Eine Trilogie in fünf (!) Bänden
Der 6. August 2017 war eigentlich ein unscheinbarer Tag, aber nicht für die deutschsprachige Science-Fiction Literatur. Mit „Kolonie – Im Schatten der Matriarchin“ erschien der Debütroman von Ivan Ertlov. Mit dem damit begründeten „Onur“ Zyklus und der „Avatar“ Reihe ist der Autor mittlerweile in den Olymp der deutschsprachigen Self-Publisher aufgestiegen. Gewonnene Preise für Kurzgeschichten und wochenlange Nummer eins Bestseller-Platzierungen in diversen Amazon Kategorien sprechen für Qualität. Oder eben nicht. Denn unumstritten waren weder die ersten Bücher, noch die Vermarktung als Debüt.
Ein katastrophaler Auftakt?
„Kolonie“ wurde vom österreichisch-tschechisch-australischen Autor als „sein erstes unter eigenem Namen veröffentlichtes Buch“ betitelt. Was nicht ganz stimmte. Ein Lösungsbuch zum Computerspiel „Gothic 3“ rund zehn Jahre zuvor trug bereits seinen Namen auf dem Cover. Es war definitiv sein Debüt im Self-Publishing. Und er machte dabei so ziemlich jeden Anfängerfehler, den man sich vorstellen kann. Abwesenheit von Lektorat und Korrektorat, Rechtschreibfehler im dreistelligen Bereich, ein nichtssagendes Cover, grauenhafte Formatierung. Dies wurde zwar alles mittlerweile dutzende Male überarbeitet, aber den Ruf der Schlampigkeit wurde Ertlov nie wieder los. Bis heute achten Leser bei jeder Neuerscheinung besonders pedantisch auf Rechtschreibfehler und kritisieren sie, obwohl die Fehlerdichte bei den aktuellen Werken im Bereich normaler Verlagsbücher liegt. Oder sogar darunter.
Die ursprüngliche Trilogie
Trotz all dieser Fehler war „Kolonie“ ein Achtungserfolg, dem wenige Monate später die Fortsetzung „Aufstand – Teshkhas Gambit“ folgte. Mit „Allianz – Kampf um die Konklave“ wurde die Trilogie Anfang 2019 abgeschlossen. Eine ungewöhnliche Invasionsgeschichte. Der Krieg zwischen der Menschheit und einer zivilisierten, im Vergleich zu uns schon beinahe friedfertigen Spezies. Der Aufstand der letzten menschlichen Rebellen und schließlich die Vereinigung unter einem Banner. All das erschuf ein Epos, wie man es sonst nur aus den US-Bestsellerlisten längst vergangener Tage kannte. In das Finale der Trilogie mixte Ertlov noch einen Regionalkrimi, der parallel zu interstellaren Kriegen stattfand und dennoch ins Bild passte. Spätestens danach hatte die Reihe absoluten Kultstatus unter jenen, die sie gelesen hatten. Was zu diesem Zeitpunkt schon eine beachtliche Leserschar war.
Warum? Weil Erzählstil und Schreibweise, Humor und Action einzigartig sind. Kein deutschsprachiger Autor hat es bis jetzt so gekonnt geschafft, zwischen ironischen Spitzen auf die aktuelle Weltpolitik, psychologisch ausgefeilten Machtspielchen unter den Protagonisten, spannenden Handlungsbögen und brachialen (Raum-)Schlachten zu navigieren. Bei letzteren setzt Ertlov auf eine „Bullet-Time“ und verschiebt die Handlung kurzfristig ins Präsens, wenn das Geschehen von wenigen Sekunden einige Seiten füllt. Ein scheinbar einfacher Kniff, aber zusammen mit den fließenden Perspektivenwechseln ein spannendes Unikum. Ebenso wie der Humor. Während bei der „Avatar“ Reihe Erinnerungen an Terry Pratchett, „Firefly“ undDouglas Adams wach werden, wird hier vor allem John Scalzi als Vergleichswert genannt.
Ein erster Durchhänger
Von seinen Lesern überredet, lieferte Ertlov Ende 2019 doch noch eine Fortsetzung und das, obwohl er es selbst kategorisch ausgeschlossen hatte. Das Ergebnis war „Elysium – Jenseits von Onur“. Statt Jan Köhler und Flottenkommandantin Teshkha, den Helden der ersten Trilogie, drehte sich (fast) alles um das junge Geschwisterpaar Shirsha und Derek. Sie werden mit ihrem fühlenden Legendenschiff Talasha in einen Krieg hineingezogen, der den gesamten Weltenbund (Zusammenschluss der Onura mit Menschen und anderen Völkern) zu vernichten droht. Das Buch schwächelte auf hohem Niveau: Zu viele, immer gleich ablaufende Raumschlachten, Andeutungen, die nicht aufgelöst wurden und ein Cliffhanger, der nur durch einen wohl notgedrungen eingeschobenen Epilog abgeschwächt wurde. Immer noch gute bis sehr gute Science-Fiction Kost, aber kein Geniestreich mehr. So mancher Leser, der Ertlov zu der Fortsetzung gedrängt hatte, wird dies zumindest ein wenig bereut haben.
Ein grandioses Finale
Nun ist mit „Götterdämmerung – Onurs Erben“ der letzte Band erschienen, und es ist ein Buch, das die berechtigte Kritik an Band vier relativiert. Offenbar hat Ivan in „Elysium“ nur Anlauf genommen, um in „Götterdämmerung“ seiner ersten Romanreihe ein würdiges Ende zu verschaffen. Und was für eines! Auf knapp 300 Seiten treffen neue Helden auf die alten, ergeben vage Andeutungen aus dem ersten Band plötzlich Sinn, wird das Geheimnis des Kosmos gelüftet. Zumindest das in unserer Galaxie. Dazwischen gibt es diesmal weniger, dafür deutlich spannendere Schlachten, eine packende Thriller-Nebenhandlung in Bayern und wieder jene spitze Feder, die schon die originale Trilogie auszeichnete. Sogar eine gewisse umstrittene Wahl in Thüringen bekommt ihr Fett ab, und das im Jahr 3000. Das muss man erst einmal schaffen. Aus dem Krieg wird ein Kampf Schöpfer gegen Schöpfung, ein metaphysisches Ringen um das Schicksal der Milchstraße. Fürwahr eine Götterdämmerung und das letzte Gefecht wird nicht mit Waffen ausgefochten. Ein tolles Lese-Erlebnis. Das Ende ist befriedigend, lässt aber dieses Mal wirklich kaum Raum für Fortsetzungen. Ivan Ertlov wird wissen, warum.
Fazit:
Der „Onur Zyklus“ zählt als Gesamtwerk sicher zu den besten Science Fiction Reihen der letzten Jahre. Spannung, Humor, Charakterstudie und Action stehen in fast perfekter Balance. Langeweile kommt selbst in den schwächsten Momenten nicht auf, und über weite Strecken steckt der Zyklus sogar Großwerke wie die „Expanse“ Reihe oder die frühen „Honor Harrington“ Bücher mit einem verschmitzten Lächeln in die Tasche. Mir persönlich gefällt insgesamt die „Avatar“ Reihe immer noch einen Tick besser, aber „Götterdämmerung“ ist bis jetzt das beeindruckendste Buch des Autors.
Danke an Gastredakteurin Tamara Yùshān
Onur Zyklus, Band 1 - 5
Science-Fiction, Military
Amazon Media
August 2017 - April 2020
rund 1700
Funtastik-Faktor: 88
Guten Morgen aus dem australischen Busch!
Über die Kritik an Rechtschreibung, Grammatik, Typo und Satz der Erstausgaben aller drei „Original-Onurs“ will ich nicht allzu viele Worte verlieren – die ist absolut berechtigt. Es wurde viel Zeit und auch einiges an Geld für externe Dienstleister ausgegeben, um das nachträglich zu verbessern, ein Prozess, der immer noch im Gange ist.
Das mit der Vermarktung als Debüt – als solches habe ich Kolonie nicht wirklich oder nur unter einigen Disclaimern bezeichnet. In meiner „Über den Autor“ Beschreibung auf Amazon sind sowohl das Lösungsbuch (Pedantisch: Eigentlich Gothic 3 AddOn, und es war ein Kompendium, kein Lösungsbuch) als auch voriges Ghostwriting aufgelistet gewesen. Und zwar schon immer.
Davon abgesehen bedanke ich mich natürlich für die tolle Rezension!
LG
Ivan
Hi Ivan!
Ja, das stimmt, du hast deine vorigen publizierten Werke dort angeführt oder erwähnt. Aber wenn man sich die ersten Reviews von damals und auch deine Kommunikation auf der Facebook Seite vor 2 Jahren ansieht, dann merkt man schon, dass da einiges an „Welpenschutz“ rübergekommen ist und das Wort „Debüt“ sehr oft fiel – von dir meist unwidersprochen.
Aber besser ein holpriger Start und danach der große Erfolg, als umgekehrt – oder?
Ja, das auf jeden Fall! Also, nochmals danke!
Hallo und guten Tag,
herzlichen Dank an die Gastredakteurin Tamara Yùshān für ihre Meinung zu dieser Triologie bzw. Fünfbandwerk.
Hm, irgendwie habe ich erwartet nach dem Lesen …das mehr als 88 Funtastik-Faktor bei der Beurteilung herausspringt.
Du bist eine harte, aber faire Beurteilerin und mit guten Hintergrundwissen ausgestattet.
Hut ab davor…LG..Karin..
Hallo Karin, witzig, ich dachte das Gegenteil. Als ich anfing, die Rezension zu lesen dachte ich „was mag am Ende an Punkten dabei herausspringen?“. Ich denke, Tamara hat berechtigterweise nicht mit der Kritik an den Anfängen hinter dem Berg gehalten. Aber in der Bewertung eher den jetzigen Stand, nach der Überarbeitung der Bücher“ abgebildet. Es ist immer schwierig, einen ganzen Zyklus zu bewerten, aber Tamara hat es souverain gemeistert. LG, Eva
Hallo Eva,
hm, mir hat der letzte Satz ihrer Ausführungen sehr imponiert….“Aber besser ein holpriger Start und danach der große Erfolg, als umgekehrt – oder?“…Ich glaube, dass trifft die Entwicklung des Romanes ganz gut…..
LG..Karin..