Binti – Nnedi Okorafor

Wie die Überwindung kultureller Grenzen in der Zukunft möglich ist

Binti (Sammelband) © Cross Cult

Erste Novelle: „Allein“

Binti entstammt dem namibischen Volk der Himba. Sie ist 16 Jahre jung und angehende Studentin der renommiertesten Universität der Galaxie. Dafür verlässt sie heimlich das Dorf Osemba und ihre Familie, gegen deren Willen. Binti ist Harmonistin und dazu ausersehen, nach ihrem Vater ihrem Dorf zu dienen. Doch sie verfügt über eine mathematische Begabung und möchte an der Oomza Universität studieren.
Mit ihr reisen weitere künftige Studenten anderer Menschenrassen und Spezies. Binti ist die einzige Himba und eckt mit ihren Gewohnheiten an. Ihre aus rotem Lehm bestehende Haut- und Haarpaste Otjize soll nicht das Raumschiff verschmutzen und ihre Fußringe zum Schutz vor Schlangen braucht sie dort doch nicht. Binti findet Wege, ihre Kultur zu leben, und neue Freunde. Bis die Medusen das Schiff überfallen und alle an Board töten, bis auf den Piloten und Binti.

Zweite Novelle: „Heimat“

Binti kommt nach Osemba zurück und bringt ihren Freund, den Medusen Okwu, als Botschafter seiner Spezies mit. Die quallenartigen Medusen sind der Feind der Khoush, der herrschenden Menschenrasse in Afrika. Die Himba betrachten die Khoush als unzivilisierte Wilde.
Binti möchte eine Pilgereise unternehmen, doch ihre Großmutter hat andere Pläne mit ihr. Sie gehört zum sogenannten Wüstenvolk, das wiederum von die Himba als minderwertig und verrückt angesehen. Die Enyi Zinariya, wie sie sich selbst nennen, bewegen ständig ihre Arme und malen Zeichen in die Luft. Sie bringen Binti zu ihrer Priesterin, der Ariya. Eine weitere Begegnung, die Bintis Leben auf den Kopf stellen wird.

Dritte Novelle: „Nachtmaskerade“

Die Khoush überfallen das Dorf Osemba, auf der Jagd nach Binti und Okwu. Die Medusen verteidigen ihren Botschafter, ein weiterer Krieg der Khoush gegen die Medusen droht auszubrechen. Osemba und die Himba werden einem Sprichwort gemäß zu dem Gras, das unter den Kämpfen der Elefanten leidet.

Drei Novellen verschmelzen zu einem Roman

Die inhaltliche Beschreibung erweckt den Eindruck, als sei die erste Novelle „Allein“ die längste, gefolgt von kürzeren. In Wahrheit ist es genau anders herum. „Allein“ ist 69 Seiten lang, „Heimat“ umfasst 136 und „Nachtmaskerade“ 181 Seiten. Zwischen der ersten Novelle und der zweiten vergeht in der Handlung ein Jahr, was aber für die Entwicklung des übergreifenden Plots keine Rolle spielt. Die Handlung von „Heimat“ geht unmittelbar in die von „Nachtmaskerade“ über. Würde der hier besprochene Sammelband von Cross Cult die Geschichten nicht klar trennen und hätte ich nicht vorab gewusst, dass es sich um drei Novellen handelt, ich hätte sie für einen Roman gehalten. Nichtdestotrotz schließt jede Geschichte ihre Handlung ab und funktioniert eigenständig.

Beeindruckend ist die lange Liste an Preisen, die „Binti“ abgeräumt hat: „Allein“ gewann den Nebula Award und Hugo Award. War Finalist bei Locus Award, BSFA- und British Fantasy Award.
Namhafte US-Phantastik Autoren wie Ursula K. Le Guin und George R. R. Martin singen Loblieder auf die Autorin im Allgemeinen und „Binti“ im Speziellen. Die schönste Hommage wird Neil Gaiman zugeschrieben:

„Bereiten Sie sich darauf vor, sich in Binti zu verlieben.“[Binti-Cover]

Recht hat er.

Nnedo Okorafor transportierte auch in den „Binti“ Novellen die afrikanische Kultur in die ferne Zukunft. Hier bezieht sie sich jedoch nicht, wie in „Lagune“ auf das gegenwärtige Leben in Lagos, sondern auf die fast vergessene halbnomadische Lebensweise eines kleinen Volks im Norden Namibias. In einer nicht datierten fernen Zukunft leben die Himba immer noch am Rande der Wüste in einfachen Dörfern, tragen die Frauen eine rote Paste auf Haut und Haar auf. Einfach weil sie es schön finden und sie als Himba-Frauen definiert. Doch sie bauen auch Astrolabien, eine Art Kommunikations- und Identifikationsgerät und entwickeln die Fähigkeit zum Harmonisieren. Binti harmonisiert, indem sie fraktale Algorithmen im Kopf rechnet. Verästeln nennen sie und ihre Professoren der Oomza Universität den Prozess. Mehr erklärt Nnedi Okorafor dazu nicht, doch mehr muss man auch nicht wissen. Vielmehr spielt die Autorin mit vorgefassten Meinungen. Unter einem ‚Edan‘, Bintis Talisman, oder der ‚Nachtmaskerade‘ stellt sich die LeserIn vielleicht geheimnisvolles aus der afrikanischen Mythologie vor. Und darf sich von der Auflösung überraschen lassen.

Die Protagonistin Binti verkörpert eine Symbiose aus Stärke, Mut und Empathie. Zugleich zeigt sie Angst, Trauer und Erschütterung. Weil ihre Identität als Himba ihr wichtig ist, ist es ihr möglich, jemanden als Freund zu akzeptieren, der an der Ermordung anderer Freunde beteiligt war. Es ist spannend und macht so viel Freude mitzuerleben, wie Binti mutig ihren Weg geht, sich nicht verbiegen lässt und auf ihre Weise Todfeinde dazu bringt, miteinander zu reden. Doch nicht nur Binti, sondern auch Okwu, den Medusen, oder Mwinyi, den Enyi Zinariya, charakterisiert die Autorin so liebevoll, persönlich und individuell, dass man ihre Motive gut nachvollziehen kann. Auch wenn man ihre Handlungen nicht gutheißt.

Sprachlich umgänglicher, inhaltlich umso kontroverser

Die „Binti“ Novellen erzählen Geschichten über die Entwicklung und die Folgen von intra- und interkultureller Intoleranz. Mit zerstörerischen, quälend bitteren und traurigen Konsequenzen. Die Einbettung in die Science Fiction, inklusive seltsamer Zukunftstechnologien und Aliens, sorgt für eine Verdeutlichung und Überzeichnung der Konflikte. Ihrer Ursachen, ihrer Entstehung. Trotzdem lassen sich diese auf Probleme in unserer Gesellschaft übertragen, die auf fehlende Toleranz zurückzuführen sind: Rassismus, Sexismus, Nationalismus.

Die Sprache der Autorin ist in den „Binti“ Novellen gefälliger, als in den vorherigen Büchern „Lagune“ oder „Das Buch des Phönix“. Auf afrikanische Lautworte verzichtete sie, ihre Sätze sind nicht mehr ganz so kurz und ein wenig variationsreicher. Nnedi Okorafors Geschichten zeichnet weiterhin eine starke und unverwechselbare Erzählstimme aus. Jede Novelle hat ihren eigenen Plot und Spannungsbogen, bildet jedoch zudem das Fundament für einen faszinierenden, übergeordneten Erzählrahmen. In „Nachtmaskerade“ entlädt sich ein Spektakel, das sich in „Allein“ und „Heimat“ aufgebaute. Der vielleicht einzige Fehlgriff im Storyaufbau ist die letzte Wendung, die für den Abschluss der Geschichte entbehrlich ist. Hier wäre weniger mehr gewesen.

Die „Binti“ Novellen kann ich LeserInnen empfehlen, die gesellschaftskritische Science-Fiction abseits der gängigen Strickmuster genießen möchten. Sie sollten zudem genug Fantasie mitbringen, um Phänomene, die die Autorin nicht erklärbärmäßig durchleuchtet, mit eigener Vorstellungskraft darzustellen.

Habt ihr Lust darauf, die Autorin aus der ersten „Binti“ Novelle lesen zu hören? Auf der Nnedi Okorafor Autorenseite findet ihr ein Video, in dem sie den Anfang von „Allein“ vorträgt.

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Eva Bergschneider

Binti (Sammelband)
Nnedi Okorafor (Übersetzung: Claudia Kern)
Science-Fiction
Cross Cult
September 2018
400

Funtastik-Faktor: 87

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