Maschinenseele – Chris Schlicht

Düster, komplex und auf jeder Seite spannend

Maschinenseele © Feder & Schwert
Maschinenseele © Feder & Schwert

Das Leben im Jahr 1900 des Ætherzeitalters im Großstadtverbund Frankfurt-Wiesbaden-Mainz ist für die  Armen hart. In den Stadteilen am Rhein regieren Hoffnungslosigkeit und Verbrechen. Jegliches Vertrauen in die Obrigkeit fehlt und so erfährt die Polizei nichts davon, dass immer mehr Kinder verschwinden. Doch das Verbrechen macht auch vor der Abriegelung des reichen Innenstadtbezirks nicht halt, eine bizarre Mordserie erschüttert die Oberschicht und ihre Ordnungshüter. Scheinbar wahllos werden Menschen brutal umgebracht, an Schauplätzen arrangiert und eines Körperteils beraubt.

Peter Langedorf, nun Kriminaloberkommissar der Wiesbadener Polizei, nimmt die Ermittlungen auf. Die Arrangements der Opfer scheinen den Schriften eines Ketzers entnommen zu sein, ist etwa ein religiöser Fanatiker am Werk? Doch warum wird ein autistischer Junge von Kindern verfolgt, die wie ferngesteuert übernatürliche Kräfte einsetzen und deren feine Kleidung nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass sie offensichtlich in den Armenvierteln aufgewachsen sind? Peter Langendorf sieht sich bald mit der Ausgeburt perfidesten Wahnsinns und genialster Grausamkeit konfrontiert, die auch sein eigenes kleines Familienglück zu zerstören droht.

Der Ritter ohne Fehl und Tadel und sein Stab

„Maschinenseele“ ist nach „Maschinengeist“ der zweite Steampunk-Krimi der deutschen Autorin Chris Schlicht mit dem Ermittler Peter Langendorf. Im Auftaktband arbeitete er als Privatdetektiv und konnte seine jetzige Ehefrau Katharina aus den Fängen eines brutalen Zuhälters befreien. Nun ist der Grenzgänger zwischen den Welten der Armen und Reichen also Polizeibeamter und führt die Ermittlungsgruppe an, die einen so grausamen wie einfallsreichen Ritualmörder jagt. Auch als Kriminaloberkommissar ist Peter Langendorf der, den wir bereits aus „Maschinengeist“ kennen, ein mutiger und gerechtigkeitsfanatischer Detektiv, der den Großstadtmoloch gern zu einem etwas besseren Ort machen möchte. Hinzugekommen ist die Rolle des liebevollen Vaters und Ehemanns, die er ebenfalls sympathisch und glaubwürdig ausfüllt. Ein wenig übertrieben tollkühn erscheinen manchmal seine Heldentaten, wenn er zum Beispiel allein gegen einen in vielfacher Hinsicht überlegenen Feind zu Felde zieht. In „Maschinengeist“ hat die Autorin Peter Langendorf wenigstens einen schwachen Moment gegönnt, hier erscheint er als Ritter ohne Fehl und Tadel.

Trotzdem bekommen auch seine Kollegen, insbesondere der pfiffige Hartmut Lenze Gelegenheit zu glänzen, denn Teamwork ist angesagt. Zum Team gehört auch der charismatische Gerichtsmediziner Levente Csákányi und Joachim Bartfelder aus dem armen Stadtteil Biebrich. Mit diesen cleveren und authentischen Akteuren an seiner Seite verfolgt Peter ein irrsinniges Genie und Frankenstein Pendant.

Ritualmorde wie viele und doch abartig anders

Ritualmorde, die nach einer Buchvorlage arrangiert werden und bei denen der Täter Souvenirs in Form von Körperteilen entwendet, gibt es einige in der Kriminalliteratur. Doch Chris Schlicht versetzt dieses Motiv in ein fiktives dampfbetriebenes Industriezeitalter des deutschen Kaiserreichs, welches extremste soziale Ungerechtigkeit, Umweltzerstörung und moralischer Verfall prägen. Eine Anlehnung an den Gothik- Klassiker von Mary Shelley „Frankenstein“ kann „Maschinenseele“ ebenfalls nicht leugnen. Was die Autorin jedoch aus diesem Setting macht, wirkt alles andere als abgekupfert, sondern äußerst innovativ und ideenreich. Und liest auf jeder einzelnen der 540 Seiten spannend.

Chris Schlicht entfaltet eine schaurig-spannende und komplexe Story, die sie mit einem Mythos aus dem 14. Jahrhundert verbindet. Ihre düstere Steampunkwelt zeichnet die Autorin so detailreich, dass der Leser glaubt, das Elend der Slums unmittelbar vor Augen, die Dampfschwaden der Industrieabfälle  in der Nase zu haben. Ein politischer Aufstand liegt in der Luft, der

„Drobbe, der des Fass zum Übberlaafen bringt“ [S. 210]

hängt bereits am Hahn.
Chris Schlicht hat also den hessischen Dialekt als Sprache der Armen beibehalten und sie setzt sie respektvoll und authentisch ein. Sie vermeidet einseitige Gut-Böse Klischees und findet auch für die übelsten Verbrechen Gründe, die dazu geführt haben. Sie gewinnt den Bösewichtern sympathische Seiten ab und lässt den Adeligen mit Notleidenden mitfühlen. Chris Schlicht integriert ein homosexuelles Paar genauso natürlich in ihr Ensemble, wie einen autistischen Jungen. Selbst den Maschinenmenschen verleiht sie Persönlichkeit.

Fazit

Mit vielen interessanten Charakteren, und mitten in ein verkommenes und bedrohliches Alternativwelt-Szenario hinein inszeniert die Autorin einen Thriller, der an spektakulären Gräueltaten mit abstrusen dampfbetriebenen Erfindungen wenig auslässt. Der aber auch deswegen hochdramatisch ist, weil man trotz aller Bizarrerie die Aktionen  nachvollziehen und Emotionen mitempfinden kann, indem man dicht an Figuren und Orte herangeführt wird. Wenige unlogische Wendungen, wie zum Beispiel vorsichtig wispernde Ermittler, die unmittelbar zuvor beim Versorgen eines Pferds richtig Krach gemacht haben müssen, und ein paar Textfehler tun dem positiven Gesamteindruck keinen Abbruch.

Wer düstere Steampunk-Krimis mag, sollte in Chris Schlichts mittlerweile zweibändige Reihe mit Peter Langendorf,  „Maschinengeist“ und „Maschinenseele“ unbedingt hineinlesen. In der bizarre, aber trotzdem realistisch wirkenden  Alternativwelthistorie wurden die realen Probleme des aufkommen Industriezeitalters weiterentwickelt. Und genau so sind auch die Verbrechen dieser Welt beschaffen, gruselig und genial zugleich. Ich hoffe sehr auf mehr Steampunk-Krimis mit Peter Langendorf und seinen Mitstreitern.

Eva Bergschneider

Maschinenseele
Peter Langendorf-Reihe, Band 2
Chris Schlicht
Steampunk
Feder & Schwert
April 2014
544

Funtastik-Faktor: 80

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