Das Buch des Phönix – Nnedi Okorafor

Über X-Woman, Afrika und den Weltuntergang

Das Buch des Phönix - Nnedi Okorafor© Cross Cult
Das Buch des Phönix © Cross Cult

Phönix lebt in Turm 7, einer Forschungseinrichtung des Biotechnologie-Konzerns LifeGens auf der Insel Manhattan.

»In Turm 7 beschäftigte man sich mit fortgeschrittener und aggressiver genetischer Manipulation und Klonen. In Turm 7 wurden Menschen und Kreaturen erfunden, modifiziert oder beides. Einige waren deformiert, einige waren geisteskrank, einige waren einfach nur gefährlich und keine war fehlerlos. Ja, einige von uns waren gefährlich. Ich war gefährlich. « [S. 16/17]

Als sich Phönix Geliebter Saeed umbringt, wird ihr erst klar, dass Turm 7 ein Gefängnis ist und die Insassen auf schändliche Weise missbraucht werden. Die ‚Großaugen‘, Wissenschaftler und Laborpersonal, sind ihre Erschaffer und Folterknechte. Für Phönix ist die Biotechnologin und Nigerianerin Bumi zuständig, die sich nichts sehnlicher wünscht, als Amerikanerin zu werden. Mit einem experimentellen Erfolg stehen die Chancen anscheinend gut und sie ist bereit, alles dafür zu tun.

Phönix Ausbruch aus Turm 7 setzt eine Ereigniskette in Gang, die sie und die ganze Welt verändern wird. Dabei möchte Phönix nichts weiter, als in Frieden leben und zu ihren Wurzeln zurückkehren. In Ghana entdeckt sie erneut die Liebe, doch die Großaugen spüren sie auf. Phönix und weitere Forschungsobjekte setzen sich nun zur Wehr.

Eine Geschichte im Schichtenlook

„Das Buch des Phönix“ kommt gleich im zweifachen Schichtenlook daher. Der Prolog lässt kurz eine unbekannte Erzählerstimme zu Wort kommen, die eine Rahmenhandlung einleitet: Die Geschichte um Sunuteel. Er lebt als Nomade im postapokalyptischen Afrika. Allein in der Wüste wandernd, findet er eine Höhle mit alten Computern aus den ‚Schwarzen Tagen‘. Er selbst besitzt eine Art Mobiltelefon, auf das er eine Audiodatei überträgt.

»“Erinnerungsextrakt Nummer 5“ verkündete die Männerstimme auf einmal, was Sunuteel zusammenzucken ließ „Titel: Das Buch des Phönix. Lokationsnummer 578. « [S. 13]

Im Epilog spricht der unbekannte Erzähler Sola erneut, von dem wir nie erfahren, wer er ist. Meine Recherche zum Buch ergab, dass Okorafors Roman „Wer fürchtet den Tod“ in Sunuteels postapokalyptischem Afrika spielt, vielleicht erfährt man dort mehr über ihn. Die Kapitel zwischen Prolog und Epilog gehören Phönix, einer Afrikanerin mit Flügeln, die verbrennt und aufersteht.

Nnedi Okorafor erzählt die Kerngeschichte so dicht an der Protagonistin, wie es nur geht und wählt dementsprechend die Ich-Form. Die Entwicklung von Phönix liebenswerter und zugleich zorniger Persönlichkeit kommt dadurch gut zum Ausdruck. Sie ist in mehrfacher Hinsicht ein widersprüchlicher Charakter, naiv und klug zugleich, zerbrechlich und stark. Der Autorin gelingt es aber auch, die Nebenfiguren, wie Phönix Mitstreiter und die Wissenschaftlerin Bumi lebendig und mit individuellen Zügen zu zeichnen. Mmuo geht durch Wände, Saeed isst Glasscherben und Rost.
Der Leser folgt den gentechnisch manipulierten Personen gebannt auf ihrem Rachefeldzug gegen einen übermächtigen Konzern, steht klar auf ihrer Seite. Dennoch vermeidet Okorafor simples Schwarz-Weiß Zeichnen und überrascht mit unerwarteten Kehrtwendungen in den Entscheidungen und Handlungen der Charaktere. Denn Phönix wurde als Waffe konzipiert und ist in der Lage, ungeheuerliche Kräfte zu entfesseln.

Das Buch des Phönix in Neuseeland © Eva Bergschneider

Ihre Geschichte erinnert an die Anfänge von Marvels X-Men, die ebenfalls als Andersartige ausgegrenzt und verfolgt wurden. Die Themen Rassismus und wissenschaftliche Verantwortung ziehen sich als roter Faden durch „Das Buch des Phönix“. Alle Versuchsobjekte leiden unsäglich, gelten als gefährlich und werden auf ihren wissenschaftlichen Nutzen reduziert. Zudem haben sie afrikanische oder arabische Wurzeln, wenngleich auch Phönix‘ Peinigerin aus Nigeria stammt. Anerkennung erfährt auch Bumi nicht, auch sie ist ein Werkzeug der Mächtigen.
Im Laufe der Geschichte durchdringt immer mehr afrikanische Mythologie das aktionsgeladene Geschehen. Phönix folgt den Spuren ihrer Ahnen und entdeckt eine Verbindung zur Schöpfungsgeschichte der Göttin Ani.

Kein Gut, kein Böse, aber viel Moral

Nnedi Okorafors Bücher werden der Science-Fiction zugerechnet, obwohl sie futuristische Techniken nur sehr grob beschreiben. Es geht vielmehr um die Gegenüberstellung alternativer Gesellschaftsbilder aus afrikanischer und westlicher Sicht. Okorafors Geschichten wirken nie moralisierend und transportieren dennoch moralische Grundsätze wie Toleranz, Empathie, Menschenwürde und Gleichberechtigung. Nnedi Okorafors Bücher verankern die reiche afrikanische Kultur, Historie und Gegenwart als wesentliche Elemente ihrer Literatur. Die Bezüge zu Persönlichkeiten und Institutionen Afrikas spiegeln sich zum Beispiel in der Namensgebung (Kofi) oder im Lebensweg der Protagonisten (WaZoBia) wieder.

In erster Linie erzählt Nnedi Okorafor gehaltvolle, spannende und farbenfrohe Geschichten, die von einem weiten Spektrum an Emotionen und Erfahrungen leben. Sprache und Stil der Autorin tut ein Übriges zum Lesegenuss; prägnante, oft schonungslos plakative Worte in kurzen Sätzen. Nnedi Okorafors nutzt einfache, aber äußerst wirkungsvolle Stilmittel, um cineastische Bilder in den Köpfen ihrer Leser zu erwecken. Gewöhnungsbedürftig ist manchmal die fragmentarische Erzählweise mit Einschüben, die sich nicht immer passend in den Kontext einfügen. Der Erzählfluss zwischen den verschiedenen Handlungsebenen ist in „Lagune“ etwas besser gelungen. Insgesamt ist „Das Buch des Phönix“ ein wunderbares Buch, voller sprühender Funken der Erkenntnis darüber, welch schmaler Grad zwischen Missbrauch und Nutzen technologischen Fortschritts liegt.

Eva Bergschneider

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Das Buch des Phönix
Nnedi Okorafor (Übersetzung: Claudia Kern)
Science-Fiction/Afrofuturismus
Cross Cult
Oktober 2017
328

Funtastik-Faktor: 85

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