Sinnsuche eines Teufels
Die Erde spuckt einen Teufel aus. Er wurde von der eigenen Mutter aus der Hölle vertrieben, weil er ihr in einem schwachen Moment offenbart hat, dass er ein Herz hat. Doch was soll er hier? Er kennt weder Weg noch Ziel. Was kann er anderes tun, als über die Welt zu wandern? Als erstes fällt ihm ein singendes hüpfendes Mädchen auf, dem im Takt des Liedes die Brust bebt. Soll er es zu Boden werfen und zerfetzen? Stattdessen fallen beide lüstern übereinander her und finden zusammen. Am nächsten Morgen liegt sie kalt in seinen Armen. Das war weder sein Wunsch noch Wille. Es begegnet ihm die ein und andere, der er sein Herz schenkt und sie ihm. Jede geht von dannen, einfach weil der Teufel der Teufel ist und Verderben bringen muss. Der Mann mit dem Messer verfolgt ihn der Rache eines verkohlten Tisches wegen.
Christian von Aster ist der Autor, der anders schreibt. Es liegt ihm fern, uns eine alltägliche, schon zigmal dagewesene Geschichte in ähnlicher Couleur vorzusetzen. Sein Gericht ist schwer verdaulich, weil die Zutaten so gehaltvoll sind. Mit dem Teufel hat er einen Archetypus heraufbeschworen, der im Christentum und Islam das personifizierte Böse verkörpert. Doch er stellt ihn auf den Kopf und wiederum auch nicht. Lieben will er und bringt, indem er die Liebe lebt, den Tod. Ihm zur Seite gibt er Archetypen aus fast vergessenen Sagen und Mythen. Wer sich bemüht, die ganze Tragweite der kurzen Geschichte zu erfassen, sollte sich zumindest von Wikipedia oder einem guten Lexikon in Erinnerung rufen lassen, wer seine Wegbegleiter wie zum Bespiel Kybele, Hephaistos oder Tantalus waren.
Zur Belletristik gewordene Poesie – zur Poesie gewordene Belletristik
Eine erotopoetische Diableske tragischer Natur nennt von Aster „Höllenherz“ im Untertitel. Dieser Tragik begegnen nicht nur ein fiktiver Teufel in einem fiktiven Roman, sondern wir ganz normalen Menschen in unserem abenteuerlichen oder tristen Alltag. Was wollen wir nicht alles sein oder was wollen wir tun? Was können wir nicht, weil ständig der Zufall oder das Schicksal etwas dagegen haben? Weil wir in Käfigen sitzen, in die uns andere gesperrt haben oder sogar wir selbst? Dieses Spannungsfeld zwischen „Sein-Wollen“ und „Nicht-sein-können“ kennen doch die meisten von uns. Unsere Tragik besteht darin, uns selbst oder andere zu verraten. Der Teufel sucht einen neuen Sinn, nachdem er nicht mehr „artig abartig“ sein möchte. Zugleich verzweifelt er an der Ausweglosigkeit, die Liebe, die Freundschaft, die Schönheit für längere Zeit leben zu können. Verzweifelt sucht er Erfüllung oder Erlösung oder er ergibt sich der Resignation.
Der Narr zum Teufel: „Im Traum hab‘ ich deine schmerzenden Flügel geküsst und wollte mich in deinem Schatten vor der Nacht verstecken.“ [S. 52]
„Höllenherz“ ist ein Büchlein für alle, die Sprache lieben. Die Wert legen auf wohl gewählte Wörter und Worte, die gerne auf Redundanz und Blähstil verzichten. Von Aster holt den Reichtum unserer deutschen Sprache ans Tageslicht. Danke.
So viel Können und Tiefe von Aster in das Wort legt, so viel Können und Tiefe legt Sergej Schell in die mächtigen Illustrationen. Texte und Graphiken befruchten sich gegenseitig, wie sich der Rezipient das wünscht. Die Vignetten und Miniaturen am Rande verleihen „Höllenherz“ eine Leichtigkeit, die trotz aller Tiefsinnigkeit des Textes auch zwischen den Zeilen immer wieder durchschimmert. Am Ende der Reise des Höllenherzes angekommen, wird dem Leser klar, was Lucy van Org in ihrem behutsam starken Vorwort mit Wahrhaftigkeit und Wucht meint. Viel Inspiration wünscht dem geneigten Leser und Betrachter auf den Wegen zwischen Glück und Unglück.
Diese Rezension hat Redakteurin Amandara M. Schulzke geschrieben – Vielen Dank! ?
Phantastik Plus
Edition Roter Drache
März 2016
64
Funtastik-Faktor: 82