Die lang ersehnte Rückkehr nach Osten Ard
Tad Williams opulente High-Fantasy Saga „Osten Ard“ endet mit dem vierten Band „Der Engelsturm“. Unter schmerzhaften Verlusten wurde der Sturmkönig Ineluki besiegt und Simon gewinnt mehr als seine große Liebe Miriamel für sich. Ende gut, alles gut? Mitnichten. Die Nornen beginnen einen Guerillakrieg. Auf dem Weg nach Norden tragen sie ihren Großmarshall Eskisuno in einem wuchtigen Sarkophag zur ewigen Ruhe und überfallen Dörfer der Sterblichen.
Herzog Isgrimnur von den Rimmersmännern verfolgt sie zur Wirrwurzelfeste, in der sich die Nornen verschanzt haben. Die Sterblichen glauben, ihren Feind in eine Falle getrieben zu haben, doch die Nornen tricksen sie aus. Sie fliehen weiter bis nach Nakkiga, die alte Nornenstadt am Berg. Sie ist verfallen, aber immer noch gut geschützt von einem mächtigen Tor aus Hexenholz. Fortan erklingt Tag und Nacht der schwere Rammbock, mit dem Isgrimnurs Soldaten das Tor niederreißen und die Stadt stürmen wollen. Ohne den aktiven Zauber von Utuk’ku, der Nornen Königin die in einer Art Koma liegt, wird das Tor fallen. Und die Sterblichen werden keinen Unsterblichen am Leben lassen.
Abschluss und Aufbruch in eine neue Ära
Über 15 Jahre ist es her, seitdem ich die „Osten Ard“ Saga ausgelesen habe. Der Abschied von Simon und Miriamel wurde mir leicht gemacht, denn ich las mit der „Otherland“ Tetralogie direkt anschließend ein Epos, dass ich bis heute zu den schönsten und innovativsten Phantastik-Werken überhaupt zähle. Trotzdem blieb „Osten Ard“ für mich stets ein Wohlfühlort der Fantasy, den ich irgendwann wieder einmal aufsuchen wollte.
„Das Herz der verlorenen Dinge“ ist ein Übergangsband, der einen roten Faden des „Osten Ard“ Epos, das Schicksal der Nornen, zu Ende führt, um einer neuen Geschichte Platz zu machen. Der Auftakt zu der neuen Serie „Die Hexenholzkrone“ erscheint heute, am 9. September 2017. Ein Wiedersehen mit Simon und Miriamel war in „Das Herz der verlorenen Dinge“ nicht zu erwarten. Stattdessen ging es mit Heerführer Herzog Isgrimnur (den wir auch aus der alten Saga kennen) auf Nornen-Jagd.
Die Handlung wird abwechselnd aus der Sicht der Nornen und der Menschen erzählt. Wir erleben einige Kapitel aus der Sicht Herzog Isgrimnurs. Häufiger kommt ein Fußsoldat aus dem Süden, Porto, zu Wort, der erst seinen verletzten Freund Endri pflegt und gegen Riesen und Zombies kämpft. Die Situation der Nornen erleben wir aus der Sicht des Heeresvormanns der Bauleute Viyeki, der einmal die Nachfolge seines Clanführers Yaarike antreten soll, jedoch in eine ungewisse Zukunft blickt. Zusätzlich erzählt die Chronistin Miga Seyt-Jinnata rückblickend die Geschehnisse.
Zu den großen Stärken des Autors zählt, dass er ausführlich auf die Entwicklung seiner Völker eingeht und seinen Protagonisten tief in ihr Herz schaut. Hier bringt uns der Tad Williams das Schicksal der Nornen nahe. Es wird in den folgenden Büchern eine gewichtige Rolle spielen. Auch die Menschen haben gute Gründe für ihren Krieg. Der äußerlich grobschlächtige Herzog hat die Gabe, differenziert zu verhandeln und ein offenes Ohr für seine Sithi-Beraterin Ayaminu. Die Sithi gehörten einst zum Volk der Nornen, bis sie als Verräter verbannt wurden.
Die Konflikte der Völker aus ihrer Sicht betrachtet
Tad Williams erzählt nicht allein die Geschichte dieses Guerilla- und Zermürbungskriegs. Sondern die Geschichten seiner Protagonisten, die an der Situation und über sich hinaus wachsen. Dabei spielen die Nornen die interessantere Rolle, da sie an der Schwelle ihres Untergangs stehend Konflikte ausfechten und kontroverse Strategien verfolgen. Ihren Kampf untereinander führen sie beinahe noch verzweifelter, als gegen den Feind vor dem Tor und mit genauso hinterhältigen Intrigen. Dabei geht es ihnen auch hier um das Überleben ihres Volks durch eine Anpassung an die neue Zeit. Mich hat der Kampf um den Hochhorst in den ersten vier Büchern, beziehungsweise um die Kultstädte Asu’a, wie sie von den Sithi und Nornen genannt wird, immer an die blutigen Auseinandersetzungen um Jerusalem erinnert. Dem heiligen Ort, den die drei großen Weltreligionen Judentum, Islam und Christenheit für sich beanspruchen. Jeweils aus ihrer Sicht betrachtet aus guten Gründen. In Tad Williams später verfasster Shadowmarch-Serie wird besonders deutlich, dass seine Geschichten oft Konflikte aus unserer Welt spiegeln. So deutet sich an, dass die Nornen in der neuen Osten Ard Serie „Die Hexenholzkrone“ beispielhaft für ein vergessenes Volk stehen werden, das sein Recht auf einen würdigen Platz in der Welt zu erkämpfen sucht.
Aktionsüberladen ist die Handlung in „Das Herz aller Dinge“ nicht. Sie läuft eher mit verhaltenem Tempo auf die Zielgerade zu. Das Finale hält dann aber einen Paukenschlag bereit, der zugleich eine äußerst interessante Ausgangsbasis für die neue Serie erschafft. Dies und ein ausführlicher Auszug aus dem Auftaktband „Die Hexenholzkrone“ machen Lust auf die Fortsetzung der Osten Ard Geschichten, in denen wir dann auch Simon und Miriamel und anderen alten Bekannten wieder begegnen.
Eva Bergschneider
Osten Ard - Übergangsband
Fantasy
Klett-Cotta
März 2017
380
Funtastik-Faktor: 75