So geht moderne Fantasy
Die Netflix-Serie „The Witcher“, die Ende Dezember 2019 startet, soll nach „Game of Thrones“ das nächste große Fantasy TV-Event werden. Als Vorlage dienen die Geschichten und Bücher um den Hexer Geralt vom polnischen Autor Andrzej Sapkowski, der diese Anfang der 90er! Jahre schrieb. Der Heyne Verlag brachte in Deutschland die Kurzgeschichtensammlungen „Der letzte Wunsch“ und „Schwert der Vorsehung“ heraus. Sie kamen allerdings beim Publikum nicht an. Zehn Jahre später versuchte es der dtv-Verlag noch einmal und – voilà – anscheinend war der deutsche Buchmarkt jetzt reif für diese Art der Fantasy. Damals nannte man sie Low-Fantasy oder Sword and Sorcery, seit dem Megaerfolg von G.R.R. Martins „Das Lied von Eis und Feuer“ spricht man von Grimdark-Fantasy. Gemeint sind Geschichten in eher düsteren Welten mit zwielichtigen Gestalten und gebrochenen Helden, die sich durch nicht immer ehrenhaft ausgetragene Konflikte kämpfen.
Die „Der Hexer Geralt Saga“, damals bestehend aus zwei Anthologien und fünf Romanen, läutete ab 2007 die Renaissance dieses Genres in Deutschland ein. Später kam noch eine weitere Anthologie „Zeit des Sturms“ dazu. Des Weiteren kamen die Computer-Rollenspiele „The Witcher“ auf den Markt, die sich, so sagen Kenner der Gamer-Szene, nah an den Geschichten orientieren und dem Hexer Geralt zu weiterer Berühmtheit verhalfen.
Es ist erstaunlich, dass es bis zum Ende der 2010er Jahre dauern sollte, dass die TV Streaming Dienste diesen Stoff entdeckten. Besser spät, als nie. Und höchste Zeit für mich, endlich ins „Hexer“ Universum abzutauchen und die Bücher zu lesen, die bisher an mir vorbeigegangen waren.
Ethnische Feindseligkeiten
Der Krieg der nördlichen Königreiche gegen die Nilfgaarder ist beigelegt – vorerst. Die Grenzstadt Cintra konnten sie nicht halten, sie wurde von den Nilfgaardern überrannt und annektiert. Die Königsfamilie einschließlich Königin Calanthe, der Löwin von Cintra, ist tot, die Thronerbin Cirilla, Calanthes Enkelin, verschollen. Auch vom Hexer Geralt von Riva fehlt jede Spur. Ist auch er gefallen, oder hat er sich versteckt? Nach einem Mythos, dem Gesetz der Überraschung, soll Ciri des Hexers ‚Überraschungskind‘ sein, also sein Mündel, das er vom Vater für die Rettung von dessen Leben erhielt. Tatsächlich nahm Geralt das verängstigte Kind, das eine schreckliche Begegnung mit einem Schwarzen Ritter überlebte und aus Cintra floh, in seine Obhut.
In der Festung der Hexer, Kaer Morhen, wird Ciri zur Hexerin ausgebildet. Allerdings bleibt ihr die Mutation erspart, sie durchläuft ein hartes Kampftraining. Ciri verfällt bisweilen in eine Trance und äußert kryptische Vorhersagen. Unter anderem zitiert sie die Elfen-Prophezeiung der Ithlinne über das Ende der Welt. Die Zauberin Triss Merigold findet heraus, dass sie eine Quelle ist. Ein schwer zu kontrollierendes Medium, durch das ein anderer spricht. Geralt, Triss und Ciri brechen im Frühjahr auf, um die Thronerbin zur Tempelschule zu bringen. Die Reise und ihr Ziel müssen geheim bleiben, denn Ciri wird gejagt.
Der Barde Rittersporn, Geralts Freund, gerät in die Fänge des Zauberers Rience. Unter Folter soll er den Aufenthaltsort von Ciri und Geralt preisgeben. Die Bruderschaft der Zauberer scheint die Seiten gewechselt zu haben und Ciri an den Herrscher von Nilfgaard ausliefern zu wollen. Doch zu welchem Zweck?
Moderne gesellschaftliche Themen in einem mittelalterlichen Fantasy-Setting
„Unsinn“ sagte der Elf kalt „Ihr redet Dummheiten, Herr Ritter. Der Rassismus macht Euch offensichtlich blind Die Nilfgaarder sind genau solche Menschen, wie ihr.“
„Das ist eine Lüge“ Sie sind nachkommen von Schwarzen Seidhe, das weiß jeder. In ihren Adern fließt das Blut von Elfen. Elfenblut!“
„Und was fließt in Euren Adern?“ Der Elf lächelte spöttisch. „Wir vermischen unser Blut seit Generationen, seit Jahrhunderten, wir und ihr, das gelingt uns bestens, ich weiß nicht, ob zum Glück oder Unglück. Es ist kein Vierteljahrhundert her, dass ihr begonnen habt, gemischte Verbindungen zu verdammen. Übrigens mit kläglichem Erfolg. Und jetzt zeigt mir einen Menschen ohne Beimischung von Seidhe Ichaer, vom Blut des älteren Volkes.“ [S. 28/29]
Das Zitat zeigt worum es geht: um einen drohenden Krieg aufgrund von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, innerhalb und zwischen verschiedenen Spezies. Andrzej Sapkowski stellt dieses Thema nicht in den Mittelpunkt, es bildet vielmehr den Hintergrund, auf den sich die Ereignisse beziehen.
Im Mittelpunkt steht Ciris Ausbildung durch die Hexer und später in der Tempelschule durch die Zauberin Yennefer. Auch in diesen Kapiteln wird deutlich, wie modern die Saga bereits in den 90ern war und heute noch ist. Faszinierende und starke Frauenfiguren tragen diesen Roman. Frauen, die selbstverständlich ihr Recht einfordern und gegen Sexismus und Misogynie in einer archaischen Weltordnung ankämpfen. Selten ist mir ein mittelalterliches Fantasy-Setting begegnet, in dem Frauen so zentral und entscheidend die Handlung voranbringen. Und das auf authentische und spannende Art und Weise. Ich weiss (noch) nicht, ob dies für alle Hexer-Romane gilt, doch in „Das Erbe der Elfen“ sind Ciri, Triss und Yennefer die wichtigsten und interessantesten Figuren. Dem charismatischen Hexer Geralt treten sie auf Augenhöhe entgegen.
Geralt von Riva bleibt im ersten Band der „Hexer“ Pentalogie geheimnisvoll und nicht richtig greifbar. Das ist nicht negativ gemeint, denn genügend Andeutungen weisen darauf hin, dass er eine äußerst bewegte Vergangenheit hat und sich deshalb ungern in die Karten schauen lässt. Sein Wissen über die Geschichte der Elfen ermöglicht ihm einen differenzierteren Blick auf die Konflikte mit den Scioa’tael, der Rebellengruppe, der mehrheitlich Elfen angehören. Geralt ergreift keine Partei. Und steht vielleicht deshalb eher unfreiwillig im Mittelpunkt.
Nicht nur das offene Ende verführt zu mehr
„Elfen sind langlebig, Ciri. Nach unseren Zeitmaßstäben fast unsterblich. Die Menschen erscheinen ihnen als etwas, das wie eine Dürre vorübergeht, wie ein strenger Winter, wie eine Heuschreckenplage, worauf der Regen kommt, der Frühling, eine neue Ernte. Sie wollten abwarten, überdauern. Sie beschlossen Städte und Paläste zu zerstören. Darunter auch ihren Stolz – das schöne Shaerrawedd. Sie wollten überdauern doch Elirena…Elirena riss die Jungen mit sich. Sie griffen zu den Waffen und folgten ihr in einen letzten Verzweiflungskampf. Und wurden hingeschlachtet, erbarmungslos hingeschlachtet.“ [S. 189]
Im letzten Drittel des Buchs nimmt die Jagd auf Geralt und Ciris Ausbildung zur Magierin Fahrt auf und eine Verschwörung stellt entscheidende Weichen. Etwas schade ist, dass das Buch mitten in dieser spannenden Entwicklung endet die LeserIn etwas ratlos zurücklässt. Sie hat eigentlich keine Wahl, der nächste Band „Die Zeit der Verachtung“ muss her. In das Universum des Hexers Geralt einzutauchen hat sich jedenfalls gelohnt, ich bin äußerst positiv überrascht worden.
Eva Bergschneider
Die Hexer Geralt Saga, Band 1
Fantasy
dtv Verlag
September 2019
384
Funtastik-Faktor: 83