Rückkehr ins Unbekannte
Es beginnt mit einem Erwachen. Die Eklipse kehrt von einer jahrzehntelangen Mission endlich zur Erde zurück, und die Crew wird aus dem Kälteschlaf geholt. Nun ja, nicht die ganze Crew. Der Archivar Swift wurde, offenbar während der Schlafphase, lebensgefährlich verletzt. Außerhalb der Stasis würde er nur eine Stunde überleben. Und das ist nicht das größte Problem, dem sich die Besatzung rund um Koordinatorin Samantha stellen muss.
Versehentlich haben sie ein Wesen eingeschleppt, das die gesamte Erde vernichten könnte, zumindest die Menschheit. Das Spike, eine als Waffe erschaffene Lebensform, deren Berührung auf eine ganz besondere Art und Weise infiziert, geht auf dem Schiff um.
Und als ob das nicht genug wäre, antwortet die Erde dem Schiff nicht. Die Kommunikationsnetzwerke scheinen schlicht nicht vorhanden zu sein, und die Topografie hat sich auf unerklärliche Weise verändert.
Parallel dazu erleben wir die Flucht von Rebecca, einem Mädchen im Teenager Alter, vor ihrem Verfolger Marcus. Der vor Mord nicht zurückschreckt.
Spannung, Drama, Abenteuer
Sprachlich gibt es nichts zu bemängeln: elegante Satzkonstruktionen, spannende Dialoge, gute Szenenbeschreibungen. Der Versuch, gewisse Dinge mit eigenen, alternativen Wörtern zu benennen, funktioniert großteils gut, zum Beispiel der Begriff Intellekt anstelle von KI. Manchmal hat man jedoch das Gefühl, diese von anderen Autoren schon ähnlich oder sogar identisch besetzt gelesen zu haben.
Brandhorst hat ein Talent dafür, Charaktere jeglichen Alters und Geschlechts zu erschaffen, die dem Leser ans Herz wachsen. Deren Schicksal niemals gleichgültig wird, sondern bewegt, mitreißt und fiebern lässt. Da macht „Eklipse“ keine Ausnahme. Besonders spannend fand ich „Kralle“ als Vertreter einer vernunftbegabten Lebensform, deren Heimat einem Genozid zum Opfer fiel. Vollzogen von den Erschaffern des Spikes.
Egal ob im Hauptstrang mit der zurückkehrenden Crew, insbesondere Samantha und natürlich Kralle, oder in der Zweithandlung mit Rebecca: Man will nicht nur wissen, wie es mit der Geschichte weiter geht und was es mit dem Universum auf sich hat. Sondern vor allem, was den Protagonisten widerfährt.
Dabei ist die Handlung mit all ihren Twists und Enthüllungen alles andere als langweilig. Vom ersten Moment des Erwachsens auf der Eklipse, bis zum mystisch verbrämten Finale bietet sie genug Spannung. Es gibt reichlich Fan Service mit guten Actionszenen, die manchmal am Splatter vorbeischrammen. Andreas Brandhorst baut in „Eklipse“ geschickt bekannte Tropes ein, verändert sie aber großteils weit genug, um ihnen Eigenständigkeit zu verleihen. Das Muster, wie das Spike eingeschleppt wurde, erinnert vage an Alien, ohne diesen Klassiker zu kopieren. Die Auflösung weckt sanfte Gefühle der Erinnerung, kommt einem vertraut vor, ohne irgendwo abgekupfert zu sein. Das funktioniert ganz gut – bis auf eine Ausnahme.
Ein Deja Vu der unangenehmen Art
Und damit kommen wir zu einem sehr unangenehmen Part – nämlich dem Spike. So interessant das Konzept dieses Wesens, das eine Waffe ist, auch beschrieben wurde, so sehr schwächt es leider den Roman. Zumindest für jeden Leser, der mit Dan Simmons und dessen „Hyperion“ Cantos vertraut ist. Denn dort spielt das Wesen „Shrike“, das ebenfalls aus Stacheln und Dornen besteht und eine konstruierte Waffe ist, eine Schlüsselrolle. Sie ist der Dämon dieses Universums.
Zur Klarstellung: Das sind keine obskuren Randnotiz-Romane, sondern Millionen Bestseller, unter anderem mit dem Hugo Award ausgezeichnet. Jeder, der „Hyperion“ gelesen hat, denkt beim Spike sofort an das Shrike, den übermächtigen Archetypen dieser Erzählungen. Man hat unweigerlich die Bilder im Kopf, die diese Romane weckten. Und das stört beim Lesen, beim Eintauchen in „Eklipse“.
Ich bin ein großer Fan von Hommagen und Verbeugungen, aber hier ist es aufgrund der immer wieder dazwischen funkenden Assoziationen in dieser Form unangebracht.
Fazit
Zwischen „Bester Brandhorst“ und „Schwächster Brandhorst“ habe ich in den Rezensions- und Kommentarbereichen ziemlich jede Einschätzung gefunden. Beiden Fraktionen würde ich entschieden widersprechen. Eklipse ist ein feiner Unterhaltungsroman, handwerklich erstklassig ausgearbeitete Science-Fiction. Der Spike-Faktor mag nur mich persönlich gestört haben und ich versuche das so wenig wie möglich zu berücksichtigen. Doch abgesehen davon fehlt ein klein wenig jene Einzigartigkeit, die zum Beispiel Brandhorsts Kantaki Saga großartig macht. Das Gefühl „Oh, das habe ich so oder ähnlich schon irgendwo gesehen/gelesen“ kommt einen Tick zu oft. Lesenswert ist „Eklipse“ für Fans des Autors und Freunde gepflegter Science Fiction-Unterhaltung allemal.
DANKE an Gastrezensentin Tamara Yùshān
Science-Fiction
Piper Verlag
Juni 2019
496
Funtastik-Faktor: 71
Noch eine Anmerkung, nachdem das das Thema aufgegriffen wurde: natürlich ist das Spike hier etwas anderes als Dan Simmons Shrike, und ich habe bewusst NICHTS von wegen „abgekupfert“ geschrieben.
Das Problem war bei mir schlicht und ergreifend eine zu starke Assoziation, die sich aus dem Namen und den beschriebenen Dornen ergab. Auch als klar differenziert wurde, habe ich das Bild vom quecksilbrig glänzenden Herrn der Schmerzen vor Augen gehabt. Das kann auch durchaus eine Nebenwirkung von zu exzessivem Simmons Konsum in der Jugend sein.