Als ob es kein Morgen gäbe
Für „Fairwater oder Die Spiegel des Herrn Bartholomew“ erhielt Oliver Plaschka 2008 den deutschen Phantastik-Preis. Das prämierte Buch ist ein Urban-Fantasy-Roman, der in einer fiktiven amerikanischen Kleinstadt spielt, in der nichts so ist, wie es scheint. Skurrile Figuren scheinen es dem Autor angetan zu haben, denn solchen begegnen wir auch in seinem zweiten Roman „Die Magier von Montparnasse“
Verhängnisvolles Zauberkunststück
Das „Pharaonen-Stück“ des Zauberkünstlers Ravi und seiner Assistentin verläuft auf der Bühne des „Bobino“ nicht wie geplant. Um nicht in Sandmassen zu ersticken, befreit Ravi sich und Blanche mittels echter Magie aus dem gläsernen Tank. Zumindest die Bühnenarbeiter müssen mitbekommen haben, dass für einen Augenblick die Naturgesetze außer Kraft gesetzt waren und natürlich die allgegenwärtige Société, die über die Magie in der Welt wacht. Ausgerechnet in dieser Situation beschließt Blanche, in eine verbotene Frucht zu beißen, um ein gegebenes Versprechen einzulösen. Der Zauber versetzt sie in einen Schlaf und legt ihr beider Schicksal in Ravis Hände.
Die Zeit bleibt stehen, an diesem 26. September des Jahres 1926 in Paris. Und die folgenden Sonntage werden dem Hotel „Jardin“ am Carrefour Vavin illustre Gäste, wie den englischen Gentleman Barneby, die geheimnisvolle Céleste und den unheimlichen Orlando mit seinem Diener Chloderic bescheren. Sie alle gehören einer magischen Parallelgesellschaft an, deren Leben in der nicht magischen Welt die sogenannte Société Silencieuse reguliert. Weiß jemand von den neuen Gästen, warum jeder Sonntag düsterer und kälter wird? Was das Leben am sonst so munteren Boulevard du Montparnasse immer mehr zum Erliegen bringt? Alphonse, der Hotelbetreiber, seine Frau Esmée, die Kellnerin Justine und der angehende Schriftsteller Gaspard ahnen nichts von der Zeitschleife. Sie werden allerdings mit ihren zunehmend mysteriösen Auswirkungen konfrontiert und in den magischen Strudel der Ereignisse hinein gezogen.
Das Rad der Zeit steht still …
Was passiert, wenn es kein Morgen gibt? Star Trek beschäftigte sich bereits mit dem Thema und natürlich der bekannte Kinofilm mit Bill Murray „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Einige der agierenden Protagonisten sind zunächst ahnungslos und bemerken irgendwann, das etwas nicht stimmt. Andere erleben bewusst immer den gleichen Tag und versuchen herauszufinden, warum und was an diesem Tag geschehen muss, um das Rad der Zeit wieder anzuschieben. Für den Bühnenzauberer Ravi ist nicht nur die Zeit zum Stillstand gekommen, zugleich ist seine Begleiterin Blanche in einen endlosen Schlaf gefallen. War es Blanches Biss in den Apfel, oder sein verbotener magischer Akt, der dieses Phänomen heraufbeschwor? Nur eines scheint gewiss: Die Société wird reagieren. So beginnt Ravi mit detektivischer Akribie, das Rätsel zu untersuchen und wartet auf die Ankunft Gerichtsbarkeit der magischen Welt. Bald residieren Gnome, dunkle Engel und Gestaltwandler im „Jardin“. Für Justine, Alphonse und Esmée scheint zunächst alles normal zu verlaufen – bis auf die seltsamen Gäste, die der Hotelier im sogenannten „Spinnerflügel“ unterbringt.
Oliver Plaschka erzählt seine Geschichte in Episoden, jeweils aus der Perspektive der sieben Hauptprotagonisten. Wir erfahren, wie Alphonse zu einem Hotel kam und dass er lieber in der Provence einen Garten anlegen würde. Justine erzählt, wie sie vergeblich auf Antoine gewartet und schließlich den erstbesten Job angenommen hat. Zunächst passiert nicht viel. Der Autor stellt seine Charaktere vor und lässt uns tiefe Atemzüge von dem Flair der späten Zwanziger Jahre in Paris nehmen.
Es ist die Zeit zwischen den Weltkriegen. Die Zeit, in der Tango zu den Klängen einer traurigen und exaltierten Musik getanzt wird und der Absinth, die grüne Fee, den Bohemiens das vergeistigte Leben versüßt. Die Amerikaner zieht es nach Paris, in die alte Welt, auch die Schriftsteller der amerikanischen Moderne, wie Ernest Hemingway, der einen kurzen Auftritt in „Die Magier von Montparnasse“ hat. Oliver Plaschkas Roman spielt an den Theatern (Bobino), Bars (Dingo Bar) und Cafés (La Rotonde) am Boulevard du Montparnasse, die in den 20er Jahren den Mittelpunkt des künstlerischen Lebens bildeten.
..und die Welt gerät aus den Fugen
Zunächst sorgt schon die eingeschränkte Perspektive der erzählerischen Ich-Form dafür, dass der Einstieg in die Geschichte schwer fällt. Der Leser verliert sich darin, denn die Rätsel sind nicht wirklich greifbar, er findet zunächst wenig Anhaltspunkte, an die er gedanklich anknüpfen kann. Es dauert seine Zeit, bis Plaschka seine Handlungsbühne vollständig arrangiert hat. Erst ab dem dritten Sonntag nimmt das im Klappentext angekündigte Endzeit-Szenario langsam Gestalt an. Einem Mord und einer bizarren Séance folgt ein Finale auf dem Friedhof Montparnasse (Ruhestätte Charles Boudelaires, des wichtigsten Literaten der französischen Moderne) dass auch beim aktionsverwöhnten Leser wenig Wünsche offen lässt. Endlich offenbaren sich die Geheimnisse der Andersweltler, ganz besonders ausgefallen kommt die wahre Natur von Blanche und Ravi zum Vorschein.
„Die Magier von Montparnasse“ ist mit seinem stets präsenten, historischen und kulturellen Hintergrund sehr viel mehr als eine einfache Unterhaltungslektüre und eine echte Herausforderung an die Aufmerksamkeit des Lesers. Es scheint, als wollte der Autor nicht nur eine facettenreiche, schaurig-schöne Geschichte erzählen, sondern auch seine Hochachtung für die Literaten der klassischen Moderne zum Ausdruck bringen. Zudem steckt der Roman voller Poesie, philosophisch anmutender Anspielungen und biblischer Motive. Nicht zuletzt mag er auch eine Hommage an die Liebe und an ihre sprichwörtliche Stadt sein. Ein großes Kompliment sei an dieser Stelle noch an den Verlag Klett-Cotta gerichtet, zur Besonderheit des Romans passt die wunderschön gestaltete und originelle Aufmachung perfekt.
Diese Rezension von mir, Eva Bergschneider, erschien bereits auf www.phantastik-couch.de
Fantasy
Klett-Cotta
2010
400
Funtastik Faktor: 80%