Wasteland – Judith und Christian Vogt

Hoffnung für Mad Max

Wasteland © Knaur Verlag

Eine postapokalyptische Utopie nennen die AutorInnen selbst ihr Buch „Wasteland“ und das ergibt Sinn. Denn wir lesen den größten Teil der Geschichte aus der Sicht der ‚Hopers‘ Laylay und Zeeto. Sie sind junge Menschen, die an eine Zukunft glauben, obwohl die Gegenwart kaum lebensfeindlicher sein könnte. Kriege und der Einsatz biologischer Kampfstoffe machten aus den bewohnten Gebieten das Ödland. Jeder der sich ungeschützt darin aufhält, steckt sich mit der Wasteland-Krankheit an und stirbt. Außer Laylay. Warum sie immun ist, ist eines der Geheimnisse, um die es in „Wasteland“ geht.

Zeeto leidet an manischer Depression und untersuchte aus Langeweile unterirdische Bunker, die sich im Grenzbereich zwischen bewohnbarem Areal und dem tödlichen Ödland befinden. Die Bunkertür knallt zu und versperrt den Rückweg nach Hause.

Zeeto wohnt auf dem Handgebunden-Markt, einer Art Genossenschaft. Verschiedenste Menschen leben hier gleichberechtigt miteinander, egal zu welcher Rasse oder welchem Geschlecht sie angehören. Nationalitäten gibt es ohnehin nicht mehr, dafür Gangs, die bestimmte Gebiete beherrschen. In diesem Landstrich in der Nähe des heutigen Braunkohletagebaus bei Jülich sind das die brutalen Brokes. Doch der Markt gilt als neutraler Boden.

Laylay fährt auf ihrem Motorrad mit ihrem Vater Azmi im Beiwagen von Ort zu Ort. Denn es darf niemand erfahren, dass sie immun ist. Azmi handelt mit Medikamenten und deshalb besuchen die beiden den Handgebunden-Markt regelmäßig. Gerade dort angekommen, schicken sie Laylay auf die Suche nach Zeeto. Sie kommen zu Dritt zurück. Mit einem Baby, das Zeeto im Ödland gefunden, Mtoto genannt hat und dem es erstaunlich gut geht. Und mit der Wasteland-Seuche in Zeetos Körper.

Die Brokes bekommen Wind von dem besonderen Baby und drohen den Markt mit einem gigantischen Schaufelradbagger platt zu rollen, wenn sie Mtoto nicht ausgehändigt bekommen. Doch Zeeto hat nichts mehr zu verlieren. Er stellt sich nicht nur einem wahnsinnigen Zweikampf, sondern auch seinen Gefühlen. Mit Laylay möchte er seine restliche Zeit verbringen und dem Geheimnis um ihre und Mtotos Immunität auf den Grund gehen.

Herausfordernder Erzählstil

„Ich heule nicht, wenn ich depressiv bin. Heulen ist zu anstrengend, heulen erfordert zu viel von mir, versteht ihr? Mich müsste irgendetwas berühren, ich müsste mich um irgendetwas sorgen, mir müsste was nahegehen. Aber gerade bin ich einfach nur zur Hälfte eingegraben. Und habe ein Monster im Kopf.“ [S. 139]

Zeeto und Laylay erzählen abwechselnd aus ihrem Leben, Zeeto in der Gegenwartsform, Laylay rückblickend. An ihre Sprache muss man sich gewöhnen. Zeeto erzählt, je nach Gemütszustand, endlos oder fragmentarisch, bisweilen rotzig. Er kann aber auch anders. Besonders wenn er von Mtoto oder Laylay erzählt, drückt seine Sprache genau die Liebe und Sensibilität aus, die er empfindet. Laylays Ausdruck ist dagegen kultivierter und geordneter. Trotzdem verwendet auch sie oft ein Wasteland-Vokabular, das das intuitive Verstehen zunächst nicht so einfach macht.

Ich tue mich generell mit der Ich-Perspektive schwer, mit zwei Ich-Perspektiven erst recht. Doch nach einer Eingewöhnungsphase fand ich die Sicht- und Erzählweise passend und cool. Zumal sie auf das vorbereitet, was noch kommt: die Sprache des WiFi-Schamanen Root. Der zwar in der dritten Person berichtet, seine Ansagen allerdings in Futur II gekleidet haben wird. Und erst recht eine provozierende und fremdartige Ausdrucksweise wählt, die extrem gewöhnungsbedürftig, der dystopischen Atmosphäre aber absolut zweckdienlich ist.

Was hingegen überhaupt kein Problem, sondern eine Bereicherung darstellt, ist die gendergerechte Sprache, in der die AutorInnen den Roman geschrieben haben. Ich bezweifle, dass mir es mir aufgefallen wäre, hätte ich nicht davon gewusst. Der Ansatz fügt sich fließend und organisch in Sprache und Stil des Romans ein. Das dystopische Setting mit einer neuen Weltordnung begünstigt natürlich die Erfindung geschlechtergerechter Begriffe. In ihrem Artikel zur sprachlichen Herausforderung schreibt Judith, dass sie die nicht-binären Pronomen „ser“ und „sir“ aus Becky ChambersWayfarer“ Büchern entnommen hat. Aus den Romanen kannte ich sie und empfand sie schon beim Lesen von „Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“ als ansprechend und natürlich. Insgesamt ist dieses Sprachexperiment geglückt und zeigt, dass eine moderne Sprache spielend ohne die Verwendung geschlechtlicher Wortformen auskommen kann.

Die  Gesellschaftsform der Zukunft im Mittelpunkt

Die Figuren vom Handgebunden-Markt, Zeeto, Laylay, Riika und Azmi sind Figuren mit Identifikationspotential. Besonders Zeeto mit seiner bipolaren Störung kommt sehr authentisch herüber. Judith und Christian heben eindringlich hervor, warum seine Besonderheit nicht unbedingt eine Störung ist, sondern ihm Vorteile verschafft, gar eine Überlebensstrategie darstellt. Interessant ist auch Laylays Vater Azmi, gerade weil er seine Tochter gegen ihren Willen entführt und eine Menge Geheimnisse wahrt. Ein wenig mehr Hintergrund hätte dieser Figur noch mehr Charisma verliehen.

Es sind allerdings nicht nur die Figuren, sondern vor allem die Gemeinschaften, die „Wasteland“ prägen. Die Gemeinschaft des Markts, die der ‚Hopers‘, setzen entscheidende Akzente. Sie stellt eine anarchische Gesellschaft im philosophischen Sinn dar: minimale Gewaltausübung durch eine Obrigkeit, maximale Verantwortung des Einzelnen für sich und die Gemeinschaft. Dem entgegengestellt wird die Gemeinschaft der Gang Brokes, der ‚Toxxers‘. Deren Ziel ist die absolute Macht und Kontrolle über ein Gebiet, den Broke-Turf. Mit Maschinen à la Mad Max, gewaltig, martialisch, laut, waffenstarrend, bedrohen sie den Markt. Die Beschreibung der Broke-Gang wirkt schon sehr plakativ und bewegt sich an der Grenze zum Klischeehaften. Sie ist trotzdem gelungen. Denn Szenen, wie die Einführung des G-MAX oder durchgeknallte Typen wie Root auf seiner verzweifelten Suche nach dem WerWeWe, machen einfach Spaß. Und vermitteln wahres Endzeit-Feeling.

Die Überraschung lässt zu lange auf sich warten

Trotz des genialen Settings und einer actionreichen Handlung mit im positiven Sinn ausgefallenen Protagonisten, fällt der Einstieg in die Geschichte schwer. Was fehlt, ist ein Spannungsbogen. Die Ereignisse spielen sich zunächst nacheinander ab, oftmals als einzelne Aktionen voneinander losgelöst. Ab dem Moment, als Laylay und Zeeto gemeinsam ihre kleine, kostbare Welt retten wollen und ein gemeinsames Ziel vor Augen haben, entwickelt sich die Geschichte greifbarer und wirkt dramatischer.

Der entscheidende Wendepunkt kommt dennoch zu spät. Sehr abrupt wendet die Geschichte sich einem anderen, absolut spannenden Thema zu. Leider kommt es zu kurz und lediglich in Form von Andeutungen daher, die ein weites Feld an Handlungs- und Fortsetzungsmöglichkeiten eröffnen. So endet „Wasteland“ eher wie ein Serienauftakt, denn wie ein einzelner Roman. Mit losen Enden und einer Art Cliffhänger, anstatt eines abgeschlossenen Plots.

Insgesamt erzählt „Wasteland“ eine postapokalyptische Geschichte, der viele positive Botschaften mitbringt. Mit sympathischen und originellen Figuren, die sich voller Hoffnung durch fast aussichtlose Abenteuer schlagen. Besonders in der zweiten Hälfte punktet der Roman mit Spannung und einer völlig unvorhersehbaren Wendung, deren Entwicklung ich gern weiterverfolgt hätte. Der Ausblick der Geschichte verspricht das einzulösen, was ich an Hintergründen vermisste. Gut so, wenn es eine Fortsetzung gegeben haben wird.

Wasteland kaufen

Eva Bergschneider

Wateland
Judith und Christian Vogt
Science-Fiction, Dystopie
Knaur Verlag
Oktober 2019
367

Funtastik-Faktor: 80

2 Gedanken zu „Wasteland – Judith und Christian Vogt

Schreibe einen Kommentar