Das Spiel des Engels – Carlos Ruiz Zafón

Über verlorene Bücher und Seelen

Das Spiel des Engels © Fischer
Das Spiel des Engels © Fischer

Barcelona 1918. David Martin ist Schreiberling bei der Zeitung „Die Stimme der Industrie“. Von Kindesbeinen an liebt er Bücher, seine vor dem Vater verborgene Leidenschaft. Und er träumt davon ein großer Schriftsteller zu werden. Von seinem Boss erhält Martin die Chance, Schauergeschichten zu veröffentlichen. Die Story-Serie wird ein Erfolg, den ihm seine Redakteurskollegen neiden. Allein der stellvertretende Chefredakteur Pedro Vidal ist sein Freund und mit seiner Hilfe erhält er einen Vertrag beim Verlag „Barrido & Escobillas“.  David schreibt Tag und Nacht unter einem Pseudonym die Romanheftreihe „Die Stadt der Verdammten“. Dem gesundheitlichen Zusammenbruch folgen eine Zwangspause und gemeinsame Stunden mit Cristina, seiner großen Liebe.

Um ihre Gesellschaft zu genießen, willigt er ein, das Manuskript ihres Chefs und seines Freunds Vidal, der selbst ein großer Autor werden will, komplett neu zu schreiben. Zugleich arbeitet er an seinem eigenen Buch und beide Werke werden zur gleichen Zeit veröffentlicht. Während Vidals „Das Aschenhaus“ ein großer Erfolg wird, erntet Martin für “Die Schritte des Himmels“ vernichtende Kritiken. Allein bei seinem ältesten Freund, einem Buchhändler bekommt es einen Ehrenplatz. Sempere bietet an, ein aus dem Müll gerettetes Exemplar auf den Friedhof der vergessenen Bücher zu bringen und führt ihn in die geheimnisvollen Katakomben. Dort tauscht David sein Buch gegen „Lux Aeterna“ ein, ein Buch von einem Autor mit den Initialen D.M.

Der junge Schriftsteller erkrankt schließlich an einem Gehirntumor. In seiner Verzweiflung kommt er auf das Angebot des französischen Verlegers Andreas Corelli zurück, der ihm für einen neuen Roman einhunderttausend Franc verspricht und dazu die Erlösung von seinem Leiden. Nachdem Martin zugestimmt und die Nacht in Corellis Villa verbracht hat, spaziert er ohne die geringsten Beschwerden in die morgendliche Frische Barcelonas hinaus und begibt sich auf einen Weg, der ihn zu Wahnsinn und Tod führt.

Die Fortsetzung einer Erfolgsgeschichte

„Der Schatten des Windes“ von Carlos Ruiz Zafón erschien 2001 (in Deutsch: 2003) als Auftakt der Barcelona-Trilogie und wurde ein Welterfolg. Daniel Sempere, Sohn eines alteingesessenen Buchhändlers in Barcelona, wird von seinem Vater zum Geheimnis umwobenen Friedhof der vergessenen Bücher geführt. Der Junge findet dort ebenfalls ein Buch, mit dem Titel „Der Schatten des Windes“ von Julián Carax. Fortan scheint Daniels Leben auf geheimnisvolle Weise mit dem Buch und dem Schicksal seines Verfassers verwoben zu sein.
Das Grundgerüst dieser Geschichte hat Carlos Ruiz Zafón also auch im 2008 erschienenen Nachfolgeband „Das Spiel des Engels“ beibehalten. Einem Buchhändler Sempere, dem Vater Daniels, begegnen wir erneut, jedoch dreißig Jahre früher in den Jahren vor dem spanischen Bürgerkrieg. „Das Spiel des Engels“ erzählt eine Geschichte, die zwar die des Autors Julián Carax aus „Der Schatten des Windes“ sein könnte, aber nicht ist.

„Ich versuche herauszufinden, was mit Ihrem Mann geschehen ist, Señora Marlasca.“
„Warum?“
„Weil ich glaube, daß das selbe mit mir geschieht.“ [S. 382]

Der Nachfolger des Bestsellers „Der Schatten des Windes“, der Carlos Ruiz Zafón zu einem der populärsten Schriftsteller machte, muss sich natürlich daran messen lassen.
Schon die frühen Horrorbücher des Spaniers „Der Mitternachtspalast“, „Der Fürst des Nebels“, „Der dunkle Wächter“ oder auch „Marina“ faszinierten mit einer Geschichte, die zunächst wie die eines historischen Jugend-Romans beginnt und sich in ein düsteres Mysterium verwandelt. Dieses Motiv findet sich auch in den ersten beiden Bänden der Barcelona-Romane wieder. Hinzu kommt als roter Faden der Handlung die mystische Verklärung von Büchern. Ihnen scheint eine magische Kraft inne zu wohnen, die auf das Leben der Leser Einfluss nimmt.

Für beide Protagonisten aus „Der Schatten des Windes“ und „Das Spiel des Engels“ wird die Obsession für ein Buch zu einem Fluch, der ihr Leben bestimmt. Beide begeben sich auf die Suche nach den Autoren ihrer Schicksalsbücher und entdecken seltsame Parallelen zwischen ihren Leben und derer, denen sie nachspüren. Beide verlieben sich unglücklich und begegnen dem Teufel.

Unterschiedlich sind in den Romanen der Schwerpunkt der Handlung und die Atmosphäre. In „Der Schatten des Windes“ dient Daniels Geschichte eher als Rahmenhandlung und der Lebenslauf des Julián Carax steht im Mittelpunkt. Zudem liest sich der Auftaktroman mehr wie ein Krimi, als sein Nachfolger und die phantastischen Elemente werden zum großen Teil aufgeklärt.

Dagegen steht das Schicksal des glücklosen Literaten David Martin in „Das Spiel des Engels“ klar im Mittelpunkt. Das Wirken des Teufels durchwebt seine Lebensgeschichte. Religionen und ihre Bedeutung für den Menschen, die Frage nach der Existenz Gottes und des Übersinnlichen beschäftigen David Martin. Ein weiteres Merkmal ist die Präsenz des Todes. Dessen ständige Nähe, sowie viele Szenen voller tiefer Verzweiflung und Traurigkeit machen „Das Spiel des Engels“ deutlich düsterer, als den Vorgängerroman. Zudem beinhaltet er mehr phantastische Elemente und das Ende bleibt surreal und offen. Man bekommt den Eindruck, dass Carlos Ruiz Zafón ein wenig zu den Anfängen seines Schaffens, den Horrorromanen zurückgekehrt ist, während „Der Schatten des Windes“ eher als Belletristik mit phantastischen Elementen einzuordnen ist.

Was allerdings beide Barcelona-Romane auszeichnet ist Zafóns einzigartige, bildhafte und wortgewaltige Sprache. Die Bücher funktionieren hervorragend als historische Reiseliteratur, denn sie visualisieren Straßen und Gassen, Häuser und Plätze im Licht des frühen 20. Jahrhunderts.
Zafóns Sprache ist in seiner fast schon aufdringlichen Bildhaftigkeit perfekt dafür geeignet, Handlung und Schauplätze in die passende Atmosphäre einzuhüllen. Manchmal an der Grenze zur Verschwendung spielt der spanische Schriftsteller mit Worten und Bildern wie ein guter Dirigent mit seinem Orchester. Aus lauten und leisen Tönen in vielfältigen Nuancen entsteht ein Gesamtkunstwerk, das den Leser berauscht. Die Sprache allein lohnt den Genuss dieser Bücher. Wie mit einer Delikatesse sollte man sich etwas Zeit lassen und nicht alle drei Barcelona-Romane „Der Schatten des Windes“, „Das Spiel des Engels“ und „Der Gefangene des Himmels“ hintereinander lesen. Mancher Leser mag es sonst als störend empfinden, dass zumindest die ersten beiden Bände der Barcelona-Trilogie doch recht deutliche Parallelen in der Handlung aufweisen.

Eva Bergschneider

Das Spiel des Engels
Barcelona-Reihe Teil 2
Carlos Ruiz Zafón
Phantastik Plus, Horror
Fischer
2009
710

Funtastikfaktor: 88

Ein Gedanke zu „Das Spiel des Engels – Carlos Ruiz Zafón

  1. Du stelltest die beiden ersten Barcelona-Bände gegenüber und nahmst damit den Dialog so auf, wie er stets geführt wurde, wenn über Das Spiel des Engels referiert wurde. Ich bin nicht sicher, ob das immer fair ist, aber den steten Vergleich muss es sich quasi als Geburtsmakel wohl gefallen lassen. Sehr gut hast du die unterschiedlichen Tendenzen der Bände herausgearbeitet: Der Schatten als Krimi und Das Spiel als Phantastik. Ich hatte darüber nie nachgesonnen, aber nun erscheint mir absolut plausibel, warum Der Schatten stets besser ankam: Der Krimi trifft eher den Geschmack der Menge als die phantastische Mär.
    Und nun weiß ich auch, warum ich Das Spiel des Engels fesselnder und faszinierender fand. Danke für diese Analyse!

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