Über Drachen und ungeschriebene Geschichten
Gerüchte über einen Drachen, der die Karawansereien an der Großen Gewürzstraße niederbrennt, machen die Runde. Mit seinem Großvater, dem berühmten Nûr ed-Din, ist Anȗr nach Nabija, der Hauptstadt des Wüstenreichs gereist. Denn wo könnten Geschichtenerzähler einfacher Stoff für Erzählungen aufschnappen? Als der alte Herr mal wieder das Geld verdienen seinem Enkel überlässt, um ein Mittagsschläfchen zu halten, klopfen Soldaten des Sultans an die Tür. Sie suchen Nûr. Im Glauben, dass es sich nur um einen weiteren Job handelt, gibt sich Anȗr als sein Großvater aus. Doch verlangt wird ein Berater, der dem Sultan hilft, einen Drachen zu töten.
Ein Buch und eine Schatulle werden in der Familie des Herrschers seit Generationen vererbt. Darin soll ein Werkzeug versteckt sein, mit dem man der Legende nach Drachen besiegen kann. Als Anȗr die Kindergeschichte aus dem Buch liest, traut er seinen Augen nicht. Es ist seine Lieblingsgeschichte, die er sich selbst ausgedacht und niemandem erzählt hat. Wie kann sie in diesem Buch stehen? Anȗr löst das Rätsel und die Schatulle gibt einen Drachenzahn frei. Diese Waffe wird Prinz Masul übergeben und Anȗr ihm als Chronist zugeteilt. Auf dem Weg zum angeblichen Hort des Drachen, dem Berg Kaf, geht es durch die Wüste. Die alles andere als leblos ist und vielerlei Wunder und Gefahren offenbart.
Die Wüste lebt
Akram El-Bahay ist nicht der erste Fantasy-Autor, der Geschichten im Orient ansiedelt, Kai Meyers „Sturmkönige“ Trilogie spielt zum Beispiel ebenfalls in dieser Welt. Dennoch sind fliegende Teppiche und Geister aus der Flasche immer noch eher selten in der Fantasy anzutreffen. In „Flammenwüste“ findet sich beides; ein fliegender Kelim, sogenannte Ilfriten und viele weitere orientalische Elemente. Akram El-Bahay hat sich ein ganzes Sammelsurium an Skurrilitäten ausgedacht. Wer hätte schon inmitten der Wüste eine unterirdische Stadt mit einer Bibliothek, in der man alle ungeschriebenen Geschichten findet, vermutet? Ebenso originell sind die Völker der Wüste, von einem kleinwüchsigen Volk, das wirklich alles sammelt, bis hin zu gruseligen Schattenwesen und Formwandlern. Jedes neu entdeckte Mysterium ist seltsamer, als das vorherige.
Anȗr reitet in die Wüste, um Drachen zu jagen und ist auch der erste, der einen Schuss auf sie abgibt. Doch er versteht die stille Stimme des schwarzen Drachen, sie verbindet ein magisches Band. Und so werden Drache und Mensch, trotz gegenseitigen Misstrauens, schließlich Freunde. Denn es gilt die Stadt Nabija und ein Geheimnis vor dem gemeinsamen Feind Sarraka zu schützen. Akram El-Bahay hat die Drachen als eigenständige Wesen und Individuen gezeichnet. Im Gegensatz zu anderen Romanen über Freundschaften zwischen Drachen und Menschen, agieren hier beide als gleichberechtigte Partner. Der Drache bleibt eigenwillig, was ihn viel interessanter macht, als diejenigen, die sich ‚ihrem‘ Menschen unterordnen.
Der junge Geschichtenerzähler ist zwar ein sympathischer und menschlicher Held, aber nicht unbedingt eine originelle Figur. Doch die ihm zur Seite gestellten Weggefährten machen dieses kleine Manko mehr als wett. Da wäre zum Beispiel Fis, der tollpatschige Zauberer, der manches Missgeschick verursacht, aber trotzdem der Gruppe aus der Patsche hilft. Oder der Sammler Hadukaba, ein eigenartiger, gewitzter und treuer Kerl. Und Shalia, die Anȗr den Kopf verdreht und schon in jungen Jahren über eine erstaunliche Erfahrung verfügt.
An farbenprächtig gestalteten Schauplätzen hat Akram El-Bahay ein phantastisches Wüstenabenteuer erschaffen, das in vielerlei Hinsicht begeistert. „Flammenwüste“ ist eine Hommage an die Kunst des Geschichtenerzählens. Die eingeschobenen kurzen Erzählungen sind zwar in sich abgeschlossen, nehmen aber immer Bezug auf das sonstige Geschehen und bereichern so die Handlung. Hier hat der Autor ein feines Gespür dafür bewiesen, beide Erzählebenen zu einem stimmigen Ganzen zu vereinen. Auch der Stil des Autors liest sich angenehm schnörkellos und lebendig. Zwei Schwachstellen hat dieser insgesamt schöne Roman aber dennoch. Manche Aktion wirkt ein wenig zu sehr, wie der Geist, der zum passenden Zeitpunkt aus der Flasche poppt, zum Beispiel die erste Begegnung von Anȗr und Shalia. Des Weiteren geht manchmal der rote Faden in einem Zuviel an phantastischen Effekten unter. Nicht jede Figur, nicht jeden Schauplatz hätte die Handlung unbedingt gebraucht.
Für „Flammenwüste“ hat Akram El-Bahay im März 2015 völlig zu Recht den SERAPH-Preis als ‚Bestes Debut‘ auf der Leipziger Buchmesse erhalten. Die zur Charakterisierung seines Werks häufig genutzte Floskel „irgendwo zwischen Herr der Ringe und 1001 Nacht“ trifft tatsächlich. Der Roman ist ein spannendes Fantasieabenteuer mit innovativen Ideen und der märchenhaften Atmosphäre orientalischer Sagen. „Flammenwüste“ ist der Auftaktroman einer Trilogie, der zweite Band „Der Gefährte des Drachen“ ist bereits erschienen und das Finale „Der Feuerlose Drache“ wird im September 2016 erwartet.
Eva Bergschneider
Flammenwüste Trilogie, Band 1
Fantasy
Bastei-Lübbe
August 2014
526
Funtastik-Faktor: 78