Die Methode Weir funktioniert
In „Der Astronaut“ wacht ein Mann ohne Erinnerungen in einem Raumschiff auf. Nach und nach findet er heraus, dass es auch andere Besatzungsmitglieder gab, die gestorben sind. Und dann fällt ihm sein Name ein: Ryland Grace.
Im Laufe der Zeit kehrt das vollständige Gedächtnis zurück. Er und die anderen Crewmitglieder waren die letzte Hoffnung der Erde, da eine mysteriöse Alienspezies die Sonne befiel. Ryland selbst war Lehrer, kein ausgebildeter Astronaut. Es bleibt ihm nicht viel Zeit, um über seine Situation zu grübeln. Denn ein anderes Raumschiff erscheint, dass eindeutig von einer fremden Spezies stammt und dessen Besatzung Kontakt herzustellen versucht.
Vom Überraschungserfolg zum dauerhaften Erfolg
Mit „Der Marsianer“ gelang Andy Weir ein Überraschungserfolg. Dieser und ebenso der nachfolgende Roman wurden verfilmt oder sind für Verfilmungen vorgesehen. Auch „Der Astronaut“, das neuste Werk des Autors, soll demnächst in die Kinos kommen.
Eine Spezialität des Schriftstellers war und ist eine Geschichte zu schreiben, die sowohl Humor als auch Spannung bietet. Die auf harten wissenschaftlichen Fakten basiert, diese allerdings, wenn es nötig ist, frei interpretiert. All diese Elemente findet man auch in „Der Astronaut“.
Vergangenheit und Gegenwart
Die Handlung ist zweigeteilt und ein Teil bezieht sich auf die Gegenwart. Man liest, wie Ryland Grace nach und nach seine Erinnerungen wiedererlangt, derweil er gleichzeitig seine Mission weiterverfolgt. Der andere Teil des Romans findet in der Vergangenheit statt. Hier erfährt man, was zu den Ereignissen der Handlungsgegenwart führte.
Beiden Handlungsebenen gemein ist, dass die Entwicklung des Plots einem für Weir typischen Schema F folgt: Eine Komplikation taucht auf und beschäftigt die nächsten Seiten die Handlung. Abschließend löst eine intellektuelle Glanzleistung das Problem, woraufhin das nächste auftaucht. Dem sich die folgenden Szenen wieder in aller Ausführlichkeit widmen.
Faszinierend, trotz Vorhersehbarkeit
Doch trotz dieses vorhersehbaren Handlungsablaufs fasziniert der Roman auf jeder Seite. Denn Andy Weir versteht sich darauf, des Lesers Interesse aufrecht zu erhalten , indem er die jeweiligen Hauptziele der Handlungsebenen nicht aus den Augen verliert und in Erinnerung ruft. In der Vergangenheitsebene interessiert vor allem, wie der Lehrer Ryland Grace an Bord dieses Raumschiffes kam. Und in der Jetzt-Zeitebene möchte man wissen, ob und wie es dem Protagonisten gelingt, ein „Heilmittel“ für die Sonne zu finden. Denn diese droht unter dem Einfluss der außerirdischen Lebensformen den Untergang jeglichen Lebens auf der Erde herbeizuführen.
Ryland Grace ist ein charismatischer Hauptcharakter. Genau wie der Protagonist in „Der Marsianer“ ist er kein Actionheld, sondern ein Denker. Jemand, der Probleme analytisch angeht und sie mit Hilfe der Wissenschaft löst. Wobei Andy Weir bei der Darstellung seines Wissens teilweise übertreibt. Denn dafür, dass er „nur“ Lehrer ist, dazu noch einen astrobiologischen Hintergrund hat, schafft er es zu problemlos Herausforderungen zu lösen, die sich jenseits seiner Ausbildungsinhalte befinden. Es ist kein Grund ersichtlich, der ihm die Lösung derart vielfältiger Problemstellungen ermöglicht.
Durchdachte Darstellung
Doch auch dieses Manko fängt Andy Weir geschickt ein. Es fällt auf, beeinträchtigt den Lesegenuss jedoch nicht. Was vor allem an der menschlichen Darstellungsweise von Ryland Grace liegt. Zu seiner Berufung als Lehrer passt, dass ihm das Schicksal anderer am Herzen liegt. Das von Menschen – und Außerirdischen.
Bei der Darstellung der Aliens übertrifft sich der Autor selbst. Es ihm gelungen eine Lebensform zu erschaffen, die absolut fremdartig ist, sowohl was ihr Aussehen als auch ihre Mentalität angeht. Je mehr man über sie erfährt, desto offensichtlicher wird, wie durchdacht er diese Wesen angelegt hat. Andy Weir zeigt Stärken und Schwächen dieser Kreaturen auf, genauso glaubwürdig wie bei den menschlichen Protagonisten
Fazit
„Der Astronaut“ überzeugt durch eine spannende Handlung, die gleichzeitig mit vielen Plot-Twists aufwarten kann. Immer dann, wenn man glaubt zu erahnen, wie die Dinge laufen, wirft Andy Weir die Ereignisse komplett über den Haufen. Mit dem Ergebnis, dass man, trotzt der genannten Schwächen, den Roman von Anfang bis Ende in einem Rutsch lesen möchte.
Götz Piesbergen
Science-Fiction
Heyne
Mai 2021
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DAS ILLUSTRAT
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