Geschrumpftes Epos mit Humor und Spannung
Nur vier Monate nach „Stargazer: Das letzte Artefakt“ schickt Ivan Ertlov mit „Neue Heimat, Alte Feinde“ die Fortsetzung der bizarren Space Opera ins Rennen. Ein weiterer Ausflug in ein far-future Universum, in dem die Menschheit beinahe ausgerottet ist und nur noch als leichtfertig verheiztes Kanonenfutter oder knuspriger Snack geschätzt wird. Eine marginalisierte und argwöhnisch betrachtete Spezies umgeben von teilweise nicht unähnlichen, teilweise vollkommen fremdartigen Wesen. Die Reste der Menschheit als Opfer ständiger speziestischer Vorurteile und Diskriminierungen. Genau auf diesen Punkt konzentriert sich Band Zwei, vernachlässigt aber dabei das spektakuläre Kampfgeschehen des Vorgängers.
Ab in die Randwelten
Die bunt zusammengewürfelte Crew des Prospektorats Stargazers unter Kommandant (und Notfallproviant) Frank reist auf Befehl von ganz oben in die Randwelten. Die bestehen aus einem Sammelsurium von Sonnensystemen, Planeten und Monden, auf denen Gesetze nur bedingt gelten. Eine humanitäre Mission, im wahrsten Sinne des Wortes. Mehr als tausend Minenarbeiter wurden entführt, achthundert davon Menschen. Die Motivation Franks gibt schon einen ersten Hinweis darauf, wohin die Reise philosophisch geht: Die Spezies spielt für ihn weniger eine Rolle als die Tatsache, dass es sich um ehemalige Kollegen der untersten sozialen Schicht handelt. Klassenkampf statt Rassenunterschiede. Eine spannende Ermittlung beginnt in unbekannter, fremdartiger Umgebung, ein Hauch von „Firefly“ und „The Expanse“ liegt in der Luft.
Witz und Tiefgang harmonisch vereint
Bei aller Ernsthaftigkeit der Handlung selbst – der Humor kommt nicht zu kurz. Der ist teilweise derb-frivol, teilweise in den skurrilen Figuren verankert, denen die ohnehin schon abgefahrene Crew begegnet. Clint Eastwood (in einer Reinkarnation als alternder Gesetzeshüter aus dem Volk der Toronk, also ein wandelnder Baum) hat einen ebenso spektakulären Gastauftritt wie zahlreiche Archetypen und Anspielungen, die der Leserin ein Grinsen ins Gesicht zaubern. Dabei ist „Neue Heimat, Alte Feinde“ erstaunlich philosophisch und tiefschürfend angelegt. In zahlreichen Dialogen und an ein Kammerspiel erinnernden Szenen beleuchten Frank Gazer und Astrotelepathin Dilara Kreethan, was für sie Heimat und Familie, Zugehörigkeit und Loyalität bedeuten.
Diese Passagen sind nicht nur intelligent, sondern auch emotional packend und vor allem schlüssig geschrieben. Wenn ausgerechnet die Astrotelepathin, deren Vokabular an anderen Stellen vorwiegend aus „raufen, saufen, ficken“ zu bestehen scheint, einige der tiefsinnigsten und intelligentesten Sätze des Buches beisteuert, wirkt das nicht wie ein Stilbruch, sondern wie eine logische Reflektion ihres wahren Ichs. Sowohl in diesen Zwiegesprächen als auch in der Heldenreise der Crew durch die Randwelten unterhält das Buch blendend. Auch ohne Bedrohung und Kampf an jeder Ecke.
Schmalspur-Krieg und Westentaschen-Diktatoren
Natürlich gibt es dann doch die unerwartete, spektakuläre Entdeckung, die große Gefahr am Horizont, der sich die Freunde stellen müssen. Eine totgeglaubte Terroristentruppe erlebt ihre Wiederauferstehung, wird zu einem düsteren Schatten, der aus den Randwelten nach der Zivilisation greift. Aber, ganz ehrlich: Dafür, dass es im Kern tatsächlich um die Bedrohung des ganzen Protektorats und das Schicksal einer Spezies geht, bäckt Ertlov hier überraschend kleine Brötchen.
Spektakuläre, über mehrere Kapitel und Zeitebenen hinweg aufgebaute Raumschlachten sucht man vergeblich. Die Gefechte sind spannend wie eh und je, aber zeitlich und örtlich eng begrenzt. Mehr noch, im Nachhinein betrachtet entpuppt sich so manches Kriegsgeschehen als unnötiges Blutvergießen. Wo in der „Avatar“ Reihe meistens ein Überraschungs- oder selbstmörderischer Frontalangriff des gleichnamigen Schiffes die Ultimo Ratio war, triumphieren in Stargazer Diplomatie und Völkerverständigung. Die epischen Schlachtengemälde sind wohlgefälligen, aber kleinen Skizzen gewichen, die vereinzelt auf dem Tisch der humorvollen, bizarr-witzigen Space Opera herumliegen. Mit Military Science-Fiction hat das alles nichts mehr am Hut, was Fans des „Onur„-Zyklus wohl eher weniger gefallen wird. Diese müssen sich ebenso wie ich bis September gedulden, wenn mit „Bürgerkrieg“ der dritte Teil erscheint. Falls Cover, Titel und Klappentext nicht täuschen, verspricht das wieder deutlich mehr „Kabumm!“ und „ANNÄHERUNGSALARM!“.
Fazit
Sprachlich hervorragend, witzig und spannend: Auch „Stargazer: Neue Heimat, Alte Feinde“ überzeugt als abgefahrene Space Opera mit teils derbem, teils intelligentem Humor und erstaunlich viel philosophischem Tiefgang. Eine Lese-Empfehlung für (fast) alle Fans von Phantastik und Science-Fiction. Die spürbar zurückgeschraubte Dramatik und das Fehlen von richtig großen Kriegen und Raumschlachten macht es jedoch lediglich zur zweiten Wahl für Military SF Fans.
PS: FPÖ-Wähler, AfD-Sympathisanten und politisch ähnlich denkende Zeitgenossen sollten ebenfalls einen WEITEN Bogen um dieses Werk machen. Deren Weltbild wird hier ebenso zynisch und gnadenlos zerlegt wie jene Charaktere, die es propagieren.
Vielen DANK, Tamara Yùshān
After Terra, Band 2
Science Fiction
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