Der Kampf zweier Völker der Nacht aus Sicht einer jungen Schneiderin
In „The Beautiful – Tödliche Dämmerung“ schreiben wir das Jahr 1872. Celine, eine junge Schneiderin aus Paris, kommt an Bord der CGT Aramis in die Metropole New Orleans. Der Ursulinenconvent hat die Kosten für die Überfahrt über den Atlantik für sie und ihre Begleiterinnen aus Europa bezahlt. Die jungen Frauen sollen im Konvent mildtätige Aufgaben übernehmen und später mit honorablen Gentlemen verheiratet werden. Als Vorstand eines respektablen Hauses werden sie natürlich für den stetigen Fluss von Spenden sorgen.
Dass Celine ein, nein eigentlich gleich zwei dunkle Geheimnisse mit sich trägt, ahnt niemand. Nicht nur, dass ihre Mutter aus Asien stammte und sie damit nicht rein weiß ist, darf niemand erfahren. Auch den Grund ihres überstürzten Aufbruchs aus der Stadt an der Seine darf niemand auch nur erahnen. Sie tötete einen Dandy, der sich ihr aufzwingen wollte.
Nun also steht sie einsam und allein vor einem Neubeginn. Und dies in einer Stadt, in der die Toten herrschen. In der die Magie allgegenwärtig ist und die Lust gefeiert wird. Keine einfache Situation. Zumal sie schon bei ihrer ersten Begegnung in der Metropole am Mississippi-Delta einem jungen Beau trifft, der sie bis aufs Messer reizt, aber auch fasziniert.
Es wird unheimlich und blutig
Bald findet sie sich inmitten unheimlicher Vorgänge wieder. Alles beginnt damit, dass ein Mädchen aus dem Konvent ausgeblutet in den Räumlichkeiten über einem der ersten Restaurants der Stadt aufgefunden wird. Hier treffen sie sich, die Honoratioren der angesehensten Familien der Stadt: reich, mächtig und mit besonderen Gaben ausgestattet. Angeführt von dem Mann, der sie durch seien bloße Existenz reizt, Sébastien Saint Germain. Es wartet eine Welt auf unsere Schneiderin, die ebenso unheimlich, wie aufregend auf sie wirkt. Dass sie durch ihre Bekanntschaft mit den Mitgliedern des Hofs auch ins Visier der Polizei, vor allem des Detektivs Michael Grimaldi gerät, ist bei weitem nicht das Schlimmste. Durch ihre Beziehung zu Sébastien wird sie auch für eine dunkle Macht interessant, die eine Spur von ausgebluteten Leichen in der Stadt hinterlässt. Eine Macht, die eine ganz besondere Beziehung zu Sébastien und seinen Artgenossen hat. Eine Auseinandersetzung, die bis in die Zeiten Karthagos zurückreicht und deren Fehde die Clans der Nacht in einen mörderischen Krieg zwingt.
Verzaubert auch Lesende jenseits der Romantasy-Zielgruppe
Mit „The Beautiful“ liegt erste Band eines Zweiteilers „Der Hof der Löwen“ vor mir. Die Fortsetzung „The Damned“ folgt glücklicherweise bereits Ende Juni 2022. Es geht, das ist unschwer zu erkennen, um große Gefühle und eine junge Frau, die sich zwischen verschiedenen Galanen nicht recht entscheiden kann. Um Mode und das Savoir Vivre des Big Easy. Romantasy nennt man derartige Romane und, das muss ich ehrlich gestehen, diese Art der Fantasy ist üblicherweise nicht ganz so mein Ding. Dieser Serienauftakt aber hat mich von Anfang an gepackt. Woran lag es, dass ich vom Plot, der sich zunächst recht verschachtelt und rätselhaft präsentiert, so schnell gefesselt wurde?
Nun, zum einen liegt mir das Setting. The Big Easy, wie die Bewohner die Stadt New Orleans selbst nennen, hat eine ganz besondere, eigene Ausstrahlung, die Renée Ahdieh gut eingefangen und in ihren Plot integriert hat. Dazu erzählt sie uns von einer Zeit, – 1872 – in der viele Entwicklungen im Fluss waren. Der Bürgerkrieg war noch nicht lange vorbei. Die Sklaven zwar befreit, aber beileibe nicht gern gesehen, geschweige denn toleriert von ihren einstigen Haltern. Immer noch herrschte ein rassistisches Prinzip: Hast Du auch nur einen Tropfen farbigen Blutes in Dir, dann sind Dir Wege, Ausbildungschancen und Karrieren verschlossen. Dazu gesellt sich eine Erzählerin, die intelligent und tapfer ihren Weg geht und versucht Türen aufzustoßen.
Das ist einmal eine Protagonistin, die sich nicht nur auf ihre Gefühle und ihre Karriere am Arm des möglichst wohlhabenden Gatten konzentriert, sondern über den Tellerrand hinausschaut. Die Idee der Emanzipation ist hier äußerst geschickt in den Plot integriert. Auch das Thema Diskriminierung, überkommene Vorurteile ja sogar Diversität hat Ahdieh unauffällig aber eindringlich in ihr Werk einfließen lassen.
Fazit
Die Autorin weiß zudem unterhaltend zu erzählen. Handwerklich geschickt, berichtet sie uns von der alten Mär des Kampfs zweier Völker der Nacht. Die stimmungsvolle und wunderbar flüssig zu lesende Übersetzung von Anna Wichmann tut ihr übriges zum Lesegenuss. So war ich, obwohl ich als alter Mann nicht unbedingt die typische Zielgruppe des Romans bin, von der Handlung fasziniert, von der Erzählerin beeindruckt und bezaubert von der Welt dieser Geschichte.
Carsten Kuhr
Der Hof der Löwen, Band 1
Fantasy
Piper
April 2022
Buch
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Theresa Evangelista
83