The Whispering Dead (Gravekeeper, Bd. 1) – Darcy Coates

Vom verwunschenen Haus zur Kleinstadtgeschichte

The Whispering Dead (Gravekeeper 1) - Darcy Coates © Poisened Pen Press/Pixabay
The Whispering Dead © Poisened Pen Press/Pixabay

Edgar Allan Poe hat mit „Der Untergang des Hauses Usher“ 1839 vermutlich eine Entwicklung eingeleitet, die zu einem der beliebtesten Sujets im Horrorgenre führte. Das Geisterhaus, das verwunschene oder verfluchte Haus hält sich bis in die Gegenwart hinein in Film und Literatur. Die Australierin Darcy Coates wurde mit einer Reihe von Romanen über Geisterhäuser zu einer gerne gelesenen Horror-Autorin. Von ihren Titeln liegt meines Wissens nur „The Carrow Haunt“ in deutscher Übersetzung („Der Fluch von Carrow House“) vor. Anders als beispielsweise in Poes Erzählung geht es bei Coates primär darum, einen Platz im Leben zu finden. So auch in ihrem neuen Roman „The Whispering Dead“, dem ersten Band in einer Reihe mit dem Titel „Gravekeeper“.  

Frau auf der Flucht leidet unter Amnesie

Auf der Flucht vor einem männlichen Verfolger findet die verletzte Keira Hilfe bei Pastor John Adage, der zwei Kilometer außerhalb der Kleinstadt Blighty die Gemeindepfarrei leitet. Da Keira außer ihrem Namen nichts über sich weiß, bietet Adage ihr an, sich im Cottage neben dem Friedhof zu erholen und über ihr weiteres Verhalten nachzudenken. Tags darauf erscheint Mason Corr bei ihr, ein Freund Adages und angehender Arzt oder ehemaliger Medizinstudent, was ihm noch nicht klar ist. Mason versorgt ihre Wunden.

Keira leidet offenbar an Amnesie, findet ein paar Dinge über sich heraus, so, dass sie über einen speziellen Muskel im Augenbereich ihr zweites Gesicht aktivieren kann. Sie sieht die Geister von Toten auf dem Friedhof und kann mit ihnen kommunizieren. Der Geist von Emma Carthage (1955-1981) scheint sich besonders um Keira zu bemühen. Das Mordopfer Emma umgibt ein grauenhaftes Geheimnis, welches Keira aufklären will, damit Emma den Weg in die andere Welt gehen kann. Keira gräbt in der Vergangenheit von Blighty und Emma. Sie freundet sich mit der Verschwörungstheoretikerin Zoe Turner an. In der Kleinstadt lernt sie ein paar schräge und liebenswerte Menschen kennen. Darunter den Musiker Harry Kennard, dessen Mutter, Floristin Polly, vielleicht die eine Hälfte eines früheren Bankräuberinnenpaars ist. Polly will Harry unter die Haube bringen und hält Keira für eine geeignete Kandidatin.

Keira hat gefährliche Begegnungen mit dem Arztsohn Gavin Kelsey, der zu extremer Gewalttätigkeit neigt.

Ermittlungen in drei Fällen, darunter einem mit Jenseitsbezug

„The Whispering Dead“ („Gravekeeper 1“) erzählt in der Exposition von der Verfolgung Keiras und der Unterkunft bei Pastor Adage. Danach gerät dieser Erzählstrang, der Fall Keira, vorübergehend aus dem Fokus, wird zwar nicht vollends vernachlässigt, weil Coates uns zwischendurch an ihn erinnert, spielt jedoch dramaturgisch keine Rolle mehr. Keiras Verfolger taucht nicht mehr auf. Stattdessen widmet der Hauptteil des Buches sich zwei Erzählsträngen, die sich als Fall Emma und Fall Gavin bezeichnen lassen. Zwei der drei Fälle werden bearbeitet und gelöst, einer findet seine Fortsetzung im bisher nicht veröffentlichten Folgeband („Gravekeeper 2“).

Die Handlung wird sprachlich einfach, transparent und linear erzählt. Im Zentrum steht die Horrorgeschichte in Verbindung mit einer Kleinstadterzählung. Der Fall Gavin kommt erst spät hinzu und behandelt einen Serienmörder im Werden.

Liebenswerte Charaktere

Es gibt ein paar reizvolle Handlungsmosaiken. Die Charaktere sind schön gestaltet, Keira hat das Glück, als Fremde in einer Kleinstadt viel Freundlichkeit zu erfahren und innerhalb kurzer Zeit drei Freunde zu finden, die ihr bestmöglich helfen. Auch die Geister sind, soweit Keira sie kennenlernt, liebenswert und für sie keine Bedrohung.

Die Protagnistin hat wenig Tiefe, keine Macken oder Unvollkommenheiten. Anders ist es jedoch bei den Nebenfiguren, die teilweise skurril sind, psychisch instabil, gesellschaftliche Außenseiter oder anderes mehr. Und wir erfahren etwas über Keira, wie diese ebenfalls über sich, indem sie mit anderen Menschen interagiert. Der zugrunde liegende Gedanke ist nicht neu, geht von der Überlegung aus, dass wir uns über unsere Verbindungen zur Welt definieren .

Aber Keira hat auch je eine eigene Bedeutung für die wichtigen Nebenfiguren. Für John Adage wird sie zu einer Freundin und Erweiterung seiner beruflichen Möglichkeiten über die materielle Sphäre hinaus. Mason Corr gibt sie eine Richtung ohne dies zu wissen, und für Zoe wird sie zu einer Freundin, mit der diese ihre Verschwörungstheorien diskutieren kann. Die Figuren sind in ihrer Anlage einzigartig, in ihrer Haut zumeist zufrieden, wenn nicht gar glücklich. Ihre Umhüllende ist Keira, die nicht weiß, wer sie ist, die aber in der Lage ist, etwas Aufregung und Lebhaftigkeit in deren kleinstädtischen Trott zu bringen.

Am Ende des ersten Bandes hat Keira ein Zuhause und einen Job gefunden, ein paar Kleinigkeiten über sich erfahren (Dinge wie: Tee statt Kaffee), weiß aber immer noch nichts über ihre Vergangenheit.

Fazit

Darcy Coates unterhaltsame und packend erzählte Story „The Whispering Dead“ ist der erste Band der Reihe „Gravekeeper“: Eine Geschichte über eine Frau auf der Flucht vor einer unbekannten Bedrohung, auf der Suche nach sich selbst und einem Platz im Leben. Geradeheraus erzählt, ohne Cliffhanger, Orts- oder Zeitsprünge. Die Wurzeln liegen in der klassischen gothischen Horrorstory, behutsam einer Modernisierung ausgesetzt, mit politischen Anklängen.

DANKE an Gastredakteur Holger Wacker für die Besprechung des englischsprachigen Originalbands von „The Whispering Dead“

The Whispering Dead
Gravekeeper, Band 1
Darcy Coates
Horror
Poisened Pen Press
Mai 2021
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