Peking sehen und sterben
Profis am Werk
Das ist er also, der lange erwartete 4. Teil der „Avatar“- Reihe. Der oberflächliche Eindruck ist, dass Ivan Ertlov seine Professionalisierung gnadenlos vorangetrieben hat. Coverdesign, Satz, Korrektorat – all das wirkt nicht mehr wie ein Selfpublisherbuch, sondern wie eine durchaus wertige Verlagsausgabe. Das werden viele Leser goutieren. Ich finde es ein wenig schade, dass die ursprüngliche Underground-Attitude geopfert wurde. Aber nachdem ich mich darüber schon bei „Todessprung“ beschwert hatte, fließt es hier nicht in meine Bewertung ein. Letztendlich zählt der Inhalt – und der ist bissiger denn je.
Alles dreht sich um Peking
Die Geschichte beginnt und (so viel Spoiler darf sein) endet in Beijing / Peking, wo am Anfang ein alter Freund der Avatar Crew Opfer eines hinterhältigen Anschlages wird. Ein Anschlag, der nicht nur ihm gilt. Sondern allgemein den scheinbar ehrlichen Bestrebungen des Premierministerpräsidenten Xin Pieng, aus dem von Kartellen beherrschten schwarzen Schaf der Nationen ein zumindest graues zu machen. In seiner Wut greift er zum Äußersten – und engagiert die Crew der Avatar, die eigentlich erbitterte Feinde Korechinas sind. Und gar nicht verfügbar, da sie für LunarTech eine mysteriöse Diebstahlserie aufklären sollen. Aber Pieng akzeptiert kein Nein.
Schnitzeljagd um die Welt
Wir erinnern uns: Der Vorgänger „Ganymed, Gone“ litt ein wenig darunter, dass es nur zwei Hauptschauplätze gab. „Showdown Beijing“ kehrt zu den Wurzeln der Serie zurück, übertrumpft sogar „Mutation“ mit einer wunderbar detaillierten Vielfalt an Handlungsorten, denen Ertlov gekonnt Leben einhaucht. Kein Wunder, hat er doch jeden Einzelnen davon selbst besucht – bis auf den Mond. Auf seiner Facebook-Autorenseite konnte man das mitverfolgen. Was ich besonders beeindruckend finde: Er schafft es auch, das Mindset der lokalen Bevölkerung einzufangen. Nachdem meine eigenen Wurzeln in der – politisch neutral formuliert – „chinesischen Einflusssphäre“ liegen, bin ich immer skeptisch, wenn ein westlicher Autor „uns“ schreibt. Aber hier funktioniert es. Die sehr unterschiedlichen Werte- und Gefühlswelten von Hongkong- und Han-Chinesen, Vietnamesen und Kambodschanern sind erstaunlich gut getroffen.
Spannend, abstrus, aberwitzig
Natürlich ist „Showdown Beijing“ vor allem eine spannende Science-Fiction-Thriller Story, mit reichlich Krimi-Elementen und Politverschwörungen im Hintergrund. Man ahnt früh, wer die Bösewichte sein könnten. Und wird dann überrascht – oder auch nicht, wenn man richtig gelegen hat. Das tut der Spannung und dem Spaß keinen Abbruch. Wir treffen die historischen Assassinen in ihrer Burg und sitzen bei John Wick im Wohnzimmer. Harris soll im verstrahlten New York dem Shareholder Value geopfert werden und UV Licht offenbart das grauenhafte Geheimnis eines Nachbarn in Phnom Penh. Zum Brüllen komische Szenen, spannende Ermittlungen und packende Kämpfe wechseln sich ab.
Und überall ist Politik
Ertlovs Romane sind traditionell politisch und gesellschaftskritisch. Auch „Showdown Beijing“ macht hier keine Ausnahme – und geht teilweise einige Schritte weiter. Aber diesmal differenzierter. Weder der Ich-Erzähler noch der Autor drücken ihre Meinung dem Leser ins Gesicht. Diesmal kommen die politischen Attitüden von den anderen Charakteren, und John Harris reflektiert sie. Das ist ungleich eleganter. Thematisiert werden unter anderem der Konflikt zwischen Kurden und Türken, der Genozid der Roten Khmer in Kambodscha und Chinas Umgang mit Protest und Minderheiten. Da bleibt einem das Lachen im Halse stecken, kippt die Stimmung ins Düstere. Ein entsprechend aufrüttelndes und sehr persönliches Nachwort rundet diese Komponente gekonnt ab.
Fazit
„Showdown Beijing“ ist der kürzeste, aber meiner Meinung nach auch beste Teil der Reihe. Geschichte, Spannung und Humor sind noch einen Tick besser, als der ohnehin verwöhnte „Avatar“ Leser gewohnt ist. Auswirkungen, Handlungsstränge und Personen aus den Vorgängern, von denen man schon glaubte, Ertlov hätte sie einfach vergessen, werden geschickt wieder aufgenommen und ins Geschehen eingebunden. Alles in allem einer der lustigsten, spannendsten und in seiner Weltsicht auch wichtigsten SF Romane der jüngeren Vergangenheit.
Danke! an Gastredakteurin Tamara Yùshān
Avatar-Reihe, Band 4
Science-Fiction
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Februar 2020
318
Funtastik-Faktor: 91