Die Messlatte liegt enorm hoch
Immer wenn ich auf einem Buchcover lese, dass der Roman mit einem bekannten Meisterwerk vergleichen wird, schrillen bei mir die Alarmglocken. Denn in den meisten Fällen stellt sich im Nachhinein heraus, dass ein solcher Vergleich nicht gerechtfertigt ist und das Ergebnis schon aufgrund der geschürten Erwartung enttäuscht. Arkady Martines Debutroman »Im Herzen des Imperiums« (Originaltitel »A Memory called Empire«) vergleicht der Heyne-Verlag mit Frank Herberts Magnum-Epos »Der Wüstenplanet«. Ausgerechnet mit einem der markantesten SF-Klassiker überhaupt! Das kann doch nur schiefgehen, oder?
Die Geschichte handelt von der Botschafterin Mahit Dzmare. Ihre Heimat ist eine kleine, aber unabhängige Raumstation, irgendwo am Rande des bislang erforschten Weltalls. Ziel ihrer Reise ist das Herz des teixcalaanlischen Imperiums, ein Riesenreich, das ständig weiter expandiert. Ihre Aufgabe ist es, zu verhindern, dass das Reich auch den Sektor erobert, in dem die Station Lsel sich befindet.
Kaum ist sie dort angekommen, stellt sich heraus, dass ihr Vorgänger unerwartet verstorben ist. Ihre Heimat entwickelte eine sogenannte Imago-Maschine, die eine Kopie der Persönlichkeit und der Erinnerungen ihres Trägers erstellt. Auch Yskandr nutzte diese Technik. Mahit muss das Geheimnis um diese Technologie schützen und zugleich für die Untersuchung des mysteriösen Tods nutzen.
Das Imperium steht zudem kurz vor einem Bürgerkrieg, da der alte Imperator Sechs Vektor todkrank und sein Nachfolger Acht Gegengift zu jung zum Herrschen ist. Irgendwie war ihr Vorgänger in eine Verschwörung verwickelt, die auf diese politische Situation einwirkte. Doch wie genau kann Mahit nicht ermitteln. Denn ihre Imago-Maschine weist plötzlich eine Fehlfunktion auf und erlaubt ihr nur noch sporadisch Zugriff auf die Kopie der Persönlichkeit ihres Vorgängers.
Kaum Action, dafür ein kontrastreicher Weltenbau und bestechende Akteure
Eine besondere Qualität des Romans »Im Herzen des Imperiums« ist, dass die Geschichte nahezu ohne Action auskommt und dennoch eine eigentümliche Dynamik entwickelt. Stattdessen entsteht immense Spannung aus der jeweiligen Situation, aus den Dialogen und aus dem Gegensatz der Kulturen.
Auf der einen Seite befinden sich die Bewohner der Raumstation Lsel, die auf begrenztem Platz leben und ein durchorganisiertes Leben führen. Jeder Prozess ist exakt festgelegt und die Gesellschaft wirkt komplett bürokratisch. Auf der anderen Seite sind die Teixcalaanlier, ein Volk, das großen Wert auf die Schönheit der Sprache legt. Dichter und ihre Werke sind hoch angesehen und es finden regelmäßig Wettbewerbe statt, in denen sich Poeten messen. Gleichzeitig pflegt dieses Volk allerdings einen Sonnen- und Blutkult und ist sehr kriegerisch veranlagt. Archaische Blutopfer werden ebenfalls verehrt. Es scheint so, als ob die Autorin sich bei der Konzeption dieses Volkes an südamerikanischen Völkern wie die Mayas oder Inkas orientierte. Wahrscheinlich wirken ihre fiktiven Völker deswegen so lebendig und authentisch.
Die kulturellen Kontraste zwischen Lsel und dem teixcalaanlischen Imperium sind so extrem, dass man gut nachvollziehen kann, wieso Mahit sich zunächst überwältigt fühlt. Doch nach und nach lebt sie sich ein und wird der Mittelpunkt eines fantastischen Abenteuers. Dabei trifft sie eine Reihe von interessanten Figuren wie Neunzehn Breitaxt, die am Hof des Imperators eine wichtige Rolle einnimmt.
Über allem schwebt die Frage, was Yskandr unternahm, um seine Ermordung zu provozieren. Schnell wird klar, dass er jemandem das Geheimnis um die Imago-Maschinen weitergab, was für die Bewohner der Raumstation einem Hochverrat gleichkommt. Was erhielt er dafür als Gegenleistung? Da Mahit keinen Zugriff auf alle Erinnerungen ihres Vorgängers besitzt, bleibt dieses Mysterium bis zum Ende des Romans bestehen. Mahit wagt weitestgehend auf sich allein gestellt die Aufklärung dieses sinisteren und gefährlichen Geheimnisses. Und wächst dabei über sich hinaus. Sowohl die Charakterisierung der Protagonistin, als auch der Nebenfiguren, überzeugt in jeder Hinsicht.
Ein vielversprechender Serienauftakt
Das Einzige, was es an diesem Buch zu beanstanden gibt, ist, dass nicht erklärt wird, wie die Namensgebung der Teixcalaanier funktioniert und was sie ausdrückt. Dieses interessante Thema wird leider nur kurz angerissen und nicht wirklich vertieft.
Der Vergleich mit »Der Wüstenplanet« ist durchaus gerechtfertigt. Im Interview mit dem Onlinemagazin »Die Zukunft« beschreibt Arkady Martine Frank Herberts Imperium als ihre literarische Heimat. Die Erzählung, die sie in ihrem Debütwerk präsentiert, entfaltet eine ähnliche inhaltliche Wucht und verführt dazu, sie noch einmal zu lesen. Um die Geschichte erneut zu genießen und darin weitere spannende Details zu entdecken, die einem zuvor entgangen sind.
»Im Herzen des Imperiums« ist eine im doppelten Wortsinn fantastische Space Opera mit rundem Abschluss, die reichlich Stoff und Entwicklungspotenzial für eine Fortsetzung offenlässt. Der zweite Band der Teixcalaan- Reihe mit dem Originaltitel »A Desolation Called Peace« erscheint 2021.
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Götz Piesbergen
Teixcalaan Serie, Band 1
Science-Fiction
Heyne
November 2019
605
Funtastik-Faktor: 98
Hallo liebe Eva,
Danke für Deine interessanten Romane, die Du immer wieder hier auf Deinem Blog vorstellst…bin gerne Deine Leserin und wenn es passt gibt es gerne auch mal den ein oder anderen Kommentar.
Wünsche uns allen einen guten Start in Jahr 2020…LG..karin..