Mit der Revolution in die Freiheit?
„Die Ankunft“ ist der finale Band der Young Adult Dystopie Reihe „Cassia und Ky“. Die in Utah lebende Autorin Ally Condie hat die Geschichte einer verbotenen Liebe zweier Teenager mit der einer gesellschaftlichen Revolution verknüpft. Nachdem Cassia und Ky von der „Gesellschaft“ getrennt wurden, flohen beide in die Canyons, fanden einander wieder und begegneten den Revolutionären. Doch auch die „Erhebung“ trennt Cassia und Ky und der Traum vom gemeinsamen Leben in Freiheit scheint ferner denn je.
Eine Krankheit, die die Gesellschaft nicht unter Kontrolle bekommt, breitet sich in der Bevölkerung aus. Für die Erhebung ist die Gelegenheit gekommen, die Gesellschaft zu stürzen, denn sie haben ein Heilmittel gegen die Seuche gefunden. Xander, der sich schon lange der Erhebung angeschlossen hat, verteilt als Medizin-Funktionär vertauschte Pillen mit einem Impfschutz gegen die Seuche an Neugeborene. Er selbst erhielt den Impfschutz nach seiner Geburt als einer von wenigen Auserwählten. Denn die Erhebung agierte jahrelang mit limitierten Ressourcen im Untergrund, doch nun tritt sie offen in Erscheinung.
Cassia wurde von der Erhebung in die Stadt Central geschickt, um dort wieder als Sortiererin zu arbeiten. Die Erhebung will ihre Fähigkeiten nutzen, wenn die Zeit der Übernahme gekommen ist. Bis dahin führt Cassia ihren eigenen Freiheitskampf und setzt sich für die Erschaffung und Bewahrung von Poesie und Kunst ein.
Ky fliegt das Heilmittel der Erhebung in die Quarantänezonen, bis er an einer neuen, mutierten Form des Virus erkrankt. Ein verzweifelter Wettkampf gegen die Zeit beginnt.
»Dich hab ich nicht erreicht-
Doch nähert Tag für Tag
Sich dir mein Fuß
Drei Flüsse noch und einen Berg
Ich überqueren muss.
Noch eine Wüste, noch ein Meer.
Die Reise aber zähl ich nicht,
wenn ich dann vor Dir steh. « [S. 75, von Emily Dickinson]
Das Finale der Cassia und Ky-Serie „Die Ankunft“ hat in Kommentaren Kritik einstecken müssen. Viele Leser fanden das Buch zu handlungsarm und ausufernd, man vermisste einen roten Faden und große Emotionen. Mit über 600 Seiten (allerdings in großzügigem Schriftbild) ist „Die Ankunft“ der längste Roman der Reihe. Schließlich gilt es eine Revolution zu Ende zu führen und eine Reihe von offenen Fragen zu beantworten.
Eine gravierende Änderung zu den ersten beiden Teilen ist, dass hier drei Ich-Erzähler die Geschichte schildern, neben Cassia und Ky nun auch Xander. Wenn die Protagonisten zusammen treffen, wird die Handlung zum Teil mehrfach erzählt, was aber keineswegs redundant wirkt. Man erhält dadurch zwar nicht immer neue Informationen, aber eine andere, von der Persönlichkeit des Erzählers geprägte Sicht der Dinge. Überwiegend agieren die Protagonisten getrennt voneinander. Ky ist Pilot im Dienst der Erhebung und erlebt, wie die Infrastruktur in den Städten der Gesellschaft zerfällt. Xander kämpft gegen die Seuche und beobachtet, wie die Euphorie der Revolutionäre kippt. Der Hoffnung auf eine Heilung der Seuche und einen baldigen Sieg der Erhebung, folgt die Ernüchterung, als eine Mutation um sich greift.
Während sich Xanders und Kys Kapitel spannend und abwechslungsreich lesen, ziehen sich die um Cassia etwas in die Länge. Am gesellschaftlichen Umbruch ist sie zunächst nur wenig beteiligt. Vielmehr versucht sie Erinnerungen aus ihrem Leben zu rekapitulieren. Vor allem diese Szenen wirken wie Gedankenblasen, die vom restlichen Geschehen isoliert aufpoppen. Man erfährt zwar interessante Fakten über Cassias Familie und die Gesellschaft, vermisst jedoch den Bezug zum aktuellen Geschehen.
Die Autorin vernachlässigt zu oft wichtige Stützfeiler einer Geschichte: Fakten und Ereignisketten, zum Beispiel bei der Analyse der Seuche und Entwicklung der Heilung. Da werden Hypothesen zu Tatsachen (z.B. die Mutation) erklärt und Pflanzen zu Heilmitteln ernannt. Die überwiegende Forschungsarbeit beschränkt sich auf “try and error“ Testungen an Patienten. Das überzeugt nicht gerade davon, dass es sich hier um einen Einsatz für ein Medikament handelt, das die Menschheit retten soll. Stattdessen verliert sich die Autorin stellenweise in Gedanken, Gedichten und Erinnerungen und räumt diesen mehr Raum ein, als den Ereignissen. Was den Eindruck einer Handlungsarmut hervorruft.
Eine besondere Qualität des Romans ist hingegen die unmittelbare Nähe der Charaktere zur Handlung. Cassia, Ky und Xander sind die unterschiedlichen Gesichter der Revolution gegen eine futuristische Diktatur. Und zugleich Protagonisten, mit denen sich der Leser identifizieren kann. Den Aufbruch in eine Welt, die Freiheit verspricht und dafür einen hohen Preis fordert, erlebt der Leser durch die Augen dreier junger Menschen, die zugleich herausfinden müssen, wie sie in Zukunft zueinander stehen. Es gelingt Ally Condie, diese drei Persönlichkeiten voneinander abzugrenzen und lässt sie zugleich als starkes Team agieren. Xander, der in Cassia verliebt ist und trotzdem nie ihre Liebe zu Ky in Frage stellt, ist fast schon zu gut für die Welt der Gesellschaft und der Erhebung. Zugleich ist er derjenige, der sich charakterlich weiterentwickelt und die Geschichte voran bringt. „Die Ankunft“ ist vor allem seine Geschichte und ebenso faszinierend, wie die von Cassia und Ky in „Die Auswahl“ und „Die Flucht“.
Eine besondere sprachliche Schönheit zeichnet „Die Ankunft“ ebenso wie die beiden Vorgängerromane aus. Poesie als Ausdruck der Freiheit zieht sich noch deutlicher als roter Faden durch die Geschichte. Neben den Gedichten von Dylan Thomas und Alfred Lord Tennyson sorgen hier Verse von Emily Dickinson für Melancholie und Herzschmerzatmosphäre, ebenso die emotionalen Briefe, die Cassia an Ky und Xander schreibt. Trotzdem dass die Cassia und Ky Lovestory der Geschichte um den beschwerlichen Aufbruch in eine neue Welt den Vortritt lässt, kommt die Romantik nicht zu kurz.
Eva Bergschneider
Cassia und Ky-Band 3
Science-Fiction
Fischer
2013
608
Funtastik-Faktor: 73%