rückwärts passierenden Ereignisse glaubwürdig und logisch zu entwickeln.

Mit zum Gelingen der Story trägt bei, dass der Protagonist durch und durch glaubwürdig ist. Er ist kein Mustermann und unterhält mehrere Liebschaften. Gerade die realistische Darstellung kommt der Geschichte zugute. Denn gleichzeitig erlebt Bao die verschiedensten Auswirkungen der Historie hautnahe mit, wie die für seine Familie schmerzlichen Konsequenzen der Kulturrevolution. Als Leser leidet man mit ihm.

Eine weitere gelungene Geschichte ist „Mondnacht“ von Cixin Liu. Hier werden Erinnerungen an Robert A. Heinleins „Im Kreis“ wach. Es ist eine Erzählung, in der eine gewisse Art von Zeitreise eine wichtige Rolle spielt. Der namenslose Protagonist hat im Laufe der Story drei Mal Kontakt mit seinem zukünftigen Ich. Und jedes Mal teilt es ihm etwas Wichtiges mit.

Es ist eine clevere, kleinere Geschichte, deren Gag in der Wiederholung der Ereignisse liegt. Wieder und wieder erhält der Protagonist diese Nachricht: Angeblich wird etwas gefunden, was die Zukunft zum Besseren verändern könnte. Dass am Ende die Dinge dann doch anders verlaufen als gedacht, ist eben der besondere Clou, der die Story funktionieren lässt.

Fazit: rundum lesenswert

Auch die anderen Erzählungen sind gelungen. Geschichten wie „Der Roboter, der gerne Quatsch erzählte“ oder „Gute Nacht, Traurigkeit“ glänzen mit Humor, oder einer sensiblen Behandlung des Themas Depression. Hinzu kommen die Essays, die unter anderem einen kurzen Einblick in die Geschichte der chinesischen Science-Fiction geben. Am Ende bleibt als Fazit festzuhalten, dass Ken Liu mit seiner Auswahl für „Zerbrochene Sterne“ ein rundum lesenswerter Kurzgeschichten-Band geglückt ist.

Götz Piesbergen

Zerbrochene Sterne
Ken Liu (Hrsg) mit Cixin Liu, Hao Jingfang, Qiufan Chen,
Science Fiction
Heyne
März 2020
669
Stephan Martiniere

Funtastik-Faktor: 100

Schreibe einen Kommentar