Stürmische Abenteuer in Abend- und Morgenland
Lola lebt am südlichsten Zipfel Europas, in Tarifa. Da wo sich der alte Kontinent und der noch ältere, sprich Afrika, fast berühren. Hier, am südlichsten Zipfel der iberischen Halbinsel, weht ein stetiger Wind. Lola fühlt sich dann am wohlsten, wenn der ihr mehr oder minder stark um die Ohren pfeift, während sie sich um die vielen vernachlässigten Katzen kümmert.
Manches Mal kommt es ihr so vor, dass der Wind ihr Geheimnisse zuraunt. Dass sie sich mit ihm wie einem Vertrauten unterhalten kann, so wie mit Santiago, dem alten Fischer. Daran, dass sie ein wenig merkwürdig ist, hatten sich ihre Eltern, Lehrer und Mitschüler gewöhnt. Doch einmal verlor sie die Kontrolle über die ihr unbekannten Kräfte – und etwas Unerklärliches, etwas Schlimmes passierte. Seitdem wird sie geschnitten, gefürchtet und ausgegrenzt.
Auf der Suche nach dem auf dem Meer verschollenen Santiago und einem Jungen, der sie des Nachts besuchte, fährt sie als blinder Passagier nach Tanger. Von Pablo, der wie sie selbst ein sogenanntes Kind der Winde ist, erhofft sie sich Aufklärung darüber was das bedeutet und woher ihre Kräfte kommen. Pablo und Lola sind die letzte Hoffnung, um Mistral aufzuhalten, der diese besonderen Kinder von der Erdoberfläche tilgen will.
Verfolgt von den Windhunden Mistrals, machen sie sich auf den Weg in die Wüste. Sie treffen auf einen Dschinn, fliegen mit fliegenden Teppichen und finden das, was nicht gefunden werden kann: die Kathedrale der Winde.
Björn Springorum macht in seinem neuesten Jugendbuch fast alles richtig.
Er stellt eine Außenseiterin ins Zentrum des Geschehens, zu der der Leser mühelos eine innere Verbindung aufbauen kann. Ihre mysteriöse Herkunft, als Tochter eines Windes und von Eltern, die sonst kinderlos geblieben wären, weckt des Lesers Interesse. Besondere Kräfte, die sich bis zum 13. Geburtstag entwickeln, merkwürdige Vorkommnisse und jede Menge Geheimnisse verleihen der Geschichte eine düster – okkulte Atmosphäre.
Am Anfang des Romans ruht die Handlung in der Realität und im Hier und Jetzt. Zunächst zaghaft, beinahe verschämt und schließlich immer deutlicher hält das Phantastische Einzug. Personifizierte Winde, böse Dschinns, die Schönheit der Wüste und die ebenso beeindruckende wie seltsame Kulisse der Kathedrale, sowie deren zeitreisende Hüter, erzeugen ein ganz besonderes Flair. Hier trifft Orient auf Okzident, hier mischen sich Rassen und Herkünfte selbstverständlich und ohne jegliche Ressentiments. Und hier wird der Mut und die Opferbereitschaft der Kinder des Windes erprobt und gefordert.
„Kinder des Windes“ bietet eine mitreissende, atmosphärisch dichte Lektüre und wirkt in sich rund und abgeschlossen. Björn Springorum hat seinen Stil zwar der Zielgruppe angepasst, schreibt aber trotzdem variantenreich und aussagekräftig, mit einem Hauch von Poesie.
Carsten Kuhr
Fantasy
Thienemann Verlag
Februar 2020
300
Funtastik-Faktor: 82