Holly Blacks erstes Buch für erwachsene Lesende kommt dunkel und rau daher
Willkommen in der Wirklichkeit. Zumindest unterscheidet sich Holly Blacks Bühne in „Book of Night“ auf den ersten Blick nicht wirklich von der uns bekannten Welt. Menschen leben, lieben und leiden, versuchen ein kleines bisschen vom Glück abzubekommen und am Ende des Monats genug Geld zu haben, um ihre Rechnungen zu bezahlen.
Doch einen Unterscheid gibt es: In der Welt, die uns Charlie Hall als Erzählerin vorstellt, ist es möglich, den eigenen Schatten zu verändern. Nicht nur optisch, wie es die Sternchen und Möchtegern-Stars gern tun. Durch die Fütterung des Schattens mit Blut kann ein echtes, eigenständiges und nicht ungefährliches Wesen entstehen.
So weit sind wir aber noch nicht, als wir unsere Erzählerin kennenlernen. Von der Natur mit zu viel Fleisch bedacht, hatte sie ihr Leben lang gegen Depressionen zu kämpfen. Dazu kam eine Mutter, die nicht zu den hellsten Sternen am Firmament zählte und sich häufig von den Tarot-Karten zu Beziehungen mit den falschen Männern verleiten ließ.
Charlie hat sich mit „Spezialjobs“ ihren Freiraum geschaffen. Sie hat, nennen wir es beim Namen, gestohlen, erpresst und manipuliert. Dass sie kaum einen dieser Jobs lange behalten hat, lag sicherlich an ihrer umgänglichen, höflichen Art. „Du Arsch, bezahle und verschwinde“ rutschte ihr öfter raus, als gewollt.
Jetzt arbeitet sie als Barkeeperin und lebt mit einem Mann ohne Schatten und Vergangenheit zusammen. Auf dem Heimweg findet sie eine von einem Schatten grausam ermordete Leiche. Nachfolgende Ereignisse führen dazu, dass sie nach einem verschwundenen Buch sucht, das sehr rar, magisch und dementsprechend teuer ist. Und so einige der bösesten Buben der Stadt, unter anderem auch Magier, sind schließlich hinter ihr her. Sie hoffen, dass Charlies Recherche auch sie zu dem Buch führt, das mit geheimem, gefährlichem Wissen über Schatten gefüllt ist.
Unvorhersehbarere, düstere Handlung in diffus gezeichneter Welt
Holly Black ist uns in erster Linie durch ihre Young Adult Romane um die „Elfenkrone“ und die „Spiderwyck-Geheimnisse“ bekannt. Mit diesen Büchern hat sie Leserinnen und Leser an die Seiten gefesselt und sich eine treue Fangemeinde erschrieben.
„Book of Night“, ihr erster Titel für ein erwachsenes Publikum, ist anders. Ton und Atmosphäre sind dunkel, rau, brutal und Furcht einflößend, da die Geschichte mit Ängsten und Erwartungen spielt. Dazu gibt es Beziehungsprobleme, die allerdings nicht im Zentrum der Handlung stehen. Statt um Schmetterlinge im Bauch, geht es um die existenzielle Angst davor, innerlich wie äußerlich verletzt zu werden. Vertrauen, Offenheit und Verlässlichkeit sind wichtige Themen. Die Probleme der Protagonisten entstehen aus ihren Charaktereigenschaften, Hintergründen und der geheimnisvollen Handlung selbst.
Die Autorin schob immer wieder Rückblicke aus der Jugend unserer Erzählerin in die Haupthandlung ein. Sie zeigen auf, wie ihre Persönlichkeit durch die erlittenen Bedrohungen geprägt wurde. Wie sie schließlich zu dem Menschen geworden ist, als den wir sie kennen lernen.
Atmosphäre, Spannung und Charakterisierung der Protagonistin stehen bei der Beurteilung dieses Buchs auf der Habenseite. Dennoch sind viele Lesende von dem Buch enttäuscht. Warum?
Möglicherweise haben sie zum einen eine erwachsene Version der Elfenkrone-Reihe erwartet. Zum anderen bleibt die Welt, in der die Verfasserin ihren Plot gesetzt hat, merkwürdig unscharf und wenig greifbar. Dazu kommt, dass sie so manche Abbiegung zu viel nimmt. Hinweise laufen ins Leere und manche Szenen fallen doch arg plakativ aus.
Fazit
Dennoch habe ich „Book of Night“, den Auftaktroman einer Dilogie der sich flüssig und angenehm liest, durchaus genossen. Nicht nur die Protagonistin, sondern auch die Nebenfiguren sind interessant, das Geschehen mitreißend und selten vorhersehbar. Der Reiz an der Lektüre bleibt über die 480 Seiten stets erhalten.
Carsten Kuhr
Book of Night, Band 1 der Dilogie
Fantasy (Dark)
Knaur
November 2022
Buch
480
Bookdesigner / TOR Verlag
71