Interview mit Ivan Ertlov

Über Australien, Science-Fiction und Selfpublishing, Schreiben an Originalschauplätzen und Drohungen aus China.

Meine Antwort auf solche Drohungen kann man Anfang 2020 lesen, wenn der vierte Teil der „Avatar“ Reihe erscheint.

Ivan Ertlov © Johann Ertl

phantastisch-lesen: Hallo Ivan! Schön, dass Du dir Zeit genommen hast. Fangen wir mit dir selbst an: Laut deiner Biographie bist du irgendwie Österreicher, Böhme und Australier. Kannst du das vielleicht etwas genauer erklären?

Ivan Ertlov: Gerne. Ich wurde 1978 als Sohn eines Österreichers und einer Bürgerin der damaligen ČSSR in Prag geboren. Obwohl mein Vater mich und meine Mutter rasch nach Österreich bringen konnte, wurde die Verbindung zur ČSSR nie wirklich gekappt. Ich hatte das Privileg, dank vieler ‚drüben‘ verlebter Sommerferien auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs aufzuwachsen. Nach Australien bin ich dann 2017 ausgewandert. Mein derzeitiger Status ist aber noch ‚geduldete Schlüsselarbeitskraft‘ und noch nicht ‚Permanent Resident‘. Also, Australier bin ich noch nicht.

phantastisch-lesen: Wie kann man sich dein Leben in Australien vorstellen?

Ivan Ertlov: Eigentlich ganz normal, großteils zumindest.  Ich wohne in Penrith am Fuß der Blue Mountains und mein Büro (das für meinen Hauptberuf als Producer) ist in der Innenstadt von Sydney. Das bedeutet, ich stehe früh auf, trinke meinen Kaffee, gehe zum Zug und fahre in die Arbeit. Das Pendeln nutze ich zum Schreiben, und am Abend geht es wieder zurück. Die Unterschiede liegen im Detail. Zum Beispiel gehe ich in der Mittagspause meist in den Victoria Pool schwimmen, und nach Feierabend gibt es gelegentlich Abstecher zum Hafen oder in die Oper. Ja, DIE Oper.

Und an den Wochenenden bin ich entweder tief in den Blue Mountains, Buschwalken, am Strand oder auf dem Motorrad unterwegs. Wenn ich nicht schreibe.

phantastisch-lesen: Welchen Einfluss hat deine neue Heimat Australien auf dein Werk? 

Ganymed, Gone -Wer stiehlt schon einen Mond? © Ivan Ertlov

Ivan Ertlov: Einen sehr großen. Manchmal kommt das direkt zum Ausdruck, zum Beispiel in der Traumzeitreise, die John Harris am Anfang von „Ganymed, Gone“ macht. Manchmal ist es etwas subtiler. Aber ich glaube in zweierlei Hinsicht hat mich Australien massiv geprägt und damit starken Einfluss auf mein Schaffen: Zum einen bin ich viel tiefer und intensiver mit der Natur verbunden. Auch und gerade mit jenen Teilen, die dich hier töten können, wenn du unvorsichtig bist. Zum anderen ist mein soziales Gewissen viel stärker ausgeprägt als früher. Ein österreichischer Freund, der hier Grund und Boden besitzt, hat mich vor dem Auswandern gewarnt:

„Du gehst halt in ein Land, in dem es prinzipiell jedem scheißegal ist, ob du neben ihm in der Gosse verreckst“.

Und das ist bei all der oberflächlichen Freundlichkeit und meist geheuchelter Hilfsbereitschaft leider vollkommen richtig. Zumindest im urbanen Raum. Die sympathische, lockere „Scheiß drauf“ Mentalität, die die Aussies haben, wurde bei vielen mit der Empathie eines Felsbrockens erkauft. Natürlich habe ich viele Ausnahmen erlebt. Aber meine engsten Beziehungen habe ich mit den Außenseitern hier, Künstlern, Aboriginal Elders, teilweise Studenten. Ich glaube, dass ich einen besseren Draht zu und mehr Umgang mit den lokalen Aboriginal Gruppen habe, als 99% der weißen Australier. Das alles spiegelt sich auch in meinen Büchern wieder.

phantastisch-lesen: Du bist ja Österreicherinnen wie mir und Zockern im Allgemeinen eher durch trashige Indie Games und deiner Mitarbeit an einigen Rollenspielen bekannt. Wie bist du zum Schreiben gekommen, was war der Schritt vom Indie-Game-Dev zum Indie Autor?

Mutation – Alte Freunde und profitable Kriege © Ivan Ertlov

Ivan Ertlov: Ha! Das ist ein Irrtum. Ich kam eigentlich als Schreiber – Creative Writer – IN die Computerspiele Branche, und habe zuvor als Journalist und Gastautor für größere Publikationen mein Studium mitfinanziert. Mit „Mutation“ begann ich schon kurz nach meinem HLBLA Abschluss (Höhere Bundeslehranstalt). Natürlich hilft mir die Erfahrung als unabhängiger Indie Entwickler und Spiele-Selfpublisher massiv beim Veröffentlichen und Vermarkten meiner Romane, keine Frage.

phantastisch-lesen: Wie und wann schreibst du?

Ivan Ertlov: Wie weiter oben gesagt hauptsächlich beim Pendeln. Allerdings schreibe ich auch sehr viel an Originalschauplätzen. Das kann man sich folgendermaßen vorstellen: für „Todessprung“ flog ich zum Beispiel nach Vietnam und ging durch die Gassen, die ich im Buch vor der Szene über das Meeting mit John, Alice und Djane Bitch ausführlich beschrieb. Und diese Szenen mit den drei Protagonisten schrieb ich direkt in dem Lokal, in dem sich die Kneipenschlägerei im Buch abspielt. Ich habe immer versucht, alle Flüge der Avatar, die auf der Erde stattfinden, selbst nachzufliegen (Also, als Passagier oder mit einem befreundeten Hobbyflieger, eine Pilotenlizenz habe ich nicht).
Ich glaube, das verleiht eine gewisse Authentizität und im Fall von Zürich, Wien, Ho Chi Minh etc. kann man so auch besser lokal gefärbte Gags einbauen.

phantastisch-lesen: Warum ausgerechnet Science-Fiction und warum die eher humorvolle Art?

Ivan Ertlov: Das ist eine sehr gute Frage. Science Fiction ist einfach mein Lieblings-Genre, weil man damit herrlich Seitenhiebe und Reflektionen unserer Zeit und Gesellschaft liefern kann. Wobei ich seit Ewigkeiten an einem handfesten Horror herumplotte. Vielleicht kommt der ja irgendwann Ende 2020 oder so heraus.
Der Humor hat sich bei „Kolonie“ eigentlich so ganz langsam eingeschlichen, und wurde dann zu einer fixen Kenngröße des „Onur“ Zyklus. „Mutation“ war ursprünglich bierernst geplant, nur mit einigen zynischen Betrachtungen des Protagonisten. Und dann ist die Story beim Schreiben immer mehr in Richtung Comedy gewandert. Aber glücklicherweise ohne an Spannung oder Gesellschaftskritik einzubüßen.

phantastisch-lesen: Deine Bücher sind ja teilweise sehr politisch, und halten sich nicht mit ganz konkreten Anschuldigen gegen reale Personen und Parteien unserer Gegenwart zurück. Hast du da noch nie Probleme bekommen?

Ivan Ertlov: DAS ist eine spannende Frage. Also es gibt vereinzelt ein paar AfD und FPÖ Wähler, die schon massiv angepisst sind, wie sehr ich ihre Idole und Identifikationsfiguren im „Onur“- Zyklus verachte und durch den Kakao ziehe. Aber selbst die geben mir noch drei oder vier Sterne und maulen nur ein bisschen herum in Richtung

„Jetzt reicht es dann aber mit der Politik“.

In Punkto Gesellschaftskritik und Sozialkritik bekomme ich viel positiven Zuspruch. Allerdings nicht nur vom linksaußen positioniertem Lager (natürlich auch von da, da war ich als Gemeinderat selbst zu Hause), sondern durchaus auch aus konservativen Kreisen.

Ivan in Taiwan © Ivan Ertlov

Ganz anders sieht es bei der Kritik am chinesischen Investitionskolonialismus in Afrika, am Organhandel und an der Behandlung ihrer religiösen Minderheiten aus. Da habe ich tatsächlich schon einen Telefonanruf mit unterdrückter Rufnummer auf mein australisches Privathandy bekommen, wo am anderen Ende der Leitung jemand mit einer sehr ruhigen, professionellen Stimme auf Deutsch mit entsprechendem Akzent dran war. Und mich sehr höflich daran erinnerte, dass ich in Australien keineswegs außerhalb des Einflussbereiches Chinas bin. Das kann natürlich auch nur irgendein Spinner gewesen sein, aber das ist eine Drohung, die man hier ernst nehmen muss. Selbst australische Staatsbürger chinesischer Herkunft sind hier nicht immer sicher, wenn sie dissident agieren. Und es wurden schon Uni-Professoren gefeuert, weil sie im Unterricht Positionen einnahmen, die der chinesischen Regierung missfielen. Martin Wong ist keine rein fiktive Gestalt (Protagonist aus „Ganymed, Gone„. Ein Hongkong Chinese und Politiker mit dem Herz am rechten Fleck, ein Außenseiter im korrupten System. Er wurde einer realen Person nachempfunden).

Aber meine Antwort auf solche Drohungen kann man Anfang 2020 lesen, wenn mit „Showdown Bejing: Korechina, Quo vadis?“ der vierte Teil der „Avatar“ Reihe erscheint.

phantastisch-lesen: Warum hast du dich für Selfpublishing entschieden? Gibt es da nicht gerade in der deutschsprachigen SF viel zu viel Konkurrenz?

Ivan Ertlov: Puh, Konkurrenz ist ein großes Wort. Ich stehe da eher als Zwerg auf der Schulter von Riesen und profitiere von deren Erfahrungen. Ohne Matthias Matting und seiner Selfpublisher Bibel wäre ich ein paar Mal richtig böse aufgeschmissen gewesen. Seine Arbeit kann man gar nicht hoch genug loben. Mit vielen Autoren bin ich inzwischen zumindest auf Facebook vernetzt, und die sind alle durch die Bank ziemlich relaxte, gemütliche Typen, von Cliff Allister über Thariot bis Drew Sparks. Mit letzterem tausche ich laufend Erfahrungen bezüglich Marketing und Werbung, man hilft sich also eher gegenseitig. Dann ist da natürlich auch Joshua Tree, nicht nur ein guter Autor, sondern auch ein supersympathischer Mensch, mit dem zu politisieren und diskutieren richtig Spaß macht. Ich glaube, dass ich umgekehrt nicht wirklich als Konkurrenz betrachtet werde. Ich mag zwar gelegentlich an manchen Tagen oder in manchen Wochen mehr Bücher verkaufen, als die schon länger etablierten Kollegen. Aber ich bin halt ‚der Typ mit dem sprechenden Schwein‘, der geistig eher in die Humor-Ecke gestellt wird, als in klassische Hard SF oder Military Sci-Fi.

Der Gang ins Selfpublishing war eigentlich eine logische Konsequenz daraus, dass ich als Selfpublisher im Videospielebereich die besseren Erfahrungen machte, im Vergleich zu klassischen Publisherverträgen (also in einem Verlag veröffentlichen). Ich habe nur einfach jahrelang nicht verstanden, wie einfach es ist, als Selfpublisher in die Gänge zu kommen. Wenn man die Selfpublisher Bibel liest, siehe oben, weiß man so etwas.

phantastisch-lesen: Wie geht es 2020 mit deinen Büchern weiter? Welche Serien werden zu Ende geführt, welche kommen hinzu?

Todessprung-Reiche Mentoren auf fernen Welten © Ivan Ertlov

Ivan Ertlov: Der ‚Onur“-Zyklus neigt sich definitiv dem Ende seiner Zugabe zu. Er war eigentlich als Trilogie gedacht, aber ich denke, das endgültige Ende wird nach Band fünf kommen. Aber das Universum lasse ich nicht sterben. Vielleicht habe ich mal Lust auf eine Space Opera, und dann kann ich schon auf einer reichen Geschichte aufbauen.
Bei der „Avatar“- Reihe wurde ja der Anfang des Endes schon ein wenig angedeutet. Aber da wird es noch ein paar richtig gewaltige Überraschungen geben, und jede einzelne davon bekommt ein Buch spendiert. Und eine neue Reihe ist in Vorbereitung, die man am ehesten als Mischung aus „Titan A. E.“ und LEXX bezeichnen könnte.

phantastisch-lesen:Was würdest du bisher als deinen größten Erfolg bezeichnen und was sind deine nächsten Ziele?

Ivan Ertlov: Was Verkäufe und Kritiken angeht, ist „Mutation“ definitiv mein größter Erfolg. Mein persönlich größter Erfolg war aber, dass mir ein Bestseller-Autor, den ich seit meiner Studienzeit lese und verehre, quasi ein Idol, persönlich dazu gratulierte. Und meinte, das wäre in seinen Augen das beste Buch des Jahres. So etwas geht runter wie Öl.

Große nächste Ziele habe ich eigentlich nicht. Ich will einfach nur meine Leser gut unterhalten und dabei meinen Finger auf die offenen Wunden der heutigen Gesellschaft legen. Und genug Geld verdienen, um in der Rente mit meinem eigenen Raumschiff herumzufliegen. Mit Schwein an Bord.

phantastisch-lesen: DANKE, Ivan für das nette und äußerst interessante Gespräch!

Das Interview mit Ivan Ertlov führte Tamara Yùshān

3 Gedanken zu „Interview mit Ivan Ertlov

  1. Hallo und guten Tag Eva,

    Danke für das interessant geführte Interview ..ja da hat jemand, aber noch wirklich Träume…Raumschiff..hihi..aber irgendwie auch cool oder?

    LG..Karin..

    1. Hallo Karin, ja, ich finde das Interview auch richtig cool, wie Du sagst. Der Ivan hat schon intertessante Dinge zu erzählen, deshalb wollten wir ihn Euch gern genauer vorstellen. Liebe Grüße, Eva

    2. Ohne Träume wäre das Leben doch langweilig, oder?

      Und so abwegig ist das nicht, in 40-50 Jahren einen ausgemusterten Raumfrachter zu erwerben. Egal ob aus indischer oder korechinesischer Produktion 😉

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